Herr Kopp, die bayerische Landeskirche steht vor etlichen Aufgaben. Haben Sie zwischendrin gedacht, ach, wäre ich lieber Regionalbischof geblieben?
Christian Kopp: Es sind wirklich schwierige Zeiten. Je mehr Verantwortung man trägt, desto herausfordernder wird es. Ich spreche gerade mit vielen Menschen in Leitungsfunktion in anderen Organisationen, und es zeigt sich: die Herausforderungen sind überall sehr ähnlich. Es gibt kaum ein Thema, das nicht gleich für hitzige Diskussionen sorgt.
Und welches Thema der letzten Monate war am heikelsten?
Das ist der 25. Januar mit der Veröffentlichung der ForuM-Studie zur Aufarbeitung von sexualisierter Gewalt. Wir waren nicht schlecht vorbereitet, aber die sich anschließende Diskussion über Zahlen hat die öffentliche Aufmerksamkeit leider abgelenkt von der viel wichtigeren Situation der betroffenen Personen.
"Ich hätte mehr Respekt vor den Ergebnissen der Studie zeigen und sagen sollen, nein, das lassen wir jetzt erstmal wirken"
Was hätte man da anders machen können?
Die gesamte Öffentlichkeitsarbeit wurde von den Forschenden gesteuert. Im Nachhinein hätte ich mir gewünscht, dass sich die EKD nicht gleich in der Pressekonferenz äußert, sondern erst mit einigem zeitlichen Abstand. Das hätte ich angemessener gefunden.
Ich selbst habe mich auch zu vorschnellen Äußerungen unmittelbar nach der Pressekonferenz verleiten lassen. Auch hätte ich mehr Respekt vor den Ergebnissen der Studie zeigen und sagen sollen, nein, das lassen wir jetzt erstmal wirken. Und dann habe ich mich ja ein bisschen verstrickt in die Kommunikation um die Zahlen. Das war einfach ungünstig.
Was tut die Landeskirche jetzt mit den Ergebnissen der Forums-Studie?
Die Studie hat uns die Informationen gegeben, die wir wollten: Wir wollten erfahren, wie aus Sicht der betroffenen Personen die evangelische Kirche in Deutschland und ihre Gliedkirchen mit dem Thema sexualisierter Gewalt umgehen. Wir werten dies nun auf unterschiedlichen Ebenen aus. Das Beteiligungsforum hat im Februar bereits ein umfangreiches Arbeitspaket beschlossen. Anfang März hat die Kirchenkonferenz mit den leitenden Geistlichen und Juristen aller 20 Landeskirchen mit dem Beteiligunsforum beraten. Aber auch intern beschäftigen wir uns intensiv mit verschiedenen Aspekten, sowohl mit Fachleuten, die seit vielen Jahren an dem Thema arbeiten, als auch durch die Gründung einer Lesegemeinschaft der Studie von externen Personen, die ich ins Leben gerufen habe, um die Ergebnisse zu analysieren. Es gibt viele Punkte, die wir angehen. Das war auch der Sinn der Studie.
"Bei der Synode darf nicht so getan werden, als sei nichts passiert"
Im April tagt die Landessynode in Coburg: Was wird dort beschlossen?
Auf der bayerischen Landessynode wird jetzt noch nichts beschlossen, denn das wäre genau das, was die betroffenen Personen uns als Spiegel vorgehalten haben: 'Ihr entscheidet für euch, anstatt mit uns in den Dialog zu kommen'. Das Beteiligungsforum ist für uns das entscheidende Gremium, um die Dinge voranzubringen. Entscheidungen sollen auf der Herbstsynode im November in Amberg getroffen werden. Es muss klar sein, dass wir gemeinsam mit den Betroffenen vorgehen und nicht als Kirchenleitung alleine.
Gleichwohl darf in Coburg nicht so getan werden, als sei nichts passiert. Thematisch wird das Thema sexualisierte Gewalt natürlich in meinem Bischofsbericht ein Schwerpunkt sein, und auch die Landessynodalpräsidentin wird das Thema aufgreifen.
Wo sehen Sie Ihre Aufgabe beim Thema sexualisierte Gewalt in Kirche und Diakonie?
Meine Aufgabe ist es, den Menschen klarzumachen, dass wir auf unsere Grenzen und auf unsere Achtsamkeit achten müssen. In solchen Zeiten der Veränderung, in denen sich unsere Kirche befindet, ist es wichtig, die Menschen zu stärken - sowohl diejenigen, die für unsere Kirche arbeiten, als auch die Kirchenmitglieder. Das ist mein Hauptanliegen als Bischof. Ich glaube, dass Religion Wirkung hat, und deshalb liegt momentan ein starker Fokus darauf, die Arbeitsbereiche der Fachstelle und der Ansprechstelle zu verbessern.
Inwieweit gibt es eine theologische Diskussion über Schuld, Sühne und Rechtfertigung?
In der Studie wurden dazu schon wesentliche Punkte genannt. Dazu gehören Schuld und Vergebung. Wir haben in der Kirche oft eine Art Harmoniezwang, wo wir denken, wir müssen alles einstimmig entscheiden, und wenn es keine Einstimmigkeit gibt, dann wird das als Störung empfunden. Der Umgang mit Widerständen, der Umgang mit Menschen, die am Ende sagen, "das passt mir nicht", die stören - nach meiner Meinung sollten wir diese Menschen in der evangelischen Kirche willkommen heißen. Ich werde in 14 Tagen jemanden verheiraten, der im Religionsunterricht bei mir immer gestört hat. Aber er hat Wesentliches zum gemeinsamen Lernen beigetragen. Wir müssen akzeptieren, dass Menschen, die unsere Wohlfühlatmosphäre stören, vielleicht sogar Zeugen Christi sind und uns unsere Schattenseiten zeigen.
"Wer in der AfD ein Mandat hat, ist nicht geeignet für den Kirchenvorstand"
Sind denn AfD-Leute auch Störer?
Was sind AfD-Leute? Sind es Menschen, die für die AfD in ein politisches Amt gewählt wurden? Sie müssen wir befragen, ob sie wissen, was sie tun. Es gibt Mandatsträger, deren Handeln mit dem christlichen Menschenbild nicht übereinstimmt. Sie grenzen aus, sie sind rassistisch, menschenverachtend, sie vertreten eine gruppenbezogene Menschenfeindlichkeit, und das muss man aufdecken und beim Namen nennen.
Wer in der AfD ein Mandat hat, ist nicht geeignet für den Kirchenvorstand, weil sich ein Kirchenvorstand dem christlichen Menschenbild verpflichtet und der ganzen christlichen Botschaft, die davon ausgeht, dass die Würde jedes Menschen unantastbar ist, und nicht nur die Würde des deutschen Menschen.
In der bayerischen Landeskirche werden Dekanate zusammengelegt, Kirchenkreise reduziert, Strukturen verändert: Gibt es da Proteste?
Diese strukturellen Veränderungen interessieren die Leute in den Dekanatsausschüssen und den Bischof, aber sonst interessieren sie doch nicht so sehr. Daher sollten wir ihnen nicht zu viel Aufmerksamkeit schenken. Ich bin fest davon überzeugt, dass wir zu viel über Strukturen nachdenken. Stattdessen sollten wir viel mehr Energie darauf verwenden, herauszufinden, was wir hier in Bayern für unsere Mitglieder tun können, wenn wir in die Zukunft blicken. In zwanzig Jahren wird sich die evangelische Kirche personell halbiert haben. Deshalb muss sich jetzt viel verändern. Natürlich gibt es auch Widerstand. Insgesamt glaube ich aber, dass wir die Veränderungen benötigen und die Kirchengemeinden und Dekanatsbezirke weiterentwickeln müssen.
Welche Themen wollen Sie in den Gemeinden vorantreiben?
Kinder und Jugendliche stehen an erster Stelle. Ich bin stark auf der Seite der Forscher, die sagen, dass Corona eine Katastrophe für Kinder und Jugendliche war. Dies wird uns noch lange beschäftigen, diese Jugendlichen werden später darüber nachdenken, was sie im Alter von 17, 15 oder 13 alles nicht tun durften. Es ist äußerst wichtig, Kinder und Jugendliche für ihre Lebensaufgaben zu stärken.
Außerdem ist freiwilliges Engagement entscheidend, und zwar nicht nur für die Kirche, sondern auch für die Demokratie. Das hat uns auch die Kirchenmitgliedschaftsuntersuchung wieder gezeigt: Religiöse Menschen engagieren sich häufiger ehrenamtlich als andere, und zwar nicht nur in der Kirche, sondern auch an anderen Orten, z.B. im Sportverein.
Ein weiteres Thema: Haben wir unsere Mitglieder vor Ort und ihre Bedürfnisse im Blick? Wir bieten viele Angebote, die wir immer schon angeboten haben. Fragen wir jedoch genug danach, wen das interessiert?
Auch der Religionsunterricht spielt eine wichtige Rolle. Es war berührend für mich zu erfahren, dass die Befragten in der Kirchenmitgliedschaftsuntersuchung sagten, im Religionsunterricht hätten sie einen Raum erlebt, in dem ihre Meinungen nicht bewertet wurden. Sie durften dort Dinge sagen, von denen sie wussten, dass der Lehrer sie nicht kritisiert, sondern akzeptiert.
"Wir kommen aus einer schwierigen Vergangenheit, aber wir kämpfen wir für den Erhalt der Demokratie in Zukunft"
Wie muss und kann sich Kirche für Demokratie einsetzen?
Solange es eine evangelische Kirche gibt, wird sie sich für die Demokratiebildung einsetzen. Wir kommen aus einer schwierigen Vergangenheit, aber wir kämpfen wir für den Erhalt der Demokratie in Zukunft. Daher ist der Landesbischof bisher immer der Vorsitzende des Bündnisses für Toleranz in Bayern gewesen.
Der Antisemitismus ist seit fast zehn Jahren ein schwieriges Thema in Europa und hat sich seit dem Überfall der Hamas auf Israel am 7. Oktober letzten Jahres weiter verschärft. Es bedarf einer gemeinsamen Bewegung aller, um dem entgegenzuwirken. Erinnerung spielt dabei eine große Rolle. Wir müssen uns erinnern, woher wir kommen und welche Worte schon einmal verwendet wurden. Daher unterstütze ich Gedenkstättenarbeit in Flossenbürg, Dachau, Seeshaupt und an vielen anderen Orten, wo Menschen sich dafür einsetzen, dass nicht vergessen werden.
Im Rahmen der Passionsspiele in Oberammergau war eine jüdische Forscherin aus Amerika anwesend und stellte Fragen zu den Glasfenstern in der evangelischen Kirche. Für die Art und Weise, wie Juden in den Bildern dargestellt werden - mit überspitzten Merkmalen - muss erklärt werden. Wir benötigen eine Sensibilität dafür und müssen dann andere darauf aufmerksam machen. Auch scheinbar kleine Zeichen sind wichtig, und Erinnerung braucht Menschen, die sich dafür einsetzen.
Früher haben sich die Kirchen sehr deutlich für den Frieden engagiert. Seit dem Beginn des Angriffskriegs auf die Ukraine kursieren verschiedene Meinungen, wie gehen Sie damit um?
Die Diskussionen sind schwieriger geworden, besonders angesichts der aktuellen globalen Lage. Unsere Rolle als Kirche besteht darin, die Vielfalt auszuhalten, wenn es innerhalb der Kirche unterschiedliche Standpunkte zum Thema Waffenlieferungen in die Ukraine gibt. Wir sollten nicht versuchen, eine Position als die einzig richtige zu deklarieren. Kirche kann ein Ort sein, an dem Dialoge geführt werden.
Wir streben danach, Frieden zu schaffen, indem wir einen möglichst ausgewogenen Ausgleich zwischen den beteiligten Parteien herstellen. Doch in Fällen wie der aktuellen Situation in der Ukraine, in der es einen Aggressor gibt, der sich nicht um die Meinungen anderer schert, müssen wir die Menschen in der Ukraine unterstützen, die für ihr Land und ihr Leben kämpfen.
Gibt es Bemühungen der Kirche, diplomatische Gespräche mit Kirchen in Russland und der Ukraine zu führen?
Der Ökumenische Rat der Kirchen versucht es. Aber wenn auf der anderen Seite eine Institution steht wie etwa die Russisch-Orthodoxe Kirche, die keinen Milimeter von der Haltung Putins abweicht, dann wird es herausfordernd. In der Vergangenheit haben Kirchen oft im Hintergrund gewirkt und konnten vermitteln. Der Ökumenische Rat der Kirchen versucht sein Bestes, aber in der aktuellen Situation ist es schwierig.
"Jesus ist Ratgeber und Tröster zugleich"
Zum Abschluss: Welches Bild von Jesus haben Sie?
Mich fasziniert, wie sich im Laufe des Lebens immer wieder neue Aspekte in den Geschichten über Jesus entdecken lassen. Für mich ist Jesus eine einzigartige Persönlichkeit, deren Wirkung auf die Weltgeschichte und auf jeden Einzelnen beeindruckend ist. Ich betrachte ihn als meinen Erlöser und einen guten Begleiter. Ich glaube daran, dass in jeder Person verschiedene Eigenschaften stecken, und das gleiche gilt auch für Jesus - er ist Ratgeber und Tröster zugleich.
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Am Schluss die Frage Welches…
Am Schluss die Frage
Welches Bild von Jesus haben Sie?
Da gibt es viele mögliche Antworten. Jeder Christ hat seine eigenen Erfahrungen und sein eigenes Bild. Aber ein Bild ist nur ein Bild.
Wesentlich ist Jesus Christus selbst.
Habe ich eine persönliche Beziehung zu ihm??
Wenn nein, suche ich sie? Erfahrungsgemäß wartet er darauf, sehr behutsam.
Wenn ja, dann ist das sehr individuell.
Da können Gläubige viel Schönes und Wunderbares erzählen.
Ich selbst erlebe, wie er unsichtbar bei mir steht, und je und dann etwas sagt (mir selber leider viel zu selten, aber doch, wenn es wichtig ist). Einmal war es ein lebenswichtiger Auftrag, einmal war es eine herausfordernde Frage.
Ich danke für die Gelegenheit, hier etwas Persönliches schreiben zu können.
Möge es irgend jemandem helfen.