"Das sind Engel der Straße", schwärmt Marek. Zwei junge Männer stehen ein wenig verlegen vor dem rothaarigen Mann mit dem runden Gesicht, jeder hält eine große Packpapiertüte in der Hand. Daraus hat Nadeem Ahmed gerade eine Klarsichttüte genommen und Marek gegeben. Ein Minipack Orangensaft, zwei Schokoriegel und ein Duschgel sind darin. Nichts Großes, nichts Wertvolles, doch der Beschenkte freut sich darüber, genauso wie die anderen Wohnungslosen, die mit ihm auf einer Bank unweit des Nürnberger Hauptbahnhofs an diesem warmen Nachmittag den Schatten suchen.

28 Jahre ist Nadeem alt. Er trägt Vollbart, ein einfaches dunkelblaues T-Shirt, auf dem Rücken einen Rucksack, auf dem Kopf - mit dem Schild nach hinten - eine ausgewaschene Baseballkappe. Sein Begleiter ist Khaqan Khalid. Der 17-Jährige hat vor kurzem die Mittlere Reife absolviert, will nun Abitur machen und Medizin studieren. "Ich möchte Chirurg werden", verkündet er fest seinen Zukunftsplan. Die beiden haben sich in der Ahmadiyya-Moschee kennengelernt.

"Der Koran lehrt uns, kümmert euch um die Bedürftigen - das ist unsere Glaubensüberzeugung",

erzählt Nadeem. "Wenn jemand einem Menschen das Leben erhält, so soll es sein, als hätte er der ganzen Menschheit das Leben erhalten", zitiert er die entsprechende Sure.

Die Ahmadiyya-Gemeinde: Klein, aber selbstbewusst

"Ich habe größten Respekt vor dem persönlichen Engagement dieser jungen Menschen", sagt der Leiter der Nürnberger Begegnungsstätte zwischen Christen und Muslimen, "Brücke-Köprü", Thomas Amberg: "Das ist ein mutiger kleiner Anfang."

Angesichts von fünf Millionen Muslimen in Deutschland sollte für die Entwicklung und Gestaltung muslimischer Wohlfahrtsverbände etwas getan werden, stellt der evangelische Pfarrer fest - denn Muslime hätten spezielle Ansprüche etwa an Beratung oder Seniorenbetreuung. Diese Dienste seien aber fast ausschließlich in den Händen der christlichen Wohlfahrtsverbände oder der Arbeiterwohlfahrt.

Die Ahmadiyya-Gemeinde wiederum sei als Körperschaft des öffentlichen Rechts anerkannt und könne daher für ihren 2018 gegründeten Wohlfahrtsverband An-Nusrat Fördergelder des Staates erhalten, berichtet Amberg. In Nürnberg ist die Ahmadiyya-Moschee nach seinen Informationen nur eine kleine Gemeinde, die aus einem Dutzend Familien mit ungefähr 200 Menschen bestehe. Auch deutschlandweit sei Religionsgemeinschaft mit 20.000 Mitgliedern klein, "aber selbstbewusst", sagt der Pfarrer.

Die Gemeinschaft versteht sich als Reformgemeinde innerhalb des Islams, wird aber von vielen Sunniten und Schiiten nicht als islamisch anerkannt. Der Grund ist, dass ihr Gründer für sich beanspruchte, der von Mohammed prophezeite Messias zu sein. Laut eigenen Angaben wird sie in mehreren Ländern, darunter Pakistan, Indonesien und Bulgarien, verfolgt.

Gänsehaut-Situationen beim Helfen

Mit missionarischem Pathos geht Ahmadiyya-Mitglied Nadeem Ahmed seit Januar alle zwei Wochen zusammen mit anderen jungen Leuten aus seinem Freundeskreis zu den Brennpunkten in Nürnberg. "Weil wir alle Gottes Geschöpf sind und es mir gut geht, finde ich, dass das meine Pflicht ist, mich um die zu kümmern, denen es nicht gut geht", sagt er. Sein Freund Khaqan fügt an, "mir zerreißt es das Herz, wenn ich Menschen auf der Straße sitzen sehe".

Er erinnert sich, als er bei bitterer Winterkälte einen schlafenden Mann im Rollstuhl angetroffen habe, dessen Füße amputiert waren. Neben ihm sei ein zweiter mit Verletzungen gelegen - "das war das Furchtbarste, was ich je gesehen habe", schaudert Khaqan noch heute. Hilfe hätten beide vehement abgelehnt.

Auf seinen Touren habe auch er anrührende Momente mit den Wohnungslosen erlebt, berichtet Nadeem. Er denkt etwa an den jungen Kerl, der ihm sagte, dass er so gern einmal wieder eine warme Pizza haben wollte. "Andere umarmen mich oder weinen - sie sind so herzlich", sagt der junge Mann, der als Erzieher in der Kinder- und Jugendpsychiatrie in Ansbach tätig ist. "Ein Mann, der von uns etwas bekommen hatte, fing an, in seinen Taschen zu kramen und schenkte uns einen Ring. Da bekommt man Gänsehaut, dass jemand in einer solchen Situation auch an den anderen denkt."

Nadeem Ahmed leitet ehrenamtlich die "Soziale Küche" von "An-Nusrat". Das Projekt ist keine echte Küche, soll aber mittelfristig ein fester Anlaufpunkt für arme Menschen in der Stadt werden. Seit Anfang des Jahres versuchen sie, den Kontakt zu den "Klienten" aufzubauen:

"Wir wollen eine feste Beziehung und Vertrauen, damit wir sie dann von der Straße holen können, wenn sie es möchten."

Mario zählt zu diesen Klienten. Er hat sich in der Königstraße einen Platz auf den Treppenstufen zu einem leer stehenden Ladengeschäft gesucht. In Nürnberg würden immer wieder Helfer vorbeikommen, die armen Menschen auf der Straße unter die Arme greifen, lobt er. Noch am selben Abend erwarte er die "Bollerwagen-Crew" aus dem Nürnberger Land. Sonntags sei immer ein wohltätiges Ehepaar mit Gaben unterwegs. "Aber ich war jetzt überrascht, als die beiden mir sagten, dass sie Muslime sind", meint Mario, "ich habe ihnen gesagt - das find' ich dufte".

Kommentare

Diskutiere jetzt mit und verfasse einen Kommentar.

Teile Deine Meinung mit anderen Mitgliedern aus der Sonntagsblatt-Community.

Anmelden