Elisabeth Giesen-Steinbauer (86) ist mit drei Jahren noch ein Kind, als ihr Vater, der evangelische Pfarrer Karl Steinbauer (1906-1988), im Jahr 1939 von den Nationalsozialisten abgeholt wird. An konkrete Ereignisse könne sie sich deshalb nicht mehr erinnern, erzählt die in Köln lebende Zeitzeugin am Telefon. Aber dass sie damals ganz furchtbar geweint und geschrien habe, daran schon. Ihre Großmutter, Martha Beckmann-Eglsee, entstammte dem Gut Eglsee bei Straubing, das als evangelische Enklave im katholischen Niederbayern gilt.

Ich glaube, darum rede ich

Das Gut wird heute vom Großneffen der Elisabeth Giesen-Steinbauer, Carl Christian Beckmann, geführt. Im Gedenken an Karl Steinbauer ließ er eine Stele errichten, die an diesem Freitag (30. September) in Anwesenheit von Landesbischof Heinrich Bedford-Strohm eingeweiht wurde. "Karl Steinbauer - Ich glaube, darum rede ich", ist die Skulptur überschrieben.

Die Verhaftung Steinbauers war kein singuläres Ereignis, berichtet Tochter Giesen-Steinbauer. Ihr Vater, ein Mitglied der Bekennenden Kirche, wird mehrfach nach der Predigt verhaftet. Ständig sitzen Spitzel unter Steinbauers Kanzel, immer wieder muss er sich rechtfertigen, was er predigt - und dass er predigt. "Ich weiß noch, wie mein Vater sich einmal auf dem Dach versteckt hat", sagt Elisabeth Steinbauer. An die Situation, dass die "bösen Männer kommen", erinnert sie sich.

"Das habe ich heute noch, dass ich vor fragwürdigen Personen Angst bekomme, mehr als es sein müsste."

Jede Art zivilen Ungehorsams hatte ihr Nachspiel in Hitlers Diktatur. Forsch und frei fragte Steinbauer nach dem Haftbefehl, wenn NS-Schergen wieder vor der Tür standen; aber den habe es nicht gegeben, erzählt er später in Tonaufnahmen, die archiviert wurden.

Lügen kann man nur ohne Gott

1933 werden kurzfristig Kirchenvorstandswahlen angesetzt. Der neue Staat will die evangelische Kirche als ideologischen Partner aufbauen. Aber Steinbauer hat keine neuen Kandidaten gewonnen: Die NS-Leute toben. Zum Wahlsieg der Nationalsozialisten 1936 verweigert er nicht nur die Beflaggung und das Glockengeläut, sondern auch den Treueeid auf Hitler. Er könne "keine Lügen über die angeblich freie Wahl decken". Lügen könne man "nur ohne Gott".

Steinbauer wird nicht müde, immer wieder Kircheninstanzen anzuschreiben und auf die Unvereinbarkeit von Evangelium und Nationalsozialismus zu verweisen. So protestiert er auch gegen den Abtransport von jüdisch-stämmigen Kirchenmitgliedern ins Konzentrationslager.

Jesus wäre nach Rassegesetz "untüchtig"

Am 8. Januar 1939 hält Steinbauer eine Predigt über den Kindermord von Bethlehem. Darin begründet er seine Verweigerung des Arier-Nachweises mit der Feststellung, nach dem nationalsozialistischen Rassegesetz wäre "Jesus Christus unfähig und untüchtig, seine eigene Botschaft zu verkündigen" und dürfte keine Schule betreten. Als ordinierter Prediger sei es ihm unmöglich, sich unter ein Gesetz des Staates zu stellen, "das die Verkündigung des Evangeliums vom arischen Blut abhängig machen will".

Diese Predigt wurde Steinbauers "Verhaftungspredigt". Eine Woche später, am 15. Januar 1939 um 3 Uhr nachts, überfallen 20 angetrunkene SA-Leute das Pfarrhaus in Senden, zertrümmern die Eingangstür, dringen ins Haus ein und schreien: "Der Pfarrer muss raus!". Dabei werfen sie auch Steine ins Kinderzimmer von Steinbauers Tochter Elisabeth. "Mein Vater bewahrte ihn auf und schrieb darauf: Senden 1939", erzählt sie. Den Stein habe sie bis heute.

Vorbild und Mahnung

Ihr Vater wurde ins Gefängnis und am 27. März 1939 ins Konzentrationslager Sachsenhausen überführt, wo er mit Martin Niemöller, dem führenden Vertreter der Bekennenden Kirche, im Trakt für politische Gefangene einsaß. Er blieb dort bis Dezember 1939 in Haft, wurde dann zum Kriegseinsatz begnadigt. Noch 1944 wurde Steinbauer in Berlin wegen Wehrkraftzersetzung angeklagt: Freispruch. Schwerverletzt kehrte er in die Heimat zurück. Seine Worte und sein "Wage-)Mut" seien Vorbild und Mahnung zugleich, heißt es auf der Stele in Eglsee zur Erinnerung an Karl Steinbauer.