Das neue Sozialunternehmen Diakoneo ist vergangenen Juli aus dem Zusammenschluss der Diakonie Neuendettelsau und des Diak Schwäbisch Hall entstanden. Mit mehr als 10.000 Mitarbeitenden und rund 600 Millionen Euro Jahresumsatz ist Diakoneo einer der größten unabhängigen Träger Deutschlands - und der größte Süddeutschlands.
Herr Hartmann, als Sozialunternehmen ist Diakoneo in vielen Bereichen vom Coronavirus betroffen. Welche trifft es besonders?
Mathias Hartmann: Der Krankenhausbereich mit sechs Kliniken in verschiedenen Regionen von Schwäbisch Hall bis Nürnberg steht derzeit absolut im Fokus. Anfang März haben wir den Normalbetrieb faktisch eingestellt und für potenzielle Corona-Patienten die Kapazitäten im Intensivbereich ausgebaut.
Diese werden vor Ort ganz verschieden benötigt - wir haben im Diak Schwäbisch Hall und bei unserem ambulanten Pflegedienst Diakonie daheim
, nachdem die Region Hohenlohe ein Hotspot für Covid-19 ist, relativ viele Patienten, an anderen Standorten ist die große Welle aber bislang zum Glück ausgeblieben.
Wie sieht es an den Fach- und Reha-Kliniken aus? Auch dort wurden sicher alle regulären Eingriffe und Aufenthalte abgesagt...
Hartmann: ...ja, der Normalbetrieb ist weitgehend heruntergefahren auf die Notversorgung. Das betrifft beispielsweise die Rangauklinik bei Ansbach, die ja eine Spezial- und Rehaklinik für Pneumologie ist. Dort wurden im März die Reha-Neuaufnahmen gestoppt und über Ostern waren dann keine Reha-Patienten mehr in der Klinik. Seit rund einer Woche nimmt die Klinik aber wieder Patienten auf.
Außerdem bieten wir dort an, Patienten nach einer Covid-19-Erkrankung beziehungsweise nach Beatmung zur Anschlussheilbehandlung aufzunehmen. Das läuft jetzt gerade an, es gibt schon die ersten Anmeldungen. Im Akutbereich lief der Betrieb der Rangauklinik soweit möglich weiter.
Lediglich das Schlaflabor haben wir geschlossen. Die Cnopfsche Kinderklinik Nürnberg ist vom Katastrophenstab zur Schwerpunktklinik für junge Covid-19-Patienten festgelegt worden - bislang gab es dort aber keinen Intensivpatienten.
Infektionsschutz ist ein wichtiges Thema - wie stellen Sie bei Diakoneo die Versorgung mit Schutzausrüstung sicher?
Hartmann: Das war natürlich auch bei uns in der heißen Phase, als Schutzmaterial überall eine Mangelware war, eine große Aufgabe, das wirklich sicherzustellen. Aber wir haben einen zentralen Einkauf, der gut aufgestellt ist und die Lage im Griff hatte.
Wir haben rechtzeitig Nachschub bestellt und hatten immer etwas auf Lager, um Kliniken, Seniorenzentren, Behinderteneinrichtungen und jetzt auch die Schulen zu versorgen.
Und wenn es an einem Ort mal knapper wurde, haben wir uns im Diakoneo-Verbund einfach gegenseitig ausgeholfen. Das hat prima geklappt.
Wie viele ihrer Kindergärten und Behinderteneinrichtungen oder Schulen haben aktuell mit Notbetreuung überhaupt geöffnet?
Hartmann: Aktuell bieten 16 von 21 Kitas tatsächlich eine Notbetreuung an, natürlich mit einer deutlich geringeren Anzahl von Kindern als sonst, aber sie haben geöffnet genau wie unsere Schulen, die vielfach Online-Plattformen zu Fortsetzung des Unterrichts nutzen. Die Werkstätten sind komplett geschlossen, das Notprogramm findet nur mit Mitarbeitenden und nicht mit Menschen mit Behinderung statt, um nötige Lieferketten aufrecht zu erhalten.
Die Seniorenzentren sind voll in Betrieb. Trotz des Besuchsverbots unterstützen die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter die Bewohner dabei, mit kreativen Ideen im Kontakt mit der Außenwelt zu bleiben. Es wird viel telefoniert, aber auch über traditionelle Mittel wie selbst gestaltete Osterkarten kann man in Verbindung bleiben.
Wie sieht es bei ihren inklusiven Betrieben wie der Gärtnerei, Bäckerei oder Metzgerei aus? Was läuft davon normal weiter?
Hartmann: Im Wesentlichen haben unsere Betriebe alle nur Notprogramm. Bäckerei und Metzgerei haben zwar geöffnet, aber die Verkaufssituation ist weit vom Normalen entfernt. Die Gärtnerei hat komplett geschlossen.
Wie viele Mitarbeitende von Diakoneo müssen wegen der Corona-Schließungen aktuell und künftig in Kurzarbeit?
Hartmann: Aktuell haben wir keine Kurzarbeit, bislang konnten wir bei allen Mitarbeitern, die ihrer Arbeit nicht in vollem Umfang oder auch gar nicht nachgehen können, mit Überstundenabbau und Urlaub arbeiten.
Wir versuchen Kurzarbeit so lange wie möglich zu vermeiden - aktuell prüfen wir das für einige kleine Bereiche.
Hierbei ist es uns sehr wichtig, dass unsere Mitarbeitenden keine finanziellen Einbußen haben. Daher wurde bereits entschieden, dass wir im Fall der Fälle das Kurzarbeitergeld auf 100 Prozent des Nettoverdienstes aufstocken.
Das Zusammengehen von Neuendettelsau und Schwäbisch Hall ist noch nicht lange her - belastet sie das in der aktuellen Krise oder hilft es?
Hartmann: Aus meiner Sicht ist es ein absoluter Gewinn, denn als großer Tanker
haben wir mehr Stabilität in dieser Krise. Die hätten wir vor dem Zusammengehen so nicht gehabt, weil jeder seinen Beitrag leistet im Gesamtverbund. Wir merken auch, dass die Mitarbeitenden das so sehen. Wir sind mitten im Integrationsprozess von Neuendettelsau und Schwäbisch Hall und hoffen, dass es im Großen und Ganzen nur wenig Verzögerungen dabei gibt.
Aber es wird doch irgendwelche finanziellen Auswirkungen haben, dass nun vieles ziemlich anders läuft als geplant?
Hartmann: Wir beobachten sehr genau, wie sich die Corona-Krise finanziell auswirkt bei uns. Es brechen uns Einnahmen in Millionenhöhe weg, beispielsweise in den Kliniken, weil wir dort teilweise nur noch eine Auslastung von 40 oder 50 Prozent haben, weil wir vieles für potenzielle Corona-Patienten freihalten - das ist eine zu geringe Auslastung, um wirtschaftlich zu sein.
Diese Lücke decken auch die Ausfallpauschalen für leere Betten nicht, die wir erhalten. Aber auch in den Seniorenzentren wird es durch den Aufnahmestopp Defizite geben - ähnlich sieht's in den Bereichen der Offenen Hilfen und der Werkstätten für Menschen mit Behinderungen aus. Die Bezirke bezahlen nur, wenn die Angebote auch tatsächlich stattfinden. Die Personalkosten aber laufen weiter.
Müssen Sie dann noch mal mit den Kostenträgern verhandeln, dass keine zu großen Lücken entstehen?
Hartmann: Wir müssen mit den staatlichen Stellen beim einen oder anderen Punkt sicher noch mal verhandeln. Die Bezirke verweisen bislang sehr schnell auf die staatlichen Pandemie-Hilfen, wie etwa die erweiterte Kurzarbeit. Aber damit kommt man nur bedingt weiter.
Ich will aber auch klar sagen: Ja, wirtschaftlich trifft uns diese Krise hart, sie wird auch Spuren im Jahresergebnis hinterlassen - aber wir rechnen nach aktueller Einschätzung nicht damit, dass uns das existenziell trifft. Die Mitarbeitenden müssen aus jetziger Sicht keine Sorge um ihre Arbeitsplätze haben.
Schaffen es viele Diakoneo-Einrichtungen unter staatliche Schutzschirme? Oder benötigen Sie die gar nicht?
Hartmann: Wir gehen im Moment nicht davon aus, dass wir irgendwelche staatlichen Corona-Darlehen in Anspruch nehmen müssen. Im Klinikbereich und im sozialen Bereich gibt es eine ganze Menge an zusätzlichen Finanzierungstöpfen vom Staat bis zu den Pflegekassen, mit denen wir ganz gut durchkommen müssten. Es wird viel getan, und wenn es doch noch irgendwo klemmen würde, würden wir uns laut zu Wort melden und der Politik Rückmeldungen geben.
Was wird es nach der Krise bei Diakoneo vielleicht mangels finanzieller Möglichkeiten nicht mehr geben können?
Hartmann: Da fällt mir momentan wirklich nichts ein. Es gibt nichts, was wir nach der Krise nicht mehr anbieten wollen. Ich denke, in der Art und Weise der Arbeit wird sich durch und vor allem nach der Krise einiges verändern.
Alle Welt beklatscht gerade die Pflegeberufe - was glauben Sie bleibt von dieser aktuellen Wertschätzung nach Corona übrig?
Hartmann: Ich finde die gesteigerte Wahrnehmung für alle Care-Berufsgruppen in der Corona-Krise sehr ermutigend. Es gibt Berufe, die nun im Fokus stehen und als systemrelevant gelten, die man bislang nicht so bedenkenswert fand. Das finde ich gut. Als Optimist glaube ich, dass davon auch nach der Krise etwas übrigbleibt.
Wir dürfen dann nicht einfach zur Tagesordnung übergehen und müssen für bessere Rahmenbedingungen in der Gesundheitsversorgung und Pflege kämpfen.
Die in den vergangenen 15 bis 25 Jahren massiv vorangetriebene Ökonomisierung von Gesundheit und Pflege wird an manchen Punkten noch mal auf den Prüfstand kommen müssen.
Überhaupt: Wird Corona unsere Gesellschaft verändern? Werden wir solidarischer sein, mit mehr Gemeinschaftssinn?
Hartmann: Ich glaube, dass diese Erfahrung der aktuellen Krise etwas in unseren Köpfen verändert, ja. Meine Hoffnung ist, dass uns gesamtgesellschaftlich deutlicher wird, dass die soziale Nähe, dass die Solidarität, die Zuwendung zu anderen Menschen hohe Güter sind, die es zu schätzen und zu bewahren gilt.
In der Krise lernt man Menschen kennen: Es gibt die, die nur auf ihre eigene Existenz schauen, und die, die einen Blick für die anderen entwickeln. Ich hoffe, dass wir die Fragen, was für uns zu einem guten Leben gehört, künftig anders beantworten - weniger wirtschaftlich.