Vom Theologen Dietrich Bonhoeffer stammt die Gedichtzeile "Von guten Mächten wunderbar geborgen, erwarten wir getrost, was kommen mag". Das daraus entstandene Lied gehört zum Grundbestand der Glaubenszuversicht. Ein Trostlied für Bedrängte und Zweifler. Und sein Autor gehört zu den großen Glaubensgestalten des 20. Jahrhunderts.

Doch auch Dietrich Bonhoeffer war nicht frei von Zweifeln und Anfechtungen. Im Mai 1943 schrieb er aus dem Gefängnis an seine Eltern: "Allerdings ist mir nie so deutlich geworden wie hier, was die Bibel und Luther unter Anfechtung verstehen. Ganz ohne jeden erkennbaren physischen und psychischen Grund rüttelt es plötzlich an dem Frieden und an der Gelassenheit, die einen trug, und das Herz … das trotzige und verzagte Ding, ... man empfindet das wirklich als einen Einbruch von außen, als böse Mächte, die einem das Entscheidende rauben wollen."

Wenn der Glaube bröckelt

Das Bild vom Einbruch und vom Raub verdeutlicht, dass man den Glauben nicht sicher hat. Ähnlich wie Luther, der in Glaubensnöten den Teufel am Werk sah, empfindet Bonhoeffer seine schwindende Glaubenszuversicht als Gewaltakt von bösen Mächten. In Bonhoeffers Bild wird zweitens deutlich, dass dies jederzeit geschehen kann, dass es einen überfällt, ganz unabhängig von der psychischen oder körperlichen Verfassung des Beraubten.     

In diesen Momenten macht es einem der christliche Glaube nicht leicht. Wer schwer von Zweifeln in Besitz genommen wird, kann schnell in eine Spirale nach unten gezogen werden. "Wenn Zweifel Herzens Nachbar wird, die Seele sich in Leid verirrt", dichtete der fränkische Ritter Wolfram von Eschenbach Ende des 12. Jahrhunderts. Im Jakobusbrief heißt es unter der Überschrift "Der Christ in der Anfechtung": "Wer zweifelt, der gleicht einer Meereswoge, die vom Winde getrieben und bewegt wird." (Jakobus 1, 6)

Aus Anfechtungen und Zweifeln ergeben sich Fragen: Wo ist Gott? Warum zeigt sich Gott nicht? Wäre es für Gott und seine Welt nicht einfacher, wenn Gott deutlich sichtbar wäre? Warum präsentiert sich Gott nicht so, dass Zweifel an seiner Existenz gar nicht erst aufkommen? Über Zweifel müsste man dann nicht mehr reden. Es gibt eine Sehnsucht nach fraglosen und zweifelsfreien Glaubensgewissheiten, nach Eindeutigkeit und nach Widerspruchsfreiheit - in unserer religiösen Erfahrung und in unserem theologischen Denken.

Geschichte des Glaubens als Geschichte des Zweifelns

Es ist ein besonderes Merkmal der jüdisch-christlichen Religion, dass der Zweifel nicht unter den Teppich gekehrt wird. Die Geschichte des Glaubens ist von Anfang an auch eine Geschichte des Zweifels und Unglaubens: Adam und Eva zweifelten daran, dass es das Beste für sie ist, von einem bestimmten Baum nicht zu essen. (1. Mose 3, 1-24) Die Israeliten zweifelten daran, dass sie das von Gott versprochene Land tatsächlich einnehmen würden. (4. Mose 13, 1-14, 4)

Auch die Jünger Jesu zweifelten fortwährend. Beispielhaft dafür steht Petrus, der Jünger, der sich gerne in der Nachfolge Jesu ganz vorne sah. Eines Tages sah er mit den anderen Jüngern am See Genezareth von einem Boot aus Jesus auf dem Wasser wandeln. Die Jünger dachten, das könne nur ein Gespenst sein. Jesus beschwichtigte sie: "Seid getrost, ich bin's; fürchtet euch nicht!" Petrus sah in dem wundersamen Geschehen wohl eine Art Sternstunde der Nachfolge und wollte nun selbst auf dem Wasser gehen. (Matthäus 14, 22-33) Tatsächlich schaffte er ein paar Schritte - dann erschrak er jedoch und drohte in den Wellen unterzugehen. Jesus rettete Petrus und tadelte ihn: "Du Kleingläubiger, warum hast du gezweifelt?"

Der Jünger Thomas ist von den Personen der Bibel der sprichwörtliche Zweifler. Auch er ist ein Nachfolger aus dem engsten Kreis um Jesus. Als die anderen Jünger ihm nach Ostern erzählten, sie hätten den auferstandenen Jesus gesehen, glaubte er ihnen nicht. Er wollte handfeste Beweise: "Wenn ich nicht in seinen Händen die Nägelmale sehe und meinen Finger in die Nägelmale lege und meine Hand in seine Seite lege, kann ich nicht glauben." (Johannes 20, 25)

Thomas ist der Prototyp des Zweiflers

Damit ist er der Prototyp des Zweiflers, derjenige, der nur das glaubt, was er sieht. Mehr noch: das, was er mit Händen greifen kann. Er möchte die Kreuzeswunden an Jesu Körper sehen und fühlen. Nach acht Tagen bietet ihm Jesus diese Möglichkeit.

Aber Thomas kam - entgegen vieler künstlerischer Darstellungen - gar nicht dazu, seine Hand in Jesu Wunde zu legen. Als Jesus ihm gegenüberstand, erschrak er und konnte nur noch sagen: "Mein Herr und mein Gott." Er erfuhr Christus, den Auferstandenen - eine schockierende Begegnung. Und zugleich eine filmreife Szene, wie Jesus durch geschlossene Türen in den Kreis der Jünger tritt und sich nach einem "Friede sei mit euch" direkt Thomas zuwendet. "Weder Argumente noch Therapie noch liebevolles Hinführen oder Streicheln der Seele sind der Weg der Aufhebung der Zweifel, sondern überwältigende Erfahrung der Gegenwart des persönlichen Gottes in Jesus selbst." (Klaus Berger in seinem Buch "Jesus")

Auffällig ist, dass Jesus Petrus rettet und Thomas als Auferstandener gegenübertritt. Aber keinem von beiden nimmt er ihren Unglauben einfach weg. Im Gegenteil, hier legt Jesus den Finger in die Wunde - er konfrontiert die Jünger mit ihrem Unglauben und fordert sie mit deutlichen Ansagen heraus, zu glauben. (Markus 9, 23, Johannes 20, 29) Petrus ringt noch nach Luft und ist nass, als Jesus ihn fragt: "Du Kleingläubiger, warum hast du gezweifelt?" (Matthäus 14, 31)

Glaube bedeutet in der Bibel nicht das Wahrhaben von Glaubenssätzen oder Dogmen, sondern Vertrauen auf Gott. Aus dieser Perspektive ist es nicht das Wichtigste, einen Glauben zu haben, der über jeden Zweifel erhaben ist. Die Beziehung zu Gott steht an erster Stelle, und nicht das Wissen über ihn. Kritisches Denken und zweifelndes Fragen gehören deshalb zum Glauben dazu, die Alternative wäre ein toter Buchstabenglaube.

Der Glaube fordert die Vernunft heraus, er ist eigentlich gegen Vernunft, Logik und menschliche Erfahrung. Gott wird Mensch, Tote stehen auf, es gibt ein Leben nach dem Tod, den Teufel, Himmel und Hölle. Manches widerspricht dem gesunden Menschenverstand, anderes den Naturgesetzen. Muss man diese Dinge glauben, um Christ zu sein? Es sind ja nicht eben unwichtige Randthemen, es sind zentrale Glaubenswahrheiten des Christentums.

Biblisches Vorbild sind die Schreiber der Psalmen

Im Jakobusbrief heißt es unter der Überschrift "Der Christ in der Anfechtung": "Wer zweifelt, der gleicht einer Meereswoge, die vom Winde getrieben und bewegt wird." (Jakobus 1, 6) Wie kann man dieser Haltlosigkeit begegnen? Gibt es ein Gegenmittel?

Psychologisch ist es zunächst der beste Weg, den Zweifel nicht mehr zu unterdrücken, zu verdrängen, sondern ihn zuzulassen, ihm Raum zu geben. Es ist gut zu sagen: Hier sind meine Zweifel, meine Anfechtungen, das ist jetzt so. Hier sind die Zweifel - und hier bin ich. Das dritte Element ist Gott. Ich - Zweifel - Gott. Wenn diese Konstellation geklärt ist, ist Gott an der Reihe. Ein Gebet kann lauten: "Erbarme dich meiner" oder "Ich glaube! Hilf mir heraus aus meinem Unglauben!" (Markus 9, 24) Weniger traditionell kann man auch einfach sagen: "Gott, ich kann nicht mehr glauben, das ist jetzt dein Job, bitte lass mich nicht fallen."

Biblisches Vorbild sind die Schreiber der Psalmen. Sie beschreiben Gott ihre Situation schonungslos offen und bitten ihn um Hilfe. Das Paradebeispiel hierfür ist der 22. Psalm. David ist mit seinen Möglichkeiten am Ende: "Mein Gott, mein Gott, warum hast du mich verlassen? Ich schreie, aber meine Hilfe ist ferne. Mein Gott, des Tages rufe ich, doch antwortest du nicht, und des Nachts, doch finde ich keine Ruhe …"

David beschreibt seine Lage in drastischen Bildern: "Gewaltige Stiere haben mich umgeben, mächtige Büffel haben mich umringt. Ihren Rachen sperren sie gegen mich auf wie ein brüllender und reißender Löwe." Die bedrohlichen Tiere stehen für schwerste psychische Bedrängnisse, Anfechtungen, Depressionen - alles, was vom Abgrund der Seele hochkommen kann.

Der strahlende Siegertyp David offenbart hier seine andere Seite, er beschreibt seine Bedrängnis bis ins Körperliche:

"Ich bin ausgeschüttet wie Wasser, alle meine Knochen haben sich voneinander gelöst, mein Herz ist in meinem Leibe wie zerschmolzenes Wachs. Meine Kräfte sind vertrocknet wie eine Scherbe, und meine Zunge klebt mir am Gaumen."

David verdrängt seine Anfechtungen und Zweifel nicht, sondern bringt sie vor Gott. Das ist der erste Schritt aus der seelischen Tiefe heraus. Denn Selbstheilung ist nicht möglich. Zweifel und Anfechtungen sind deshalb bei Gott am besten aufgehoben. Aus dem eigenen Horizont werden Anfechtungen und Zweifel in einen größeren Zusammenhang übertragen - in die Beziehung zu Gott. Jesus sagt in Matthäus 11, 28: "Komm zu mir, wenn du mühselig und beladen bist."

So radikal Davids seelische Bedrängnisse sind, so unvermittelt bekommt er ein Zeichen: "Du hast mich erhört." (Psalm 22, 22)