Ein Kreuzweg

 

1. Station: Garten Gethsemane

Jesus und seine Jünger kamen zu einem Garten mit Namen Gethsemane. Und Jesus sprach zu seinen Jüngern: Setzt euch hierher, bis ich gebetet habe. 33 Und er nahm mit sich Petrus und Jakobus und Johannes und fing an zu zittern und zu zagen 34 und sprach zu ihnen: Meine Seele ist betrübt bis an den Tod; bleibt hier und wachet! 35 Und er ging ein wenig weiter, fiel nieder auf die Erde und betete, dass, wenn es möglich wäre, die Stunde an ihm vorüberginge, 36 und sprach: Abba, Vater, alles ist dir möglich; nimm diesen Kelch von mir; doch nicht, was ich will, sondern was du willst! 37 Und er kam und fand sie schlafend und sprach zu Petrus: Simon, schläfst du? Vermochtest du nicht eine Stunde zu wachen? 38 Wachet und betet, dass ihr nicht in Versuchung fallt! Der Geist ist willig; aber das Fleisch ist schwach. 39 Und er ging wieder hin und betete und sprach dieselben Worte 40 und kam wieder und fand sie schlafend; denn ihre Augen waren voller Schlaf, und sie wussten nicht, was sie ihm antworten sollten. 41 Und er kam zum dritten Mal und sprach zu ihnen: Ach, wollt ihr weiterschlafen und ruhen? Es ist genug; die Stunde ist gekommen. (Mk 14, 32-41a)

Vertiefung

Ich bin dabei gewesen im Garten Gethsemane. Und ich wollte wirklich wach bleiben! 

Aber ich bin erschöpft von den letzten Wochen und Monaten… Mein Kopf ist immer noch so wahnsinnig voll.

Wir sind seit Monaten unterwegs. Ich vermisse mein Zuhause und meine Familie. Sogar meine Arbeit auf dem See fehlt mir. Während andere nur die Köpfe schütteln, dass ich alles stehen und liegen lasse, ist mir klar: Es ist die größte Reise meines Lebens mit Jesus. Du weißt morgens nicht, wo du abends schlafen wirst. Es ist nie klar, wann es wieder etwas zu essen gibt. Nicht selten werden wir vertrieben, mindestens argwöhnisch und skeptisch betrachtet, manchmal gar feindselig.

Dafür bin ich dabei, wenn Menschen wieder sehen können, wie Menschen sich wahrgenommen fühlen und ihr Leben ganz neu ausrichten wollen. Es ist eine neue Welt und ich bin hautnah dabei, wenn Jesus von Gottes Liebe erzählt Der anfängliche Glücksrausch ist seit kurzem vorbei. In letzter Zeit wird die Stimmung gereizt. Es wird gefährlich, sogar lebensgefährlich in seiner Nähe. Es geht über alle normalen Kräfte hinaus und Angst zehrt an mir.

Ich wollte wirklich wach bleiben, um zu beten und um alles mit zu erleben. Und doch muss ich zugeben, mir fallen die Augen zu. Ich bin immer wieder eingeschlafen als für Jesus/ihn die Welt unterging.

Impuls 

Ich kenne dieses Gefühl gut. Du bist so müde, dass Dir die Augen zufallen. Du kannst nichts dagegen machen. Du kannst Dich nicht wehren. Die Müdigkeit ist stärker. Wenn ich mit meiner Frau einen Film ansehe und so kuschelig daheim auf dem Sofa sitze, dann passiert das schon mal – regelmäßig. Wenn das in einer Sitzung passiert – Gott sei Dank selten - , sehe ich dann beim Aufwachen milde lächelnde Gegenüber. Das Einzige was mir jetzt wirklich helfen würde, wäre Schlafen. Aber ich muss ja da bleiben. Ich muss funktionieren.

Im Garten Gethsemane ist diese Müdigkeit mit Händen zu greifen. Die Jünger spüren die Unruhe bei ihrem Lehrer. So kennen sie Jesus gar nicht. Dieser Abend ist anders. Sie wissen nicht was. Eigentlich müssten sie aufpassen. Wach sein. Für Jesus da sein. Aber es geht einfach nicht – es war zu viel los. Die letzten Tage waren zu anstrengend. Jetzt sind sie einfach nur fertig. Und dann ist es still und ruhig und entspannt und …

Die Müdigkeit ist für mich in der Welt nach Corona gerade mit Händen zu greifen. Junge Menschen sind müde. Müde von all den Diskussionen und den Beschränkungen. Und jetzt kam auch noch dieser Krieg, mit dem niemand rechnen konnte. Wo geht die Welt hin? Was ist mit der uns bekannten Welt? Wo finde ich Trost und Stärkung? Wo bleibt meine Freiheit, mein Leben zu gestalten? Alles ist so kompliziert geworden. Niemand weiß, wohin die Welt sich entwickelt. Ich bin fremdbestimmt und fühle mich ein bisschen überfordert. Ich habe nicht mehr das Gefühl, den Lauf des Lebens mitgestalten zu können. Manchmal geht mir das auch im ganz Kleinen so. Das nutzen die aus, die mit den ganz einfachen Worten und Parolen kommen. Die meinen, wenn das oder jenes endlich so gemacht wird, dann ist alles gut. Wenn etwa keine Migranten oder Geflüchteten nach Europa kommen sollen. Doch das Leben ist nicht einfach. Leben ist kompliziert. Und manchmal ist alles zu viel.

So müde. Über die Müdigkeiten meines Lebens muss ich reden. Es ist so wichtig Menschen zu finden, die mir zuhören. Über das was auf mir liegt. Was mich belastet. Was mein Herz beschwert. Redet. Redet miteinander. Was auf Deiner Seele lastet, braucht Deine Aufmerksamkeit. Wenn Du müde bist, rede darüber. Suche Dir einen Menschen, der Dir zuhört und Dich versteht.

2. Station: Simon von Kyrene

Und als sie ihn verspottet hatten, zogen sie ihm den Purpurmantel aus und zogen ihm seine Kleider an. Und sie führten ihn hinaus, dass sie ihn kreuzigten. 21 Und zwangen einen, der vorüberging, Simon von Kyrene, der vom Feld kam, den Vater des Alexander und des Rufus, dass er ihm das Kreuz trage.
Und sie brachten ihn zu der Stätte Golgatha, das heißt übersetzt: Schädelstätte. (Mk 15, 20)

Vertiefung

"Du hast bitte was?", Alexander und Rufus schauen ihren Vater Simon entsetzt an. 

"Ich habe das Kreuz von diesem Jesus von Nazareth getragen", sagt Simon mit unfassbarer Ruhe. "Das Kreuz, an dem er hingerichtet wurde." 

Rufus und Alexander reißen die Augen noch weiter auf. Sie starren auf die aufgeschürften, leicht blutigen Hände des Vaters. "ich bin wegen des Sabbats schon früher auf dem Heimweg durch die Stadt. Noch in Feierabendgedanken versunken, bin ich plötzlich mitten drin in so einer Hinrichtungstruppe auf dem Weg hoch zur Schädelstätte/Schädelplatz "Golgatha". Es war keine Zeit mehr, sich in einen Hauseingang zurückzuziehen. Da knallt auch schon eine Peitsche und jemand brüllt durch die Luft. Ich verstehe nicht gleich, aber dann zeigt ein anderer direkt auf mich und ruft auf Griechisch: Los, hilf du ihm!"

Alexander schaut den Vater an und fragt: "Warum du?" 

"Das weiß ich doch nicht. Was hätte ich tun sollen? Vielleicht vorschlagen, dass doch jemand anderes…? Ich habe heute schon genug gearbeitet und mir ist gar nicht nach einem Holzkreuz auf den Schultern zu Mute?" Simon atmet heftig.

"Gesehen habe ich das aus der Ferne schon öfter wie sie Verurteilte durch die Stadt treiben. Geseufzt habe ich jedes Mal und mir gedacht: Oh, wie grausam." Simon macht eine Pause und atmet tief ein. "Heute habe ich das Hinrichtungskreuz von diesem Jesus von Nazareth wirklich selbst getragen. Ihr könnt euch nicht vorstellen wie schwer dieses Kreuz auf meinen Schultern war. In einem kurzen Moment treffen sich unsere Augen. Jesus sieht mich. Und ich sehe ihn – und sein gequältes Gesicht. Und ich habe da etwas verstanden: Egal wie schwer das jetzt ist – genau darauf wird es im Leben ankommen: Einer trage des anderen Last…. 

Und Simon kommen die Tränen. Erst jetzt kann er weinen. 

Impuls 

Einer trage des Anderen Last. Wie kommt dieser Gedanke von der Hilfe für den Nächsten in die Welt? War der Neandertaler hilfsbereit? Wie lernt ein Kind, dass es andere unterstützen soll?

Für mich ist es die Religion, die diesen Gedanken der Hilfe für andere in die Welt bringt. Und es ist eine ureigene Aufgabe von Religion. Die jüdisch-christliche Tradition hat bei der Nächstenliebe einen Schwerpunkt. Wir wollen nicht Menschen sein ohne die Anderen. Ohne dass es den anderen gut geht, geht es auch mir nicht gut.

Simon von Kyrene kann nicht anders. Er schaut nicht weg. Er stellt sich der Szene und der Gewalt. Er ist dabei. Er kommt wohl zufällig vorbei auf dem Nachhauseweg vom Feld. Aber er hatte dann keine Wahl. Sie zwingen ihn Jesus zu helfen. Die römischen Soldaten packen ihn einfach. Zur falschen Zeit am falschen Ort. So kann‘s gehen. Und auf einmal findest du dich in einer Situation wieder, die du dir in deinen schlimmsten Träumen nicht hättest vorstellen können. In den biblischen Erzählungen wird gar nicht deutlich genug, wie viel Angst die Menschen in Israel vor den Römern hatten. Die Römer damals waren berüchtigt für ihren unfassbar brutalen Umgang mit den Menschen in den besetzten Staaten. Ich denke an manche Szenen aus den Städten in der Ukraine. Die unsagbaren Gräueltaten, die dort begangen wurden von Soldaten. Zu uns kamen und kommen nur sehr gefiltert Informationen. Mir gehen sie zu Herzen. Sie zeigen mir, wieviel Leid Hass und Krieg über Menschen bringen. Irres nationales Denken kann Länder entzünden. Solche Auseinandersetzungen wie zwischen der Ukraine und Russland können das politische Klima über Jahrzehnte vergiften. Es hört einfach nicht auf. Der Mensch wird nicht klüger. Solange es Menschen gibt, wird es diese unglaublichen Verbrechen gegen die Menschlichkeit geben.  Damit kann ich mich niemals abfinden. Ich kann und will niemals schweigen, wenn anderen Gewalt angetan wird. Ich will das schaffen. Mich bücken, runterziehen lassen, das Kreuz mittragen. Das Schwere zulassen und aushalten. 
Es braucht Menschen wie Simon, die einfach helfen. Die trotz ihrer Ohnmacht einfach machen. Ich denke an die vielen Menschen, die letztes Jahr ihre Kinder- und Gästezimmer für die Geflüchteten aus der Ukraine freigemacht haben. Einfach helfen. Oder an die, die jeden Tag irgendwo in Bayern Lebensmittel für die Tafeln vorbereiten und austeilen. Keiner soll hungern. Alle sollen dabei sein. Die Welt braucht Menschen, die für andere da sind. Die mit anderen mitfühlen. Für die Mitgefühl fester Bestandteil ihrer Lebenshaltung ist. 

Wie kann das gehen – das Schwere aushalten? Die Last des Anderen tragen – wo kann ich das tun?

 

3. Station: Unter dem Kreuz

Es standen aber bei dem Kreuz Jesu seine Mutter und seiner Mutter Schwester, Maria, die Frau des Klopas, und Maria Magdalena. Als nun Jesus seine Mutter sah und bei ihr den Jünger, den er liebhatte, spricht er zu seiner Mutter: Frau, siehe, das ist dein Sohn! Danach spricht er zu dem Jünger: Siehe, das ist deine Mutter! Und von der Stunde an nahm sie der Jünger zu sich. (Joh 19, 25-27)

Vertiefung

Marias Augen füllen sich mit Tränen. Ihr geht vieles durch den Kopf. Erinnerungen, Geschichten, Bilder von früher. Gespräche… Vor allem ein Wort, das ein sehr alter Mann ihr kurz nach Jesu Geburt gesagt hat: Dein Sohn wird viele zu Fall bringen und viele aufrichten. Und für dich, Maria, wird es sein, als ob ein Schwert deine Seele durchbohrt." 

So fühlt es sich gerade an. Ihr Leben lang ist sie in seiner Nähe. Schmerzen kennt sie gut, wenn sie an ihren Sohn denkt. Nie fühlten sie sich an wie heute: nicht bei seiner Geburt, nicht als sie schroff zurückgewiesen die Hochzeit zu Kana verlässt. Nicht als sie miterlebt wie sie ihn gefangen und verurteilt haben.
Ein Schmerz, als ob ein Schwert deine Seele durchbohrt: Das eigene Kind sagt letzte Worte zu seiner Mutter und zu seinem Freund, bevor es stirbt.
Sieh, das ist jetzt dein Sohn! Sieh, das ist jetzt deine Mutter. Es sind Worte, die ihr Leben weiter möglich machen.

Durch den Tränenschleier erkennt Maria die Hand von Johannes, dem Jünger und Freund von Jesus. Er streckt sie ihr entgegen.

Ob es so weitergeht? Zaghaft, ganz zaghaft nimmt sie Johannes Hand. Sie bleiben lange stehen gemeinsam mit wenigen anderen und halten den Schmerz aus.

Impuls

Vor zehn Jahren ist meine Mutter gestorben. Ihr Tod hatte sich über längere Zeit angekündigt. Und doch war dann der Abschiedstag hart und entsetzlich traurig. Mein Vater ist schon über 20 Jahre tot und er ist ohne Ankündigung einfach im Bad umgefallen. Es ist manchmal im Leben so. Da passiert etwas und niemand auf der Welt hat es vorhergesehen. Ich hätte es so gerne anders gehabt. Wenn ich geahnt hätte, was kommt, ich hätte unbedingt im Vorfeld alles versucht, das zu verhindern. Aber – ich bin nicht der Herr der Geschichte. Weder der ganz großen noch der kleinen Geschichten. Vieles im Leben passiert, ich muss einfach damit klar kommen.

Eine der wichtigsten Übungen im Leben ist: Aushalten lernen. Ich muss aushalten, was ich nicht ändern kann. Ganz besonders gilt das für den Tod. Da hast Du nichts in der Hand. Da stehst Du daneben und der geliebte Mensch stirbt. Es ist gut, wenn Du dabei sein kannst. Und manchmal kannst Du auch einfach nicht dabei sein. Und das ist so schwer zu ertragen. Meine Eltern sind sehr unterschiedlich gestorben. Der Abschied war aber bei beiden gleich intensiv und würdevoll. Es gibt viele Arten von Dabei Sein und Verbunden sein. Der Karfreitag ist nur auszuhalten, wenn ich mich verbunden weiß. So schaue ich auf die Frauen und den Mann, die unter dem Kreuz stehen.

Mich rührt das immer an in der Passionsgeschichte, das Dabei-Sein. Maria ist da, ihre Schwester, Maria Magdalena, die mit Jesus eine besondere Nähe hatte, und Johannes, für den das auch gilt. Der Tod raubt uns alle Beziehungen. Der Theologe Eberhard Jüngel nennt den Tod die "totale Beziehungslosigkeit". Jüngel meint damit, dass im Geschehen des Todes für eine schreckliche Zeit alles zuende ist. Es ist nichts mehr gut, es ist nichts mehr schön, es ist alles grässlich und zuende. Ich habe das erlebt. Dass nichts mehr schmeckt. Dass nichts mehr Farben hat. Aushalten lernen. Jeder steht unter dem Kreuz für sich. Aber jede und jeder trauert alleine und auch auf die ganz eigene Art. Das ist auch hier so.

Im Sterben entsteht unter dem Kreuz entsteht eine ganz besonders intime Nähe. Eine Beziehung, die trägt. Jesus, Maria, Maria Magdalena, Johannes. Diese vier Personen unter dem Kreuz werden durch diese Katastrophe eng zusammengeschmiegt. Sie sind eine Trauergruppe. Sie stärken sich gegenseitig. Sie helfen sich das Entsetzliche auszuhalten. Gemeinsam ist es einfacher das Grausame zu ertragen. Ich denke an Beate, die nach dem plötzlichen Unfalltod ihres Mannes in der Einsamkeit versunken ist. Alle wollten sie trösten, doch sie war noch gar nicht so weit. Geholfen hat ihr der Tipp mit der Selbsthilfegruppe für früh Verwitwete. Die Gespräche und Erzählungen dort haben ihr geholfen und sie getröstet.. Nähe ist eine gute Medizin für traurige Menschen. Auf einem Lieblings-T-Shirt meiner Tochter steht: If you meet good people, keep them close. Wenn Du gute Menschen triffst, halte sie nah bei Dir. 

Überlege doch einmal: Mit wem kannst du gut über Trauriges sprechen?

 

4. Station: Jesu Tod

Sie kreuzigten Jesus. Und sie teilten seine Kleider und warfen das Los darum, wer was bekommen sollte. Und es war die dritte Stunde, als sie ihn kreuzigten. Und es stand geschrieben, welche Schuld man ihm gab, nämlich: Der König der Juden. Und sie kreuzigten mit ihm zwei Räuber, einen zu seiner Rechten und einen zu seiner Linken. Und die vorübergingen, lästerten ihn und schüttelten ihre Köpfe und sprachen: Ha, der du den Tempel abbrichst und baust ihn auf in drei Tagen, hilf dir nun selber und steig herab vom Kreuz! Desgleichen verspotteten ihn auch die Hohenpriester untereinander samt den Schriftgelehrten und sprachen: Er hat andern geholfen und kann sich selber nicht helfen. Der Christus, der König von Israel, er steige nun vom Kreuz, damit wir sehen und glauben. Und die mit ihm gekreuzigt waren, schmähten ihn auch. Und zur sechsten Stunde kam eine Finsternis über das ganze Land bis zur neunten Stunde. Und zu der neunten Stunde rief Jesus laut: Eli, Eli, lama asabtani? Das heißt übersetzt: Mein Gott, mein Gott, warum hast du mich verlassen? Und einige, die dabeistanden, als sie das hörten, sprachen sie: Siehe, er ruft den Elia. Da lief einer und füllte einen Schwamm mit Essig, steckte ihn auf ein Rohr, gab ihm zu trinken und sprach: Halt, lasst uns sehen, ob Elia komme und ihn herabnehme! Aber Jesus schrie laut und verschied. (Mk 15, 24-37)

 

5. Station: Josef von Arimatäa

Danach bat Josef von Arimathäa, der ein Jünger Jesu war, doch heimlich, aus Furcht vor den Juden, den Pilatus, dass er den Leichnam Jesu abnehmen dürfe. Und Pilatus erlaubte es. Da kam er und nahm den Leichnam Jesu ab. Es kam aber auch Nikodemus, der vormals in der Nacht zu Jesus gekommen war, und brachte Myrrhe gemischt mit Aloe, etwa hundert Pfund. Da nahmen sie den Leichnam Jesu und banden ihn in Leinentücher mit Spezereien, wie die Juden zu begraben pflegen. Es war aber an der Stätte, wo er gekreuzigt wurde, ein Garten und im Garten ein neues Grab, in das noch nie jemand gelegt worden war. (Joh 19, 38-41)

Vertiefung

Ich bin Josef und komme aus Arimathäa. Ich stehe schon immer lieber in der zweiten Reihe. Ich bestaune alle, die vorne weg gehen. Auch in Glaubensfragen, ohne, ohne, dass sie irgendwie zögern. Mir gefällt dieser Jesus von Anfang an, keine Frage, aber ich habe Verpflichtungen. Ich bin Mitglied im jüdischen Rat… naja, die Leute reden sofort und das Ansehen meiner Familie ist schnell in Gefahr und was würden die Geschäftspartner sagen. Also bin ich in der zweiten Reihe geblieben. Ich bewundere Jesus im Geheimen, ganz für mich. Auch als ich hörte: Jesus wird verurteilt …und als ich sah: Jesus ist gestorben… 

Merkwürdig, dass sich die angeblich erste Reihe fast ganz gelichtet hat. Wo sind die Überzeugten auf einmal? Die Wortführer? Die, die ohne Zögern ihren Glauben überall bekennen …?

Da fasse ich mir ein Herz. Ich spüre: Jetzt ist meine Stunde. Ich besitze schon seit einigen Jahren ein Grab. Ich denke gerne voraus. 

Und jetzt höre ich, dass Jesus gestorben ist, wie ein Verbrecher. Mein Entschluss steht schnell. Ich fasse mir ein Herz: Ich bestatte ihn würdig. In meinem Grab soll er liegen. 

Mit Maria und ein paar wenigen andere packen mit an. Wir tragen Jesus zu seinem Grab - im ganz kleinen Kreis – wie man so sagt. Es fühlt sich gut und richtig für uns an. Wir haben einen Platz für unsere Trauer. 

Dass es ausgerechnet mein Platz/Grab ist, von wo aus drei Tage später so etwas Ungeheures passieren wird: "Ostern, Auferstehung, das Grab ist leer, das Leben siegt" – das habe ich, das hat niemand von uns geahnt… ausgerechnet mein Grab, der Platz von jemandem, der lieber in der zweiten Reihe steht…. 

Impuls

Josef aus Arimatäa muss einfach handeln. Ich mag Menschen, die etwas unternehmen. Der Unternehmer unternimmt was. Josef sind geregelte Abläufe wichtig. Er findet gut, wenn alles seine Ordnung hat. Und das gilt eben auch für den Umgang mit dem Tod. Den Tagen danach. Dem, was dann dran ist.

Beim Abschiednehmen sind mir geregelte Abläufe besonders wichtig. Sie helfen mit dem Tod umzugehen. Es ist gut, dass man einfach funktionieren muss. Es ist viel zu erledigen. Und das hilft. Eine Bestatterin, das Abschiedsritual planen. Blumen, der Text für die Traueranzeige. Ich kann mit der Pfarrerin sprechen und vom Verstorbenen erzählen. Ich kann Lieder und Musik auswählen, die trösten und passen. Ein biblisches Wort, ein Gebet. Das liebe ich so an meinem Glauben: Da ist ein riesiger Schatz an guten Worten. Worte, die tragen und die mich trösten. 

Diese Abläufe und Prozesse beim Abschied brauchen gute Begleitung. Sie brauchen Sorgfalt. Ich muss sie sensibel und liebevoll gestalten. Josef aus Arimatäa spürt das. 

Josef hält sich sonst lieber bedeckt. Er steht nicht so gerne im Rampenlicht. Aber wenn es um die Würde eines Menschen geht, da muss er raus. Da muss er nach vorne. 

Der Anfang und das Ende des Lebens haben eine Verbindung. Wenn du auf die Welt kommst, sind da Menschen, die dich begrüßen. Eine Mutter, die dich auf die Welt bringt. Eine Hebamme, die dir beim Hineinkommen ins Leben hilft. Ein Vater, der Dich liebevoll in die Arme nimmt. 

Am Ende des Lebens braucht es Menschen, die dich begleiten. Ärzte, die dich beraten. Pflegende, die dich versorgen. Die Schwester oder die Tochter oder der Freund, die oder der dir die Augen schließt, die Hände faltet. Menschen, die sich um deinen toten Körper kümmern, der so viel geleistet hat und so gut zu dir war. Josef ist ein Vorbild in diesem Kümmern um unsere Toten. Josef zeigt seine Liebe.

Und wieder staune ich über das Verbundensein – gemeinsam trauern, zumindest zeitweise, sich zusammentun. Josef macht das nicht alleine. Es bildet sich ein Team. Gemeinsam mit Nikodemus gestaltet er das Grab im Garten. Und vermutlich waren da auch andere dabei. Mit Blumen und Sträuchern und Kräutern. Ich finde das tröstlich, wenn ich mir den Tod und die Beerdigung von Jesus vorstelle. Die letzte Ruhe findet Jesus in einem Garten, gewaschen und eingecremt mit guten Kräutern. Dort ruht sein Leib – bis zum Ostermorgen.

Bist Du traurig, weil Dir ein geliebter Mensch fehlt? Hast Du gute Musik, die Dich tröstet? Einen Ort, der Dir gut tut? Vielleicht auch ein Ritual am Grab deines geliebten Menschen?  Nimm dir heute dafür Zeit.

Christian Kopp

Regionalbischof
  • 15. Oktober 1964 Geburt in Regensburg
  • 1983 Abitur in Garmisch-Partenkirchen
  • 1984 – 1990 Studium der Evangelischen Theologie in München, Erlangen, Bern und Tübingen
  • 1990 Theologische Aufnahmeprüfung
  • 1991 – 1993 Vikariat Nürnberg-Mögeldorf
  • 1993 Theologische Anstellungsprüfung
  • 1993 – 1998 Pfarrvikariat Ingolstadt-Brunnenreuth
  • 12. Mai 1994 Ordination in Ingolstadt-Süd
  • 1998 – 2000 Hochschulpfarrstelle Nürnberg-St. Egidien (0,5)
  • 2000 – 2003 Projektleitung Nord Kommunikationsinitiative der ELKB (0,5)
  • 2003 – 2012 Pfarrer Nürnberg-St. Georgskirche (Kraftshof)
  • 2012 – 2013 Studienleiter Evang.-Luth. Gemeindeakademie (Krankheitsvertretung)
  • 2013 – 2019 Dekan Evang.-Luth. Prodekanat Nürnberg Süd und Pfarrer Nürnberg-St. Peter
  • seit 2019 Oberkirchenrat im Kirchenkreis München
  • ab November 2023: Landesbischof der ELKB

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