Nur "Grüß Gott" gesagt und schon ist es passiert: Sie haben gesegnet. Mit diesem Gruß empfehlen wir einander dem Segen Gottes an. Die religiöse Bedeutung des Grußes ist allerdings kaum jemandem bewusst, ansonsten müsste jeder Süddeutsche, der auf Gott nichts hält, auf das religionsneutrale "Guten Tag" ausweichen. Einem rechten Bayern wird allein der Gedanke ein entsetztes "Gott bewahre" entlocken. Vergleichbares gilt für die Verabschiedung. Wenn die alten Römer auseinandergingen, sagten Sie "ad deum", zu Gott. Daraus ist adieu, ade und tschüss geworden.
Was im Alltag an Grußformeln ausgetauscht wird, enthält Segen in hochkonzentrierter Form: "Gott sei mit dir" gibt man einander mit auf den Weg. Auch bei den großen Situationen der Begrüßung und des Abschieds im Leben hat der Segen eine besondere Bedeutung: Bei der Taufe, wenn ein neues Leben angefangen hat, bei der Trauung, wenn ein gemeinsames Leben beginnt, bei der Beerdigung, wenn ein Leben zu Ende gegangen ist, steht der Segen im Mittelpunkt des Gottesdienstes. Im Segen wird sichtbar und erfahrbar, dass Gott gegenwärtig ist und im Leben mitgeht.
Segen im Sakralen und Profanen nachgefragt
Es ist ja schon erstaunlich, dass Menschen, die sonst mit Glaube und Religion nicht viel am Hut haben, sich in Schwellensituationen des Lebens unter den Segen Gottes und damit in seine Gegenwart stellen wollen. Der Segen ist ein Grenzgänger. Im Sakralen hat er ebenso seinen festen Platz wie in der profanen Welt.
Anders als viele Angebote, die die Kirche mühsam und meist ohne durchschlagenden Erfolg macht, ist Segen stark nachgefragt. Feuerwehrhäuser, Bankfilialen, Autobahnabschnitte, Geschäftseröffnungen: bei der Einweihung möchten die Betreiber oder Besitzer ihre neuen Objekte oft kirchlich gesegnet wissen. Je umstrittener die Projekte sind, desto erhitzter ist dann die Diskussion: Darf man Dinge segnen? Kann mit kirchlichen Weihen belegt werden, was andere z.B. als Fluch der Technik empfinden? Heißt segnen zugleich abzusegnen und damit legitimieren?
Segen im Alten Testament
Im Alten Testament kommt Segen in den verschiedensten Lebenssituationen vor. Vom Segen wird vom Beginn des Lebens an, von der Schöpfung an geredet. Der erste Schöpfungsbericht erzählt, dass Gott Mann und Frau zu seinem Bilde schuf und sie segnete (Gen 1,28). Das ist der erste die gesamte Menschheit umfassende Segen. Er ist wie ein positives Vorzeichen, das es dem Menschen ermöglicht, seinem Auftrag gerecht zu werden. Doch Segen ist kein magischer Glücksbringer, mit dem alles wieder in Ordnung kommt. Der Mensch kann Segen zum Fluch verwandeln.
Dafür steht die Geschichte vom Sündenfall und die Sintflutgeschichte. Ein Segen, so erzählt die Bibel in den Väter- und Müttergeschichten, markiert die Geburtsstunde des Volkes Israel. "Ich will dich segnen und du sollst ein Segen sein", sagt Gott zu Abraham, und damit beginnt die großartige Geschichte zwischen Gott und seinem Volk Israel. Auch die wechselhafte Geschichte dieses Volkes und die furchtbaren Verfolgungen, die es erlitten hat, hat es nicht irre gemacht an der Überzeugung, die von Gott Gesegneten zu sein.
Was es bedeutet, gesegnet zu sein
Indem Gott segnet, sagt er seine heilende, stärkende und mutmachende Begleitung durch die Höhen und Tiefen des Lebens zu. So Gesegnete können ein Segen für andere sein. Segen kann im Alten Testament viele Inhalte haben. Er ist Lebensglück, das Gelingen in allem Tun (Ps 1,3). Ein erfülltes Leben, Erfolg, Glück, Zufriedenheit, Ruhe und Sicherheit ist Segen. Segen zielt auf ein Leben in Schalom, was soviel "Frieden, Heil, Wohl, Ganzsein" heißt. Gemeint ist dabei ein Leben im inneren Frieden mit sich selbst, mit anderen und mit Gott.
Die Menschen des Alten Testaments haben reichlich und zu allen Anlässen gesegnet. Und sie hatten keinerlei Zweifel an der Wirksamkeit von Segen und seinem Gegenspieler, dem Fluch. Auch die Scheu, etwas könnte zu profan sein, um gesegnet zu werden, gab es nicht: Alles hat mit Gott zu tun und Gott mit allem. Aber: Segen und Fluch sind auch eine riskante Sache. Deshalb konnte an entscheidenden Punkten auch nicht einfach nach Gutdünken gesegnet oder verflucht werden.
Fluch in Segen umwandeln
Das macht die Geschichte von Bileam und seinem Esel deutlich. Bileam hat vom König der Moabiter eigentlich den Auftrag, Israel zu verfluchen. Doch Gott dreht seinen Auftrag um. Dank mancher "Eseleien" segnet Bileam Israel schließlich. Im Neuen Testament ist die Gleichrangigkeit von Fluchen und Segnen aufgehoben, ihr Verhältnis neu bestimmt worden: Jesus fordert von denen, die ihm nachfolgen wollen, die Fluchenden zu segnen und den Fluch durch den Segen aufzuheben. Der Macht des Fluches soll so die Spitze gebrochen werden.
Die ganze Weite des alttestamentlichen Verständnisses von Segen dagegen ist im Neuen Testament aufgenommen. Hinzu kommt, dass Paulus Segen und Fluch in ganz eigener Weise auf Christus bezogen hat. Christus hat am Kreuz den Fluch des Gesetzes auf sich genommen (Gal 3,13), damit der Abrahamssegen über die Grenzen des Volkes Israel hinaus wirksam wird. Ziel dieser theologischen Denkfigur ist, etwas deutlich zu machen, was damals vielen als problematisch erschien: die Verheißung an Abraham gilt allen.
Wie entscheiden Pfarrer, welche Einrichtung sie segnen?
Wenn heute Pfarrerinnen und Pfarrer vor der Entscheidung stehen, öffentliche oder geschäftliche Einrichtungen zu segnen, dann gibt es meistens keinen Esel Bileams, der die Richtung vorgibt. Eine ethisch verantwortete Entscheidung ist gefragt. Dabei gehört es zur Natur der Sache, dass es keine Eindeutigkeit und Letztgültigkeit gibt. Das Entscheidungskriterium dafür aber könnte sein: Dient diese Einrichtung einem Leben in Schalom? Beim Segen geht es um den ganzen Menschen, sein Heilsein an Leib und Seele.
Der große Zulauf bei Segnungsgottesdiensten zeigt, dass das Bedürfnis nach Segen groß ist. Es braucht Orte, an denen man sich im Wissen um das Gefährdetsein und die Verletzlichkeit des Lebens in die Aura des Heiligen stellen und Vergewisserung erfahren kann.