Eine vom Magazin "Stern" in Auftrag gegebenen Umfrage hatte ergeben, dass sich 72 Prozent der Bundesbürger für die Einführung einer zusätzlichen Steuer für krisenbedingte Übergewinne aussprechen. In der Diskussion um eine Übergewinnsteuer für Unternehmen, die in der Krise profitieren, warnt der Wirtschaftsethiker Joachim Fetzer jedoch vor überzogenen Erwartungen an den Staat. 

Der Staat habe nicht die Macht, Unternehmen für ihr "unanständiges Verhalten" angemessen zu bestrafen. Dazu müsste er wissen, wie genau die Preisfindung zustande kommt und wie die Kostenstrukturen innerhalb der Unternehmen sind, um definieren zu können, ab wann ein Übergewinn vorliege. Für Strafen seien außerdem Gerichte zuständig.

"Aktive Preisbeeinflussung ist mit Sozialer Marktwirtschaft überhaupt nicht vereinbar."

Herr Fetzer, in der Sozialen Marktwirtschaft ist ein Eingreifen des Staates in bestimmten Situationen durchaus vorgesehen. Ab wann kann und sollte der Staat aktiv werden?

Fetzer: Der Staat muss vor allem die Voraussetzungen für Märkte und ihr Funktionieren schaffen. Wenn er doch mal eingreift, sollten damit ein Problem gelöst und dabei die Marktprozesse möglichst wenig gestört werden. Aktive und vor allem kurzfristige Preisbeeinflussung ist mit Sozialer Marktwirtschaft überhaupt nicht vereinbar.

In der Corona-Krise hat der Staat kurzfristig mit Rettungsschirmen für Unternehmen eingegriffen. Was ist der Unterschied zur aktuellen Krise, die durch den Krieg gegen die Ukraine entstanden ist?

Fetzer: Wenn der Staat Unternehmen sagt, dass sie ihr Geschäft nicht mehr betreiben dürfen - in diesem Fall wegen des höheren Rechtsgutes Gesundheitsschutz - dann verbietet der Staat zunächst das normale Wirtschaften. In diesem Fall muss er die Unternehmen natürlich dafür entschädigen. Bekannt wurde das unter dem Namen Rettungsschirm, der letztlich ein Ausgleich war für Verbote, die der Staat selber erlassen hat.

In der aktuellen Situation ist die Staatsrolle eine komplett andere. Es ist kein Eingriff des deutschen Staates, der die Spritpreise hat hochschießen lassen. Natürlich sind die Leute betroffen, sind sauer, haben Angst und fragen, wohin sie die Forderung nach Gerechtigkeit adressieren können. Und da gibt es in Deutschland erst mal niemanden. Also sagt man: Dann sind es halt die Mineralölkonzerne.

"Man muss kein Freund der Sozialen Marktwirtschaft sein."

Dennoch entsteht der Anschein, dass Unternehmen wie Mineralöl- oder Rüstungskonzerne sich derzeit die Taschen auf Kosten der Allgemeinheit vollmachen. Ist es da nicht verständlich, ein Eingreifen zu fordern?

Fetzer: Worauf man achten muss, sind die Vergabeverfahren: Korruption und Ähnliches sind nicht Teil der Sozialen Marktwirtschaft. Wenn plötzlich sehr viel Geld auf dem Markt ist, dann gibt es viele Versuchungen. Aber wann wissen wir als Bürger und Verbraucher, welche Kalkulation fair oder unfair ist? Ich kann das nicht beurteilen. Am Ende geht es darum, ob man möchte, dass Preise weiterhin am Markt gebildet werden oder ob Preise von einer Behörde genehmigt werden müssen. Man kann diese Position vertreten. Man muss ja auch kein Freund der Sozialen Marktwirtschaft sein.