Bei Frank Nonnenmacher aus Frankfurt am Main war es der Onkel, bei Ines Eichmüller aus Nürnberg der Opa. Mitglieder der Familie, die unter den Nationalsozialisten als sogenannte "Asoziale" oder "Gewohnheitsverbrecher" in die Konzentrationslager verschleppt wurden. In vielen betroffenen Familien ein Tabuthema, ebenso wie in der heutigen Gesellschaft.

Vor drei Jahren beschloss der Bundestag, diese Menschen endlich als NS-Opfergruppe anzuerkennen. In Nürnberg wurde an diesem Wochenende ein Verband der Angehörigen gegründet.

"Wir wollen in der Erinnerungskultur präsent sein", erklärt der Mitinitiator und emeritierte Professor Nonnenmacher.

Stand der Holocaust an den europäischen Juden anfangs im Mittelpunkt der Aufarbeitung, erkämpften sich nach und nach auch andere Opfergruppen die Wahrnehmung der Öffentlichkeit: Kommunisten, Christen, Sinti und Roma oder Homosexuelle.

Sogenannte "Asoziale" und "Berufsverbrecher"

Nahezu vollständig ausgeblendet aus Erinnerung, Forschung und Wiedergutmachung aber waren die Träger des schwarzen oder grünen Winkels in den KZ: Mit ihnen kennzeichneten die Nazis die "Asozialen" und "Berufsverbrecher".

Dass diese Menschen bisher kaum gesehen wurden, hat auch mit der Einschätzung von Überlebenden der Konzentrationslager zu tun. Eugen Kogon, der das KZ Buchenwald überlebte, schrieb in seinem Buch "Der SS-Staat" von "üblen, zum Teil übelsten Elementen", die andere Häftlinge schikanierten. Wer den grünen Winkel trug, stand in der Rangfolge der KZ-Gefangenen ganz unten.

"Ein großer Teil dieser Menschen war so, dass man die Umwelt tatsächlich vor ihnen schützen musste", schrieb die Wiener Ärztin Ella Lingens, selbst Gefangene in Auschwitz.

Erst spät nahm sich die historische Forschung des Themas an und begann, ein differenziertes Bild dieser Opfergruppe zu zeichnen. Zum Beispiel von den "vergessenen Frauen von Aichach". Aus dem größten bayerischen Frauengefängnis wurden ab 1943 mindestens 326 Frauen nach Auschwitz deportiert. Die meisten starben innerhalb weniger Wochen. Dabei handelte es sich um Gefangene in Sicherheitsverwahrung, also Frauen, die wegen kleiner Diebstähle, Abtreibungen, Prostitution oder Betrugs mehrfach verurteilt waren.

 

Die vergessenen Frauen von Aichach

Sie standen Jahrzehnte im Schatten des Vergessens und des Verdrängens: die Frauen der Justizvollzugsanstalt Aichach, dem zur NS-Zeit größten Frauengefängnis in Bayern. Zeitweilig waren in der für 500 Insassen gebauten Anstalt bis zu 2.000 Frauen untergebracht, darunter politische Gefangene wie die Architektin Margarete Schütte-Lihotzky. In Aichach wurden auch sogenannte "asoziale" Frauen zwangssterilisiert. Mehr als 350 Frauen in "Sicherheitsverwahrung" wurden nach Auschwitz in den Tod geschickt.

Dass diese Schicksale nicht vergessen werden, darum kümmert sich das Frauenforum Aichach-Friedberg. Für die Opfer soll ein Denkmal errichtet werden, der Historiker Franz Josef Merkl wurde mit Nachforschungen beauftragt. "Viel zu lange wurde bei all den Bemühungen zur Aufarbeitung der Nazizeit den Frauen in der Strafanstalt keine Beachtung zuteil", sagt Forumssprecherin Jacoba Zapf.

Den Frauenschicksalen ist Merkl im Auftrag des Frauenforums nachgegangen. Er zeigt etwa, wie sich unter den Nazis die Zahl der eingesperrten Frauen mehr als verdreifachte. Zählte man 1933 noch 691 Gefangene, stieg diese Zahl bis 1945 auf 2.000, hinzu kamen an die 1.000 Frauen in den Außenlagern. Zu ihnen zählten auch die vielen Frauen, die wegen "Wehrkraftzersetzung" oder dem Abhören von ausländischen Sendern verurteilt waren.

Historische Forschung

Über die Nachkriegszeit schreibt der Wissenschaftliche Dienst des Bundestags:

"Tatsächlich fand die Diskriminierung der 'Asozialen' in den Lagern durch das Aufsichtspersonal und die Mithäftlinge ihre Fortsetzung in der unterschiedlichen Behandlung der verschiedenen Opfergruppen in den beiden deutschen Nachkriegsgesellschaften."

Eine organisierte Interessensvertretung für diese NS-Opfer habe es nie gegeben. "Die nach Kriegsende rasch gegründeten Opferverbände erkannten ehemalige 'asoziale' und 'kriminelle' Mithäftlinge nicht als Leidensgenossen an und lehnten es ab, sie als Mitglieder aufzunehmen oder deren Interessen wahrzunehmen. Vielmehr wurden sie als lästige Konkurrenten im Kampf um Anerkennung und Entschädigung empfunden."

Statement des Bundestags

Demgegenüber stellte der Bundestag nach 75 Jahren fest: Niemand wurde zu Recht in einem Konzentrationslager inhaftiert, gequält und ermordet. Auslöser für dieses Statement sei die Initiative Nonnenmachers gewesen, der eine Petition auf den Weg gebracht hatte.

"Der Bundestag hat beschlossen, dass die jahrzehntelange Vernachlässigung der Forschung angegangen wird, aber wo bleiben dafür die finanziellen Mittel?", sagt Nonnenmacher.

Die Geldfrage sei der Auslöser für die Gründung des Angehörigenvereins gewesen. Als Verband könne man mehr politischen Einfluss geltend machen, so der Mitinitiator. Ungeklärt sei auch die Erforschung der Verfolgungsinstanzen, etwa welche Rolle die Kriminalpolizei gespielt habe.

Bedeutung der Sprache

Ein weiteres Problem auf dem Weg, sich für die Opfer zu organisieren, sei die Sprache. Die NS-Begriffe "Asoziale" oder "Gewohnheitsverbrecher" wolle man nicht benutzen. "Verband für die verleugneten NS-Opfer" sei ein Vorschlag, erklärt Nonnenmacher.

Denn sie seien verbal jahrzehntelang verleugnet worden, auch in den betroffenen Familien. Deren Angehörige hat Nonnenmacher aufgerufen, sich an der Verbandsgründung in Nürnberg zu beteiligen.