Eine Mehrheit der deutschen Bevölkerung hat einer neuen Studie zufolge ein starkes Problembewusstsein für Antisemitismus im eigenen Land. Laut einer Umfrage des Meinungsforschungsinstituts Allensbach wird Antisemitismus von 73 Prozent der Menschen als gesamtgesellschaftliches Problem wahrgenommen. Zugleich würden jedoch antijüdische Vorurteile "von einem beachtlichen Teil der deutschen Gesellschaft unterstützt".
Zwei Drittel: Juden nutzen Opfer-Status aus
Besonders weit verbreitet sei die Auffassung, dass Juden eng zusammenhalten, heißt es in der vom American Jewish Committee (AJC) in Auftrag gegebenen Studie. Dieser Aussage stimmten 65 Prozent der Befragten zu. Rund jeder Dritte sei überzeugt, dass Juden ihren Status als Opfer des Holocaust ausnutzten.
Die Zahlen belegten, dass Antisemitismus "keinesfalls nur ein Problem der politischen Ränder ist", beklagte der Leiter des AJC Berlin, Remko Leemhuis. Bis zu 35 Prozent der Bevölkerung teilten antisemitische Ressentiments. Insgesamt 23 Prozent der Befragten meinten, Juden hätten zu viel Macht in Wirtschaft und Finanzwesen. Knapp 20 Prozent sehen einen zu großen Einfluss von Juden in Politik und Medien.
AfD-Anhänger strukturell antisemitisch
Eine analoge Studie in Frankreich hatte ein ähnlich hohes Problembewusstsein in der Bevölkerung für Antisemitismus ergeben. Unter den Sympathisanten des rechtspopulistischen "Rassemblement National" seien antijüdische Einstellungen leicht zurückgegangen, sagte Simone Rodan-Benzaquen. Unter Anhängern der deutschen AfD habe er sich dagegen als strukturell herausgestellt, so die für Europa zuständige AJC-Vertreterin.
Das Meinungsforschungsinstitut Allensbach hatte im Auftrag des AJC in Deutschland 1.025 Personen befragt. Laut Jahresstatistik des Bundeskriminalamts nahm die Zahl politisch motivierter Straftaten gegen Religionsgemeinschaften 2021 insgesamt deutlich zu.
Nach den vorgestellten Zahlen lässt sich dieser Anstieg insbesondere auf einen Zuwachs um 40,46 Prozent bei Straftaten gegen religiöse Repräsentanten zurückzuführen. Delikte im Zusammenhang mit Synagogen nahmen demnach ebenfalls zu.
Bayern: Neues Konzept zur Antisemitismus-Bekämpfung
Das bayerische Kabinett hat am Dienstag in seiner Kabinettssitzung das knapp hundertseitige Gesamtkonzept "Jüdisches Leben und Bekämpfung des Antisemitismus" auf den Weg gebracht. Ziel des Gesamtkonzeptes ist es laut Kultusminister Michael Piazolo (Freie Wähler), alle Beteiligten, die sich bereits für jüdisches Leben einsetzen und sich gegen Antisemitismus engagieren, zusammenzuführen. Dazu soll auch eine interministerielle Arbeitsgruppe eingesetzt werden, an deren Sitzungen auch Vertreter der Israelitischen Kultusgemeinden in Bayern teilnehmen sollen.
Piazolo erinnerte daran, dass die Zahl der antisemitischen Vorfälle im vergangenen Jahr um 80 Prozent gegenüber 2020 gestiegen sei. Auch habe es mehr antisemitisch motivierte Straftaten im Freistaat gegeben.
Mit dem Gesamtkonzept wolle man auch ein "Signal für jüdisches Leben und gegen Antisemitismus" senden - und zugleich den Blick weiten, sagte der Minister. Das seit 1.700 Jahren bestehende jüdische Leben in Deutschland bestehe nicht nur aus dem Holocaust und der NS-Zeit. Gleichwohl bleibe das Gedenken an die jüdischen Opfer weiterhin zentral und wichtig.
Zahl antisemitischer Straftaten steigt
Das bayerische Justizministerium teilte parallel zur Kabinetts-Pressekonferenz neue Zahlen zu antijüdischen Straftaten bundesweit mit. Im Jahr 2021 verzeichneten die Behörden 3.027 solcher Straftaten - und damit einen neuen Höchststand. Gegenüber 2.351 antisemitischen Straftaten im Jahr 2020 ist das ein Anstieg von 30 Prozent bundesweit.
Bayerns Justizminister Georg Eisenreich (CSU), der aktuell Vorsitzender der Justizministerkonferenz von Bund und Ländern ist, sagte:
"Es ist eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe, alles für den Schutz des jüdischen Lebens in Deutschland zu tun."