Sakia Mohammadi ist nervös. In einem kleinen Raum, hoch über der afghanischen Hauptstadt Kabul, sitzt sie an einem frühen Sommermorgen vor einer Tasse grünem Tee. Sie hat ihr Kopftuch über einen Stuhl gelegt und die Ärmel ihres langen schwarzen Gewandes hochgekrempelt. "Das ist einer der wenigen Orte, an denen ich noch frei bin", sagt Mohammadi.

Dabei habe sie anfangs noch Hoffnung gehabt, als die Taliban im Sommer 2021 erneut die Macht in Afghanistan übernommen hatten. Denn obwohl die neuen Islamisten strenge Kleidervorschriften erließen, griffen sie zunächst nur selten in den Alltag der Bevölkerung ein und auch die Universitäten blieben geöffnet.

"Ich dachte, vielleicht wird es schon nicht so schlimm", sagt sie.

Eigentlich studierte die 24-Jährige, die anders heißt, zu ihrem Schutz in diesem Text aber den Namen Mohammadi trägt, im vierten Semester Betriebswirtschaft an der Kabul University. Ihr Traum: Nach ihrem Abschluss in die Politik zu gehen und für das afghanische Parlament zu kandidieren. Sie habe ihre eigenen Ideen umsetzen wollen, um damit Frauen im ganzen Land zu unterstützen. Doch von der Hoffnung ist nicht viel geblieben. Mehr denn je schränkten die neuen Machthaber zuletzt die Rechte von Frauen und Mädchen ein und setzten ihre brutale Politik immer rigider durch.

Die Taliban nahmen weiblichen Schaufensterpuppen die Köpfe ab und schlossen weiterführende Schulen und Universitäten für Mädchen und Frauen. Sie verboten den Besuch von Freizeitparks, öffentlichen Bädern und Fitnessstudios und zuletzt den Betrieb von Beauty-Salons, einem der letzten noch verbliebenen öffentlichen Treffpunkte für Frauen. Heute kontrollieren die Wächter des Sittenministeriums wieder verstärkt die Einhaltung der Kleidervorschriften auf den Straßen Kabuls. "Unsere Freiheit schwindet jeden Tag ein bisschen mehr", sagt Mohammadi.

Mittlerweile beschäftigt sie mehrere Frauen, die mit ihrem Lohn ihre Familien unterstützen können

Doch anders als viele ihrer Kommilitoninnen will sie das Land nicht verlassen. "Die Frauen brauchen mich hier", sagt sie. Kurz nach der Machtübernahme der Taliban gründete sie ihr eigenes Modelabel und entwarf zunächst zu Hause, später in einem kleinen Büro ihre eigenen traditionellen afghanischen Kleider, die sie heute über Social-Media-Plattformen vertreibt. Mittlerweile beschäftigt sie mehrere Frauen als Näherinnen, die mit dem Lohn, den sie ihnen zahlt, wiederum ihre Familien unterstützen können.

Ihre Kundinnen, vor allem ausgewanderte Afghaninnen, lebten überall auf der Welt, vor allem aber in Australien, wo ihre ältere Schwester seit einigen Jahren lebe. "Sie kaufen meine traditionellen Kleider für Hochzeiten und andere Anlässe", sagt sie. Mit DHL schicke sie die Kleidung nach Sydney, wo ihre Schwester sie weiterverkaufe. Über das Hawala-System, ein inoffizielles Netzwerk von Geldwechslern, das in islamischen Ländern verbreitet ist, komme das Geld schließlich zurück nach Afghanistan.

Offiziell lernen sie Nähen und Schneidern, in Wirklichkeit aber Mathematik und Englisch

Zwar tolerieren die Taliban bis heute, dass Frauen selbstständig zu Hause arbeiten, und fördern ihre handwerkliche Tätigkeit sogar bei der Frauenhandelskammer in Kabul. Eine offizielle Lizenz für ihr Geschäft will Mohammadi trotzdem nicht. Sie will kein großes Aufsehen um ihr Geschäft machen, ihren Instagram-Account zur Vermarktung betreibt sie anonym. Denn mit dem Erlös der Kleidung unterstützt sie bei privaten Treffen die Bildung von Mädchen, denen der Schulbesuch verwehrt wird. "Offiziell bringen wir ihnen Nähen und Schneidern bei", erklärt sie lächelnd, "aber in Wirklichkeit lernen sie Mathematik oder Englisch".

Mindestens 1,4 Millionen Mädchen dürften laut Unesco von den Schulverboten betroffen sein. Aus den Universitäten sind mutmaßlich Hunderttausende Frauen verbannt. Bis heute erlauben die Taliban nur vereinzelt Fortbildungen, etwa im medizinischen Bereich.

Dass die Taliban ihre Politik jemals grundlegend ändern, glaubt Mohammadi nicht

Dabei sind die Restriktionen auch innerhalb der Taliban nicht unumstritten. Immer wieder äußerten sich in der Vergangenheit hochrangige Vertreter wie der Innenminister Siradschuddin Haqqani für die Öffnung von Schulen und Universitäten, solange dies im Einklang mit der Scharia geschehe. Nicht zuletzt deswegen ist die Umsetzung der Verbote bis heute in manchen Regionen des Landes unterschiedlich. So sind mancherorts die Schulen für Mädchen geöffnet, je nach Auslegung durch den lokalen Taliban-Kommandeur.

Dass die Taliban ihre Politik jemals grundlegend ändern würden, glaubt Mohammadi jedoch nicht. Fast alle ihrer Freundinnen hätten inzwischen das Land verlassen oder litten unter Depressionen und Angstzuständen, sagt sie. Das Gefühl von Unsicherheit und Willkür sei überall. "Sie verachten uns Frauen, das wird sich niemals ändern", sagt sie.

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