Natalie Dornbaum fühlt sich bedroht. "Die Vorfälle haben stark zugenommen. Das belegen Statistiken eindeutig", sagt die 27-jährige Jüdin aus München. Judenfeindlichkeit - das ist ein uraltes Phänomen. Heute zeigt der Antisemitismus seine hässliche Fratze beispielsweise auf propalästinensischen Demos in Berlin mit gewaltverherrlichenden Parolen - oder auch bei Demos von Corona-Leugnern und Querdenkern mit volksverhetzenden Symbolen, sagt Dornbaum. Gerade in den sozialen Medien brechen regelmäßig Hasswellen über Jüdinnen und Juden herein.
Um Judenhass entgegenzutreten, braucht es laut Natalie Dornbaum mehr Aufklärung. "Ich hatte in der Schule zwei Jahre Geschichtsunterricht und habe nur einmal das Konzentrationslager Dachau besucht - das reicht nicht."
Aktive Antisemitismus-Bekämpfung müsse schon im Kindesalter beginnen. Wichtig wäre, dass Lehrkräfte ausreichend geschult sind, um Judenhass zu erkennen - der beginne nämlich oft im Klassenzimmer. "Politische Bildung ist der zentrale Schlüssel im Kampf gegen alle Formen gruppenbezogener Menschenfeindlichkeit", ist die junge Frau aus München überzeugt.
Das findet auch Josef Schuster, Präsident des Zentralrates der Juden in Deutschland. Lehrerinnen und Lehrer sollten vor allem besser auf Fälle von Antisemitismus an Schulen vorbereitet werden. Die meisten jungen Lehrkräfte kämen zwar gut ausgebildet in ihren Fachgebieten an die Schulen, sagte er der "Passauer Neuen Presse". Aber dem Thema Antisemitismus werde in der Regel kaum Raum gegeben, auch in den Lehrplänen:
Josef Schuster: "Lehrkräfte, sowohl erfahrene, wie frisch von der Universität kommende, wissen häufig nicht, wie sie mit antisemitischen Vorurteilen umgehen sollen."
Eine neue Umfrage, die vom American Jewish Committee (AJC) beim Institut für Demoskopie Allensbach in Auftrag gegeben wurde, hat untersucht, inwieweit antisemitische Stereotype innerhalb der deutschen Bevölkerung präsent sind. Das Ergebnis: Jeder Dritte stimmt dem Satz "Juden nutzen ihren Status als Opfer des Völkermords im Zweiten Weltkrieg zu ihrem eigenen Vorteil aus" zu. 27 Prozent sind überzeugt, dass Juden reicher seien als der durchschnittliche Deutsche. Die Studie zeigt auch: Antisemitismus ist unter AfD-Anhängern und Muslimen besonders stark verbreitet.
Es gibt aber auch junge Menschen, die sich klar gegen Antisemitismus positionieren - etwa die Teilnehmer der Aktion Youth Bridge München. Laut Eva Haller, Präsidentin der Europäischen Janusz Korczak Akademie und Mitorganisatorin der Youth Bridge München, muss Antisemitismus als Thema unbedingt in den Medien präsent sein. Wichtig sei aber auch, antisemitischen Aussagen und Taten "aktiv entgegenzutreten".
Das Projekt "Davidstern und Lederhose" will jüdisches Leben in Bayern sichtbar machen und dadurch Radikalisierungstendenzen stoppen.
Die Youth Bridge ist im Jahr 1997 in New York entstanden. Bei dem Projekt der Europäischen Janusz Korczak Akademie arbeiten Jugendliche mit 27 verschiedenen ethnischen Hintergründen zusammen. Gefördert wird es vom bayerischen Sozialministerium, Kooperationspartner sind unter anderem die Hanns Seidel Stiftung sowie die Allianz. Dabei wird auch der muslimische Antisemitismus aktiv thematisiert: "Wir sprechen nicht übereinander, sondern miteinander." Es gebe dabei keinen Fokus auf die Religion. Das Projekt "Mehr als Falafel und Hummus" soll diesen Austausch stärken.
"Unsere Projekte sind interkulturell und interreligiös. Die Integration von Muslimen und Menschen anderer Glaubensrichtungen ist uns wichtig", sagt Haller. Auch für Dornbaum sind solche Projekte wichtig:
"Die traurige Wahrheit ist, dass sich viele jüdische Menschen seit Langem damit arrangiert haben, vorsichtig mit ihrer religiösen und ethnischen Identität zu leben."
Bis heute erinnere sie sich an den Rat ihrer Mutter, den sie ihr zum ersten Schultag mitgab: niemanden ihr wahres Geburtsland Israel zu verraten. Heute geht Dornbaum offen mit ihrer Herkunft um - solange sie sich sicher fühlt.