Die bekanntesten Bilder von Mitgliedern der Weißen Rose sind an einem Zaun am Münchner Ostbahnhof aufgenommen worden. Nun soll der Zaun bald einem Bauprojekt weichen. Der ehemalige Münchner Werner Thiel (Greve) setzt sich seit 2003 für seinen Erhalt ein. Auslöser war ein Treffen mit Jürgen Wittenstein.

Wir haben ihn gefragt, warum ihm der Erhalt des Zauns als ein Stück Erinnerungsstätte so wichtig ist.

Der Zaun unweit des Münchner Ostbahnhofs hat für Sie historischen Charakter, weil dort ein berühmtes Foto der Widerstandsgruppe "Weiße Rose" entstand. Wie haben Sie das denn überhaupt entdeckt?

Werner Thiel: Die ganze Sache begann wohl im Herbst 2002 mit einer Werbung zu einem Buch über die Weiße Rose. Das besondere war, das eines der auch mir seit langem bekannten Fotos nicht  als Ausschnitt sondern in DinA4 mit im Hintergrund der Orleansstraße  und den Gründerzeithäusern auf der Westseite. Da ich den genauen Ort nicht kannte, machte mich in München auf den Weg und suchte nach der Örtlichkeit. Zunächst am Hauptbahnhof, dann am Südbahnhof bei der Großmarkthalle und zuletzt am Ostbahnhof. Dort wurde ich dann fündig. Da ich keinen Hinweis sah, schrieb ich an Oberbürgermeister Christian Ude und machte den Vorschlag, dort einen Hinweis auf die Weiße Rose anbringen zu lassen. Davon berichtete eine Zeitung und dies führte zur Nachricht eines Bekannten von Jürgen Wittenstein, der ein Treffen am Zaun vorschlug. Dieses Treffen fand Anfang 2003 dann auch statt. Das war schon etwas und ist bis heute mein Antrieb, mich für den Erhalt des Zauns einzusetzen.

Warum sind Erinnerungsstätten wie diese Ihrer Meinung nach so wichtig?

Thiel: Ich halte diese Erinnerungsstätte gerade für junge Menschen für sehr wichtig. Alle üblichen Gedenkstätte sind direkt verbunden mit Tod, Trauer und Negativem. Dies ist an diesem unscheinbaren Zaun anders. Auf einem der Fotos lacht und winkt Sophie Scholl in die Kamera von Jürgen Wittenstein. Der Erinnerungsort weckt somit ein anderes Bild der Widerstandskämpfer gegen Hitler, eines das die Gestapo-Fotos von ihnen nicht vermittelt. Da der historische Hintergrund der Fotos, die Straße und besonders die Häuser noch weitgehend im Original vorhanden sind, ist dieser Ort zudem besonders. Heutige Jugendliche können sozusagen in Realität diesen historischen Ort "betreten".

Sie werden so etwas wie ein Teil der Fotos.

Eine Aufnahme aus der Position von Jürgen Wittenstein macht dieses deutlich. Dieses Erleben, mit einem positiven Gefühl, kann kein anderer Ort erzeugen. Mir fällt in Deutschland auch kein weiterer ein. Vielleicht, aber negativ belegt, das Hinterhaus der Anne Frank in Amsterdam. Nur diese Situation am Zaun gegenüber dem Haus Orleansstraße 65. Das zu bewahren wäre wohl ein besserer Ansatz als viele Besuche in KZ oder Hinrichtungsstätten.

Was bedeutet die Gruppe "Weise Rose" für Sie ganz persönlich?

Thiel: Eine ehrliche Antwort: Bis zum Herbst 2002 war es eine von vielen Gruppen gegen Hitler, die gescheitert ist. Ich wusste vom Lichthof der Uni, war zuvor x-Mal auf dem Weg zu Vorträgen in der Ludwig-Maximilians-Universität durchgegangen. Ich war auch auf Veranstaltungen, zum Beispiel Führungen von Herrn Bäumler in der Maxvorstadt und Münchens NS-Vergangenheit. Aber meine Prioritäten lagen und liegen anders. Erst das Treffen mit Jürgen Wittenstein hat da etwas geändert.

Was wünschen Sie sich für den Zaun im Besonderen und für die (deutsche) Erinnerungskultur im Allgemeinen?

Thiel: Ganz klar, dass das Zaunelement, an das Sophie Scholl ihre Tasche gehängt hat sowie jeweils ein oder zwei Zaunelemente rechts und linke als Erinnerungsort an die Weiße Rose "in sito", wie der Archäologe sagen würde, erhalten bleiben. Mit einem lebensgroßen Foto und Infotafel als ein Ort, der gerade Jugendliche ansprechen würde. Wie vom Investor freundlicherweise schon zugesagt, werden die anderen Zaunelemente eingelagert und an Schulen, Gedenkort und Jugendheime abgegeben. Schön wäre es, wenn Schüler aus München, Sophie-Scholl-Gymnasium, Willi-Graf-Gymnasium, Luisengymnasium, diese Aktion im Rahmen eines gemeinsamen Projektes stemmen würden. Ein Sponsor für den Transport müsste sich dann auch finden lassen.

Warum ist es so schwierig, einen Teil des Zauns unter Denkmalschutz zu stellen? 

Thiel: Das ist eine Frage, die ich nicht beantworten kann. Ich habe mir darüber auch einen Kopf gemacht, aber mir fällt dazu nichts ein. Liegt es an der Politik in München? Schauen sie mal nach Nürnberg. Schauen Sie mal nach Berlin. Wie lange dauerte es in München bis zum NS-Gedenkzentrum am Königsplatz?

 

Stellungnahme des Bezirksausschusses Au-Haidhausen

Wir haben beim Bezirksausschuss Au-Haidhausen nachgefragt, wie es aktuell um den Zaun steht. Jörg Spengler (Bündnis 90/Die Grünen), Vorsitzender im  Bezirksausschuss, schrieb uns auf unsere Anfrage:

Wir als Bezirksausschuss werden jetzt versuchen, zusammen mit der Weiße-Rose-Stiftung, dem Investor und der Stadt eine gute Lösung für einen Gedenkort zu finden. Der Zaun wird voraussichtlich 2023 abgebaut und die Zaunelemente können dann an interessierte Schulen und Organisationen abgegeben werden. Auch diese Vergabe muss koordiniert werden. Wir werden uns als Bezirksausschuss bemühen sowohl einen würdigen Gedenkort an der Orleansstraße zu schaffen als auch die Zaunelemente zu erhalten.