"Als Söder erstmals von seinen Raumfahrtplänen erzählt hat, haben sich kurz danach Venture Capitalists aus aller Welt gemeldet, die in Bayern in junge Unternehmen investieren wollen."

Herr Walter, Ministerpräsident Söder kassiert hierzulande für seine Weltraumpläne Häme und Spott. Zurecht?

Ulrich Walter: Nein. Zuerst einmal: Markus Söder geht es nicht - wie fälschlicherweise oft behauptet wird - um bemannte Flüge zum Mond und auch nicht um einen bayerischen Astronauten auf dem Mond. Es geht vor allem um unbemannte Satelliten im Orbit. Die machen gut 90 Prozent der Raumfahrt aus.

Als Söder in seiner Regierungserklärung 2018 erstmals von seinen Raumfahrtplänen erzählt hat, haben sich kurz danach Venture Capitalists aus aller Welt gemeldet, die hier in Bayern in junge Unternehmen investieren wollen. Also es geht hier nicht um irgendwelche abgehobenen Raumfahrtpläne, sondern um den Wirtschaftsstandort Bayern und damit letztlich um unseren Wohlstand. Die eigentliche Raumfahrt macht da zwar nur einen kleinen Teil aus, ist aber eingebettet in den Hightech-Standort Bayern.

Also ist "Bavaria One" eine Weiterführung von Edmund Stoibers Slogan "Laptop und Lederhosen"?

In gewisser Weise schon. Allein die Ankündigung der bayerischen Staatsregierung, dass sie die Raumfahrt stärken will, lockt Investoren an. Eine verlässliche Regierung, die hinter dem Ganzen steht, zuverlässig finanziell fördert und bürokratische Hürden abbaut, ist nochmal ein zusätzlicher Magnet.

"Eine vernünftige Klimapolitik braucht auch Hightech - das vergessen viele."

Wissen Sie, warum Söder so belächelt wird?

Die Fachwelt jedenfalls findet seine Pläne sehr gut. Er beweist da wirtschaftlichen Weitblick. Die Menschen in anderen Ländern, wie den USA oder China, sind stolz auf ihren technologischen Fortschritt. Das sehe ich in Deutschland eher nicht. In Wirtschaftsfragen geht es aktuell vor allem um Klima und um Nachhaltigkeit. Was natürlich auch sein muss. Aber eine vernünftige Klimapolitik braucht auch Hightech - das vergessen viele.

Wer ist Ulrich Walter?

Ulrich Walter (Jahrgang 1954) ist seit 2003 Lehrstuhlinhaber für Raumfahrttechnik an der Technischen Universität München (TUM) und hat die bayerische Staatsregierung bei ihren Raumfahrtplänen mitberaten.

Er lehrt und forscht im Bereich angewandte Raumfahrttechnologie und Systemtechnik. Seine Schwerpunkte sind Echtzeit- und Service-Robotik unter Anwendung von KI, insbesondere Robotikassistenz für ältere Menschen (Geriatronik).

Walter studierte Physik an der Universität Köln und forschte zwei Jahre lang in den USA. 1987 wurde er ins Deutsche Astronautenteam berufen. Ulrich Walter absolvierte ein jahrelanges Astronautentraining am Deutschen Zentrum für Luft- und Raumfahrt (DLR) in Köln-Porz und am Raumfahrtzentrum der NASA in Houston.

1993 flog er mit dem Space Shuttle "Columbia" für knapp zehn Tage ins All und betreute rund 90 Experimente mit. 1994 ging er als Leiter des Großprojektes "Deutsches Satellitendatenarchiv" an das Deutsche Fernerkundungs-Datenzentrum der DLR nach Oberpfaffenhofen bei München.

Außerdem hat Walter mehrere Fachbücher und Fachartikel geschrieben, unter anderem über seine Zeit im All. Von 1998 bis 2003 moderierte er die Wissenschaftssendung "MaxQ" beim Bayerischen Fernsehen.

Sie haben gesagt, Bayern geht es vor allem um unbemannte Satelliten im Orbit. Was steckt konkret dahinter?

Dahinter verbirgt sich ein riesiger Markt, der in der Öffentlichkeit leider gar nicht wahrgenommen wird. Derzeit umkreisen uns Tausende Satelliten, die für ganz spezielle Fragestellungen und Themen Daten liefern. Rund 70 Prozent sind Satelliten aus den USA - von Behörden, Militär und Privatunternehmen.

Ohne Satelliten wäre unser Alltag, wie wir ihn kennen - mit Smartphones, E-Mails und Navis -, nicht möglich. Eine vernünftige Klimapolitik übrigens auch nicht. Nur mithilfe von Satelliten kann man genau berechnen, wo und wie schnell Gletscher oder Eisberge in der Antarktis schmelzen oder um wie viele Millimeter der Meeresspiegel steigt. Das kann man nun mal nicht mit dem Zollstock nachmessen. Ich könnte Ihnen noch zig Beispiele nennen.

"Wir können Waldbrände besser lokalisieren oder sehen, welche Bereiche etwa bei Überschwemmungen besonders gefährdet sind."

Bitteschön, machen Sie.

Aus dem All kann man auf den Meter genau bestimmen, wo fruchtbarer Boden ist und wo sich Anbau lohnt. Dadurch ist mehr Ertrag mit weniger Dünger möglich. Wir können auf den Quadratmeter bestimmen, wo Bäume geschädigt sind, das ist für die Forstwirtschaft von immenser Bedeutung. Wir können Waldbrände besser lokalisieren - sehr wichtig auch für Kanada oder Australien - oder sehen, welche Bereiche etwa bei Überschwemmungen besonders gefährdet sind. Das alles sind Themen, die Bayern betreffen.

Die Ukraine übrigens kann sich auch nur so gut gegen Russland behaupten, weil sie das Satellitensystem Starlink von Elon Musk nutzt, um Drohnenangriffe aufs russische Militär zu fahren. Die Ukraine wüsste ohne die Satellitendaten ja gar nicht, wohin sie zielen soll. Auch Deutschland hat erkannt, wie wichtig ein solches System für den Verteidigungsfall wäre. Die Europäische Union entwickelt daher nun ihr eigenes, das sogenannte IRIS2.

Und welchen Beitrag könnte Bayern in all dem leisten?

Walter: Zum Beispiel in der Forschung. Oder in der Wirtschaft beim Bau von Satelliten oder als Zulieferer. Warum sollte man diesen Markt einfach den USA oder China überlassen? Bayern mit seinen Wäldern, Flüssen und der Landwirtschaft braucht selbst Daten von Satelliten. Und natürlich könnte Bayern auch Satelliten für andere bauen. Schweden hat schon Interesse bekundet an einem bayerischen Satelliten, der die Wälder auf Schäden untersucht.

"Satelliten sind Einzelstücke, sie werden nicht am Fließband produziert."

Wie muss man sich die Produktion von Satelliten eigentlich vorstellen?

Auf jeden Fall nicht so wie den Bau von Autos. Satelliten sind Einzelstücke, sie werden nicht am Fließband produziert. Und wenn ein Satellit im Orbit mal einen Defekt hat, dann kann man ihn nicht einfach in eine Werkstatt bringen. Satelliten müssen eine extrem hohe Qualität haben, das macht sie auch so teuer. Sie sollen ja im Schnitt 15 Jahre halten. Und sie werden in den Orbit geschossen, um eine ganz bestimmte Aufgabe zu erfüllen. Deshalb gibt es ja Tausende von Satelliten und sie werden täglich mehr.

Stichwort Weltraumschrott: Was passiert denn dann mit alten, nicht mehr funktionstüchtigen Satelliten? Können die irgendwie "entsorgt" werden oder fliegen die für alle Ewigkeiten um die Erde?

Es gibt seit etwa 15 Jahren die internationale Richtlinie, dass kein Satellit länger als 25 Jahre oder spätestens 5 Jahre nach Missionsende im Weltraum verbleiben darf, sondern spätestens dann irgendwie entsorgt werden muss. Die Einhaltung dieser Richtlinie müssen die einzelnen Raumfahrtnationen überwachen.

"Die ESA soll die Raumstation Lunar Gateway aufbauen, die um den Mond kreist."

Zuletzt war in den Zeitungen oft von einem Mondkontrollzentrum in Oberpfaffenhofen zu lesen. Ministerpräsident Söder wolle den bayerischen Standort des Deutschen Zentrums für Luft- und Raumfahrt zu einem "Houston Deutschlands" machen. Was verbirgt sich dahinter?

Das ist nur ein kleiner Mosaikstein der bayerischen Raumfahrtpläne. Aber von Anfang an: Die US-Raumfahrtbehörde NASA will zum Mond fliegen. Für dieses Artemis-Programm, wie die NASA es genannt hat, sucht sie Partner. Unter anderem die Europäische Weltraumorganisation ESA mit ihren 22 Mitgliedsstaaten, zu denen auch Deutschland zählt. Die ESA soll die Raumstation Lunar Gateway aufbauen, die um den Mond kreist. Das heißt: Wenn Astronauten zum Mond fliegen, machen sie einen Zwischenstopp an diesem Gateway und steigen um in ein Landegerät für den Mond. Dazu braucht es aber auch Stationskontrollzentren, die es weltweit gibt. Innerhalb der ESA wird nun ein Standort gesucht. Oberpfaffenhofen hat sich darauf beworben.

Wie stehen die Chancen?

Ich denke, sehr gut. Denn Oberpfaffenhofen bietet schon eine gute Infrastruktur. Hier ist schon das Galileo Kompetenzzentrum und das Columbus-Kontrollzentrum für das europäische Forschungslabor an der Internationalen Raumstation ISS angesiedelt. Letztlich müsste man in Oberpfaffenhofen nur ein Gebäude dran bauen.

Und was hat das Ganze für einen Nutzen für Bayern?

Bayern würde einen großen Beitrag für die Mondmissionen leisten, wäre damit ein wichtiger Teil der internationalen Forschungsgemeinschaft und würde weitere Unternehmen und Wissenschaftler anziehen. Wir wollen doch nicht die letzten, sondern vorne dran sein.

Sie sind Physiker und waren als Wissenschaftsastronaut 1993 einmal im All. Was ist das eigentlich für ein Gefühl, die Erde von weitem zu sehen?

Ein unbeschreibliches. Man bekommt einen anderen Blick auf die Welt. Wenn Sie da oben sind und keine politischen Grenzen sehen zwischen europäischen Staaten, aber auch Russland, dann wird Ihnen klar: Wir sind alle Eins.

"Die Raumfahrt an sich ist sehr philosophisch."

Das hört sich philosophisch an …

Die Raumfahrt an sich ist sehr philosophisch. Uns treibt die jahrtausendealte Frage an, ob wir allein in diesem Universum sind. Markus Söder hat einmal wörtlich gesagt: "Raumfahrt ist ein Stück Religion." Raumfahrt könne dazu beitragen, die Rolle des Menschen im Universum zu verstehen. Das kann ich nur unterstreichen.

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