Wieviel wissen Berufsanfänger über Antisemitismus und seine Ausprägungen? Oft wenig, hat Helga Riedl vom Menschenrechtsbüro der Stadt Nürnberg festgestellt. Die Stabsstelle der Stadt Nürnberg hatte deshalb die Auszubildenden im mittleren und gehobenen Dienst der Frankenmetropole für ein Schulungsprojekt der Europäischen Janusz-Korczak-Akademie angemeldet.

Unter dem Titel "Menschlichkeit bewahren! Kommunen sensibilisieren und stärken!” wurden dabei seit November 2021 rund 600 Menschen in kommunalen Behörden Bayerns für Diskriminierungen gegen jüdische Bürger und gegen Menschen mit Behinderung sensibilisiert.

Am Projekt beteiligt waren laut Korczak-Akademie die Städte München, Nürnberg, Regensburg, Bamberg, Bayreuth sowie zahlreiche kleinere Kommunen. Die Schirmherrschaft dafür hatte der Beauftragte der Bayerischen Staatsregierung für jüdisches Leben und gegen Antisemitismus, Ludwig Spaenle (CSU), übernommen.

Menschenfeindliche Narrative werden oft nicht hinterfragt

Dass auch in den Kommunalverwaltungen mehr Aufmerksamkeit für das Thema Diskriminierung nötig ist, hält Projektleiter Maximilian Feldmann für offensichtlich.

"Wie in der breiten Gesellschaft findet man auch in Verwaltungen oder Ämtern die Bereitschaft, menschenfeindliche Narrative nicht zu hinterfragen”, erklärte Feldmann anlässlich der Abschlussbilanz des Projekts im Sonntagsblatt-Gespräch. Aber Menschen, die Opfer von Diskriminierung geworden sind, müssten gerade bei der Polizei, in der Ausländerbehörde oder im Jugendreferat und bei anderen kommunalen Stellen auf Verständnis und Unterstützung treffen.

"Kommunen sind deshalb wichtige Partner bei der Präventionsarbeit", betonte er.

Wie nötig eine breite Sensibilisierung beim Thema Antisemitismus ist, zeigen die jüngsten Daten von Bundeskriminalamt (BKA) und der "Recherche- und Informationsstelle für Antisemitismus" (RIAS). Allein im Jahr 2021 sind laut BKA die Zahlen von antisemitischen Straftaten in Deutschland um 29 Prozent gegenüber dem Vorjahr angestiegen: Statt der 2.351 Fällen im Jahr 2020 registrierte die Behörde 2021 bereits 3.028 Fälle.

Antisemitismus in allen gesellschaftlichen Bereichen "grässliche Normalität"

Für Bayern verzeichnet RIAS laut ihrem Jahresbericht von 2022 einen leichten Rückgang der Fälle gegenüber 2021; im Vergleich zum Jahr 2020 seien sie jedoch noch immer deutlich höher. Für München vermerkt die Stelle sogar eine Zunahme von rund 70 Prozent. 183 Fälle seien es 2022 allein in der Landeshauptstadt gewesen.

"Antisemitismus ist in allen gesellschaftlichen Bereichen eine grässliche Normalität", ist im Vorwort die ernüchternde Bilanz von Rias-Leiterin Annette Seidel-Arpaci.

Dabei gibt es für das Thema eine große Offenheit bei den städtischen Mitarbeitenden, hat Helga Riedl in Nürnberg erlebt. Die Begegnung und den Austausch mit jüdischen Menschen hätten die Azubis begeistert aufgenommen, sagte die Beauftragte für Menschenrechtsbildung.

Dass solche persönlichen Begegnungen hoch im Kurs stehen, bestätigt auch Max Feldmann von der Korczak-Akademie: "Es geht uns darum zu zeigen, wie jüdische Deutsche leben, und darum, den Kontakt zu fördern."

Antisemitismus bewusst machen

Die Seminare des Projekts seien hybrid oder in Präsenz abgehalten worden. Dabei wurden Fallbeispiele thematisiert, die antisemitische Erzählmuster offenlegten, um darüber mit den Teilnehmenden ins Gespräch zu kommen. Auch Hass und Hetze im Internet seien Schwerpunkte der Kurse.

Viele judenfeindliche Klischees würden ohne kritisches Hinterfragen weiterverbreitet, weiß Feldmann. Durch das Projekt würde das Thema Antisemitismus für viele Mitarbeitenden in den Behörden "ersichtlicher oder sogar erstmals bewusst".

Neben antisemitischer Diskriminierung behandelten die Seminare auch speziell das Thema Behindertenfeindlichkeit. Durch die NS-Morde im Rahmen der "Euthanasie" sei das aus historischer Sicht ebenfalls relevant, erklärt Feldmann.

"Bei vielen besteht noch immer diese Vorstellung, dass Menschen mit Behinderung nichts zur Gesellschaft beitragen würden - das stimmt nicht", erläutert er. Gerade kommunale Verwaltungen müssten bei all diesen Themen hellhörig sein - damit sie selbst zu diskriminierungsfreien Räumen würden, findet Helga Riedl. Die Nachfrage seitens der Kommunen ist jedenfalls hoch. Das Projekt "Menschlichkeit bewahren!" sei Ende April zu Ende, sagt Maximilian Feldmann, "aber wir schließen eine Fortführung nicht aus".

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