Eigentlich ist es das, was sich viele wünschen: Der reiche Norden unterstützt demokratisch vielversprechende Staaten im globalen Süden bei der Stabilisierung ihrer Gesellschaften durch bessere Bildung, stärkere Wirtschaft, modernere Infrastruktur, damit Einheimische und vielleicht sogar Zugereiste dort eine gute Lebensperspektive für sich und ihre Familien haben – und somit keinen Grund mehr, auf der Suche nach dem großen Los Richtung Norden zu ziehen. Fluchtursachen bekämpft, alle happy.

Fast so klingt es, wenn EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen über den kürzlich vereinbarten Deal mit Tunesien spricht. Damit das nordafrikanische Land die dafür in Aussicht gestellten 900 Millionen Euro bekommt, soll es für weitere 105 Millionen Euro gegen irreguläre Migration vorgehen – unter "voller Achtung des internationalen Rechts", versteht sich.

Wer stellt eigentlich sicher, dass Tunesien bei seinem Grenzhüter-Job internationales Recht achtet?

Dass ausgerechnet rund um den Verhandlungsabschluss zahlreiche Geflüchtete von tunesischen Behörden ohne Wasser in den Wüstengebieten ausgesetzt wurden, ist unter PR-Gesichtspunkten einfach dumm gelaufen. Das öffentliche Spotlight hat das grell ausgeleuchtet, in den nächsten Wochen wird so etwas wohl nicht mehr passieren.

Aber wenn die öffentliche Wahrnehmung weiterzieht: Wer stellt dann eigentlich sicher, dass Tunesien bei seinem Grenzhüter-Job für die EU tatsächlich die "volle Achtung des internationalen Rechts" gewährleisten wird? Das Beispiel des Nachbarstaats Libyen macht nicht gerade Hoffnung: Seit 2015 hat das Land laut Pro Asyl 455 Millionen Euro aus dem EU-Treuhandfonds für Afrika erhalten, vor allem für Migrationsthemen und Grenzschutz. Doch die Berichte über Folter, Vergewaltigung, Erpressung und Ermordung in libyschen Flüchtlingsgefängnissen sind allgemein bekannt.

Oder – anders gelagert – dessen südlicher Nachbar Niger: Für eine Milliarde Euro hat der Binnenstaat für die EU seit 2016 die etablierten Fluchtrouten durch die Wüste dicht gemacht. Jetzt versuchen es die Menschen anderswo durch die Sahara und sterben dabei zuhauf.

Der Norden schaut indigniert zur Seite und schweigt.

Tunesien und Libyen, davor Mali und Niger, bald vielleicht Ägypten und Marokko: Das Instrument der "Migrationspartnerschaften" scheint für EU-Staaten das Mittel der Wahl. Man muss das nicht gut finden, aber es ist eine Strategie.

Wenn jedoch der Norden dabei, wie ein Mafiaboss, nur den Umschlag mit Auftrag und Kohle über den Tisch schiebt und sich für die Methoden seines Schergen nicht interessiert, wird er Teil eines Verbrechens. Auch wenn er die "volle Achtung des internationalen Rechts" beschwört.

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