Neuen Klängen "für die Königin" – die Orgel – haben sich die ION-Macher seit einigen Jahren als Motto für zumindest eines der Konzerte im Gesamtreigen auf die Fahne geschrieben. Dabei kann es auch mal bluesig zugehen, mal brachial in donnernden Clustern oder in einer dynamischen Bandbreite wie beim Projekt "Salz". Die Orgel der Sebalduskirche wurde dabei auch mal als rhythmisch-sphärisches Element bedient, wenn Sylvia Ackermann auf den Pedalen weniger die Tonfolgen, als den sich stetig aufbauenden und bedrohlich mäandernden Klang in den Fokus stellte – eine Mischung aus Instrument und Raum, individuell in dieser Form nur in dieser Kirche reproduzierbar.

Was auch für die gesamte Performance galt, in der Gesang, Tanz, Sprache in einem Mix aus elektronischen Musik- und Soundelementen und einer Lichtinstallation dem Elementaren sakraler Ausdrucksformen auf den Grund gehen wollten. "Salz" als Grundnahrungsmittel, überlebenswichtig für den Körper und metaphorisch immer wieder in biblischen Kontexten ("Salz der Erde") oder in Redewendungen ("das Salz in der Suppe") verwendet, bildete als Begriff dabei das prägende Bild, das auf etwas ganz Ursprüngliches verweisen sollte.

Tiefer Ausdruck gegen alle Konventionen

Die Sopranistinnen Viola Blache und Beate von Hahn akklamierten mehr als sie klare Melodiebögen sangen und ließen in performativen Gesten Sehnsüchte nach innerer Reinheit und das Vergessen jeglicher Konventionen auferstehen, auf der Suche nach einer tiefen Klarheit des menschlichen Ausdrucks. Tristan Braun, gleichsam Regisseur, der mit seinem Ensemble seit zwei Tagen die Performance für die Sebalduskirche aufgebaut und für diesen Raum einstudiert hatte, wirbelte und schlich dazu ebenso enthemmt im Raum rund um das Sebaldusgrab wie seine Mitstreiterinnen.

Auch das Publikum war aufgerufen worden, sich von den Plätzen zu erheben und dem Geschehen im Chorraum näher zu treten. Nur wenige trauten sich und verpassten dabei, wie sich die Akteure mit Texterin Susanne Middendorf mal an den Händen gefasst wie wild geworden über den Boden zogen oder gestisch mit Salz einrieben. Dieses prasselte über wummernde Lautsprecher, bedient von Kaan Bulak, der auch Synthesizer-Klänge mit einfließen ließ, in den Kirchenraum. Josef Maaß zauberte dazu mit wenigen Lichtleisten imposante Bilder.

Durch die Kirche laufend des Geschehen verfolgen

Woran glauben wir, worauf hoffen wir – und für wen beten wir? Das Ensemble warf diese Fragen in den wenigen gesprochenen Teilen auf. Die Hörerschaft hatte gerade in den stillen Momenten genügend Zeit, über das eben Erlebte nachzudenken. Ein wichtiger Teil des Geschehens, das den Betrachter tief mit rein ziehen und Teil der Erfahrung machen wollte.

Nach einer Stunde war die letzte Prise Salz verrieselt. Mancher blickte nun ratlos, aber irgendwie geläutert in den Raum, wo eben noch Lichter flackerten und tiefe Bässe bis zu zarten Zither-Klängen den Ohren einiges an Aufmerksamkeit abverlangt hatten. Wer sich auf diese Überraschung eingelassen hatte, nahm mit Sicherheit eine Art von Reset, ein "zurück auf 0" mit, was die synästhetische Erwartung an ein Konzert und auch seine eigene Auseinandersetzung mit Glauben und Spiritualität angeht.

"Himmelsburg" steht im Container auf

Um neue sinnliche Erfahrungen mit Kirchenraum und –musik geht es nur wenige Meter von der Sebalduskirche entfernt auf dem Hauptmarkt. Im "Himmelsburg-Container" kann man dort eine der frühesten Wirkungsstätten Johann Sebastian Bachs, die Weimarer Schlosskapelle, als digitale Rekonstruktion begehen. Dazu nimmt man einfach Platz auf den drei Kirchenbänken im Container, setzt die Brille auf, die zudem mit einem Surround-Soundsystem in den Kopfhörern ausgestattet ist, und kann sich per Fernbedienung mittels 3D-Technik von unten über die Emporen bis unters Dach durchklicken. Die Thüringer Tourismus GmbH und die Thüringer Bachwochen stellen ihre Kooperation kostenlos jedem Interessierten zur Verfügung. Wer in diesen Tagen Nürnberg besucht, sollte sich die rund 15 Minuten Zeit nehmen und nicht nur in eine vor 250 Jahren verfallene Welt abtauchen, sondern sich auf diese sinnliche Erfahrung einlassen.  

 

Himmelsburg-Container
Eine Mitarbeiterin der Thüringer Tourismusgesellschaft zieht einem Besucher des Himmelsburg-Containers auf dem Nürnberger Hauptmarkt eine VR-Brille an.

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