Wandern liegt im Trend. Auch bei uns in der Familie. Wenn man in Steinwurfweite zum Fichtelgebirge wohnt, dann liegt es ganz nah. Raus aus der Stadt, rein in die Natur – oder, wie es momentan die meisten machen, rein ins Auto, das einen möglichst nah an den Spot bringt. Denn was früher einfach Wandern war, ist heute oft essenziell für den Instagram- oder TikTok-Kanal: Der perfekte Blick aufs Gipfelkreuz muss unbedingt ins rechte Licht gerückt werden – mit Ringlicht, Drohne und Outfitwechsel im Rucksack.

Der Weg? Ach egal, spielt keine Rolle. Wer will sich schon die neuen, teuren Sneaker auf matschigen Pfaden ruinieren? Also lässt man sich zum Fotopunkt chauffieren, steigt kurz aus, macht 30 Bilder in die Abendsonne und ist spätestens zur goldenen Stunde wieder im WLAN. Wandern war einmal ein Weg nach innen. Heute ist es ein Weg ins mobile Netz.

Die Natur ist kein Fotostudio

Was dabei gern übersehen wird: Die Natur ist kein Fotostudio mit garantierter Stimmung. Sie ist ein empfindliches Ökosystem, das unter der neuen Outdoor-Begeisterung ächzt. Seltene Pflanzen werden zertrampelt, weil man für den besseren Bildausschnitt nur kurz ins Gebüsch geht. Uferzonen verkommen zu Müllhalden, weil die Picknickdecke für das Reel wichtiger ist als der Respekt vor dem Lebensraum.

Und während die einen mit Musikboxen durchs Biotop marschieren, machen sich Wildtiere lautlos aus dem Staub. Denn was früher ein Ort der Stille war, ist heute eine Bühne für Selbstinszenierung. Die Natur wird nicht mehr erlebt, sondern benutzt. Wer nichts postet, war schließlich nicht wirklich dort, oder?

Auch Kirchen am Wegesrand verkommen zur reinen Kulisse. Kein stilles Gebet, kein Moment der Einkehr. Nur ein kurzer Stopp fürs gotische Selfie: #blessed. Dabei könnten diese Orte so viel mehr sein: ein Ort, um einen Schluck Wasser zu trinken, ein Stoßgebet zu sprechen oder auszuatmen. Aber wer auf dem Weg zur nächsten Hängebrücke ist, hat für den stillen Seitenaltar keinen Algorithmus übrig.

Vermeintliche Naturverbundenheit

Es wird besonders absurd, wenn Influencer auf ihren Kanälen von Naturverbundenheit schwärmen, sich aber mit SUV, Stylist und Drohnenpilot in die entlegensten Gegenden fahren lassen. Die Ergebnisse sind makellos. Die Realität ist zermürbend – vor allem für die Wege, die Pflanzen und die Tiere. Und für all jene, die wirklich wandern wollen, ohne ständig ausweichen zu müssen, weil jemand gerade seine dritte Pose auf moosigem Untergrund einnimmt.

Natürlich ist es schön, dass Menschen hinauswollen. Natürlich ist es gut, dass Bewegung und Naturerfahrung einen neuen Wert bekommen. Aber es macht einen Unterschied, ob ich den Weg gehe, um anzukommen, oder um etwas abzuliefern. Fürs Netz. Für das Bild. Für das Ego.

Wandern war, jetzt klinge ich vielleicht wie mein Opa, etwas ganz anderes. Jeder Schritt zählte. Jeder Umweg erzählte eine Geschichte. Heute zählt oft nur noch das Ergebnis. Der Blick, das Foto, der Ruhm. Das Digitale hat das Draußen verschlungen – und mit ihm oft auch den Respekt vor dem, was lebt, wächst, flüchtet oder schweigt.

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