Sonneberg, das klingt hübsch und beschaulich. Doch was dort am Sonntag passiert ist, ist erschreckend: Der AfD-Kandidat Robert Sesselmann hat die Stichwahl um das Landratsamt gewonnen.

Der Präsident des Zentralrats der Juden, Josef Schuster, spricht von einem "Dammbruch". Und tatsächlich, mit diesem Wahlergebnis stellt die rechtsextreme Partei erstmals einen Politiker, der ein exekutives Amt ausfüllt. Doch sollten wir ehrlich sein: Der Damm gegen rassistische, antisemitische, queerfeindliche und antimuslimische Hetze war auch vorher schon sehr löchrig. 

Lieblingsthemen der AfD werden rauf- und runter dekliniert

Das erleben wir gerade im bayerischen Wahlkampf, wo sowohl die Freien Wähler als auch die CSU in ihrer Rhetorik oftmals frappierende Ähnlichkeiten zur AfD aufweisen. Ohnehin sind wir Zeug*innen geradezu dramatischer Diskursverschiebungen: Die Lieblingsthemen der AfD - Gendern, Migration, LGBTQ – werden nicht nur von strammen Konservativen, sondern bis weit in die vermeintlich liberale Mitte der Gesellschaft hinein rauf- und runter dekliniert. 

Progressive und emanzipatorische Bewegungen, die gleiche Rechte für alle oder auch nur das Einhalten von minimalsten Klimaschutzzielen fordern, stehen oftmals unter Generalverdacht und werden mit Kampfbegriffen wie "Cancel Culture" diffamiert. Denjenigen, die unermüdlich auf Probleme mit rechtsradikalen Meinungen hinweisen, wird ein Zuviel an Moral attestiert. Dabei haben Jüdinnen und Juden, Muslim*innen, Schwarze Menschen, Menschen mit Behinderungen, Queere, Sinti und Roma und viele mehr in Deutschland ganz reale Existenzängste, und zwar physisch wie psychisch.

Doch anstatt auf wirklich vorhandene Bedrohungen von Menschenleben einzugehen, retten deutsche Politiker*innen lieber zum hundertsten Mal die Bratwurst vor einer eingebildeten Bedrohung durch Veganer*innen oder verteidigen das vermeintliche Recht rückwärtsgewandter Menschen, weiterhin rassistische und sexistische Sprache nutzen zu dürfen, bis aufs Blut. 

AfD-Inhalte zu kopieren nützt nur der AfD

All das nützt der AfD. Man kann sie nicht bekämpfen, indem man ihre Inhalte übernimmt und glaubt, ihr somit Wasser bzw. Wählerstimmen abgraben zu können. Die Leute sind nicht dumm, sie wählen lieber gleich das Original. Und zu sehen, dass auch andere Parteien die Forderungen der AfD an- bzw. sogar übernehmen, bestärkt sie nur darin, weiter für diese Partei zu stimmen. 

Hilfreich wäre alleine eine konsequente Abgrenzung. Doch stattdessen erlaubt man es der AfD, Themen auf die Agenda zu setzen. Bei diesem Spiel wird man immer wieder und wieder verlieren.

Vor knapp zwei Wochen hat die deutsche Bundesregierung einem EU-Beschluss zum Asylrecht zugestimmt, der vorsieht, Menschen während der Prüfung ihres Asylantrags an der EU-Außengrenze in Lagern zu internieren. Sie hat damit eine seit langem bestehende Forderung der AfD umgesetzt und in Regierungspolitik verwandelt. Vor einem solchen Hintergrund ist ein Lippenbekenntnis gegen rechtsradikale Weltbilder und Parteien natürlich wenig glaubwürdig. 

Es soll sich also bitte niemand wundern über die Wahl des AfD-Landrats. Im Grunde war sie nur eine Frage der Zeit. Und bitte jetzt keine Schuldzuweisungen an "die Ostdeutschen". Ja, durch die trostlose wirtschaftliche Situation in vielen ostdeutschen Kommunen kann die AfD dort oft schneller Erfolge verzeichnen. Aber Sonneberg kann morgen schon in Bayern, in Hessen oder Nordrhein-Westfalen liegen.

Vermutlich werden viele dann wieder vom "Dammbruch" ("zum ersten Mal auch in Westdeutschland" – 33 Jahre nach der Einheit) sprechen – und dennoch zurück zur Tagesordnung kehren, auf der wieder irgendeine "Markus Lanz"-Sendung steht. Thema: "Wollen die Woken unsere abendländische Kultur vernichten?" Und auch ohne AfD-Politiker*innen in der Runde sitzt die AfD weiter mit am Tisch. 

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