"Je mehr man sich mit Sebaldus beschäftigt, bemerkt man, dass er wie ein Spiegel der Geschichte Nürnbergs ist"

Herr Brons, wie wichtig ist Sebaldus für Nürnberg heute noch?

Martin Brons: Im Vergleich zu vor 300 Jahren sicherlich geringer: damals hat Sebald noch jeden Nürnberger beschäftigt, es gab viele, die auf seinen Namen getauft wurden. Heute ist das anders. Ich bin mir nicht einmal so sicher, ob jeder Nürnberger weiß, wo die Sebalduskirche liegt. Aber die Sebalduskirche ist als älteste Pfarr- und Ratskirche im Herzen der Stadt präsent und lädt die Menschen ein, die Stadtgeschichte und ihren Stadtpatron zu entdecken. Eine Besonderheit ist, dass seine Gebeine bis heute in einem der größten Grabmäler Nordeuropas in einer evangelischen Stadt beherbergt werden.

Als Pfarrer hier beschäftigte mich neben den antijüdischen Darstellungen in der Kirche natürlich auch der Umgang mit dem Namensgeber und seinen Gebeinen im Prunkgrabmal. Je mehr man sich mit Sebaldus beschäftigt, bemerkt man, dass er wie ein Spiegel der Geschichte Nürnbergs ist und ein Beispiel einer bewussten mittelalterlichen Markenbildung.

Wie wurde Sebald zu dieser Marke?

Es ist historisch belegt, dass Sebaldus schon im 11. Jahrhundert hier verehrt wurde. An der Stelle von St. Sebald befand sich vorher eine dem Heiligen Peter geweihte Kapelle, zu der die Menschen pilgerten, weil sie Sebaldus, der dort begraben war, als heilig verehrten. Interessant ist, dass diese Verehrung über Generationen hinweg hielt. Man kann historisch nachverfolgen, wie die Nürnberger ihren Sebaldus sukzessive als Marke aufbauten. Schon im 13. Jahrhundert sprach man von der Sebalduskirche, obwohl die Kirche noch Petrus und Katharina geweiht war. Mit dem Neubau des heutigen Ostchors wurde 1379 diese Markenbildung abgeschlossen und die Kirche Sebaldus geweiht.

Das ist ein ungeheuerlicher Vorgang: der Ortsheilige vertreibt den Apostelfürsten Petrus. Das Patrozinium wechselt, weil es genügend Menschen gab, die sich dafür einsetzten. Wie stark die Verehrung Sebalds war, lässt sich daran ablesen, dass Taufen auf den Namen Sebald sprunghaft anstiegen. Maßgeblich beteiligt waren der damalige Pfarrer von St. Sebald, Albrecht Krauter, und die Älteren Herren des Stadtrats, die ihre männlichen Kinder alle auf den Namen Sebald taufen ließen.

"Das Verfahren der Heiligsprechung war im 15. Jahrhundert noch nicht so klar strukturiert wie heute"

Wie kam es ausgerechnet 1425 dann zur Heiligsprechung?

Die päpstliche Bulle vom 26. März 1425 ist quasi der Höhepunkt dieser Entwicklung und formal nur eine Bestätigung der Heiligkeit Sebalds. Die Nürnberger wollten diesen römischen Stempel, und die Kurie in Rom hatte ein Interesse daran, einem vorhandenen Heiligen das römische Gütesiegel aufzusetzen. Das Verfahren der Heiligsprechung war im 15. Jahrhundert noch nicht so klar strukturiert wie heute.

Wie passt dieser Sebaldus dann trotzdem heute noch in eine evangelische Kirche?

Ich finde sehr gut - auch um konfessionellem Schwarz-Weiß-Denken entgegenzuwirken. Im evangelischen Verständnis ist die Gemeinschaft der Heiligen die aller Getauften. In der Sebalduskirche ist man umgeben von Apostel- und Heiligenstatuen, an ihrer Spitze die Sebaldusstatue, quasi als Ortsapostel. Alle Menschen, die sich jetzt zwischen diesen Heiligen lebendig befinden und Gottesdienst feiern, sind wie die Apostel, die in der Nachfolge Jesu unterwegs waren.

Martin Brons
Martin Brons ist Pfarrer in St. Sebald.

Was hat diesen Sebaldus denn für die Nürnberger Bürger als Heiligen ausgezeichnet?

Da kommen wir ins Reich der Legenden. Man weiß historisch gesichert nur, dass sein Grab um 1072 von vielen Menschen aufgesucht wurde. Eine These ist, dass er in der ersten Hälfte des 11. Jahrhunderts der erste Priester war, der von der älteren Pfarrei Peter und Paul Poppenreuth in die heranwachsende Siedlung unterhalb der Burg entsendet wurde. Hier muss er Besonderes geleistet haben. Die Legenden sagen aber mehr über die jeweilige Zeit- und Frömmigkeitsgeschichte aus als über den historischen Sebaldus.

Eine Geschichte ist, dass sein Leichnam von einem führerlosen Ochsenkarren gezogen wurde und dort, wo die Ochsen anhielten, sein Grab entstehen sollte. In anderen Legenden spielt sein Eremitendasein eine Rolle. Später wurde aus Sebaldus ein dänischer Königssohn, der die Vermählung mit einer französischen Prinzessin für sein Eremitendasein hier aufgab.

Welche dieser Geschichten ist die kurioseste?

Er soll in einem bitterkalten Winter an einem Haus vorbeigekommen sein, in dem ein Wagner-Ehepaar sich am offenen Feuerofen wärmte. Als er um Aufnahme bat, schickte ihn das geizige Paar raus. Sebald verlässt das Haus, nimmt zwei Eiszapfen und schleudert sie ins Feuer, wo sie zu lodernden Holzscheiten werden. Diese Episode ist am Sebaldusgrab dargestellt. Ich sage dann immer, der Sebaldus konnte selbst den frostigsten, fränkischen Eiszapfen zum Lodern bringen.

"Sowohl das Grabmal als auch die Gebeine des Sebaldus und der silberne Schrein haben die Aufklärung überstanden"

Warum sind die Reliquien immer noch in der Kirche und wurden nicht in der Reformation vom Bildersturm erfasst?

Der Höhepunkt der Nürnberger Stadtentwicklung war 1425 die Heiligsprechung des Sebaldus durch den Papst von Rom. Nürnberg konnte sich als freie Reichsstadt behaupten und suchte direkte Beziehungen mit Rom. Das heimliche Ziel Nürnbergs war, Ende des 15. Jahrhunderts Rom direkt unterstellt zu sein. Das ist wegen der Reformation dann schief gegangen.

Durch Einführung der Reformation durch den Stadtrat gab es in Nürnberg keinen Bildersturm. Die Patrizier hatten ein großes Interesse daran, dass ihre Stiftungen in den Kirchen blieben und nur theologische Inhalte verändert wurden. Die mit Sebaldus verbundene Frömmigkeit war in der Bevölkerung selbst nach der Reformation so fest verwurzelt, dass er weder verscherbelt noch missachtet wurde. Das ist ein absolutes Alleinstellungsmerkmal in der Reformationsgeschichte. Sowohl das Grabmal als auch die Gebeine des Sebaldus und der silberne Schrein haben die Aufklärung überstanden und auch den Übergang Nürnbergs ins Bayerische Königreich.

Sebaldus als Wirtschaftsfaktor – wie ist das zu sehen?

Sebaldus war als Person identisch mit dem Schicksal der Stadt angesehen und mitverantwortlich für den Aufstieg und Erfolg der Reichsstadt. Er repräsentierte die Stadt wie eine Marke. Die Nürnberger Händler nahmen ihn auf ihren Handelswegen mit und verbreiteten ihn an ihren Niederlassungen in Venedig oder Amsterdam.

Sebald hat als Lokalheiliger nie weltweite Relevanz erlangt, wie der heilige Laurentius. Aber er hat an anderen Orten bleibende Relevanz, weil die Nürnberger Patrizier ihm an unterschiedlichen Orten Kapellen und Kirchen bauten, die teilweise noch heute bestehen: In Egling in Oberbayern oder in Gaflenz in Niederösterreich. Im 19. Jahrhundert brachten Emigranten ihn sogar nach Iowa, USA. Im deutschen Sprachraum ist es ein absolutes Unikat, dass in einer evangelischen Kirche bis heute ein Heiliger mitsamt Gebeinen vorhanden ist, der der Stadtpatron ist.

2025 als Sebaldusjahr in Nürnberg – was sind die wichtigsten Höhepunkte an Veranstaltungen?

Am 26. März, genau 500 Jahre nach der Heiligsprechung, wird ab 9.30 Uhr in St. Sebald die originale Bulle der Heiligsprechung ausgestellt, die im Staatsarchiv lagert. Tagsüber bieten wir Führungen an und feiern abends eine ökumenische Vesper mit anschließendem Vortrag. Über das ganze Jahr haben wir verschiedene Vorträge und Führungen geplant, aber auch am 5. Juni eine Wanderung von St. Peter & Paul Poppenreuth nach St. Sebald Nürnberg. Mir ist am wichtigsten, dass die Menschen verstehen, wir haben hier in einer evangelischen Kirche diese Person wie ein Geschenk überliefert, in der sich die gesamte Stadtgeschichte widerspiegelt. Ich will jeden dazu einladen, sich für diese Geschichte der Stadt zu interessieren. Und natürlich auch für die Person des Sebaldus.

Höhepunkte des Sebaldusjahres 2025

Mittwoch, 26. März 2025, Tag der Heiligsprechung vor 600 Jahren im Jahr 1425

  • Ausstellung der originalen Bulle der Heiligsprechung von 1425
  • 16.30 Uhr: Turmführung mit Josef Wintrich (Vorstand der Bauhütte)
  • 17.30 Uhr: Kirchenführung zu St. Sebald mit Clara Jantos (Gäste- und Touristenseelsorgerin)
  • 19 Uhr: Ökumenischer Vesper mit Stadtdekan Andreas Lurz & Sebalduspfarrer Dr. Martin Brons (in St. Sebald!)
  • im Anschluss Impulsvortrag und Gespräch im Kapitelsaal des Sebalder Pfarrhofes: Wer war der Heilige Sebaldus und wie geht eine evangelische Gemeinde damit um? (in Kooperation mit dem CPH und der Gesellschaft Sankt Sebald im Cartell Rupert Mayer)

Donnerstag, 22. Mai 2025, 19 Uhr, Bauhütte von St. Sebald

Eines mals, do hett sant Sebolt gewallet...

Die schriftliche Überlieferung der Sebalduslegenden. Ein Werkstattbericht.

Cedric Dütsch (Promovend zu den Legenden und Mitarbeiter am LAELKB)

16. Oktober, 19 Uhr, Bauhütte St. Sebald e.V.

Hymnum cantat plebs iucunda.

Die Feier der Stundenliturgie an der Nürnberger Pfarrkirche St. Sebald im Spiegel der Geschichte.

Florian Kluba

Donnerstag, 5. Juni 2025, 14-18 Uhr

Auf den Spuren Sebalds

Wanderung von St. Peter & Paul Poppenreuth nach St. Sebald Nürnberg

Treffpunkt: Kirche Poppenreuth

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