Eigentlich, sagt Anne-Kathrin Kapp-Kleineidam, habe sie mit dem Thema schon abgeschlossen gehabt. Doch als die Stadtratsfraktion der Grünen anfragte, ob die evangelische Pfarrerin im März 2020 bei der Kommunalwahl für den Augsburger Stadtrat kandidieren wolle, da sagte sie dann doch Ja. "Bei der Wahl 2014 habe ich mich schweren Herzens dagegen entschieden", sagt Kapp-Kleineidam: "Wenn ich es diesmal nicht mache, bereue ich es vielleicht."
Eine leichte Entscheidung war es für die 51-Jährige auch diesmal nicht. Denn evangelische Gemeindepfarrerinnen und -pfarrer, die für ein kommunales Parlament kandidieren, müssen in Bayern drei Monate vor der Wahl ihr Pfarramt ruhen lassen. Schaffen Sie den Sprung in den Stadt-, Kreis- oder Gemeinderat, treten sie für die Zeit der Wahlperiode in den sogenannten Wartestand. Sie verlieren dann ihre Stelle, dürfen keine Gottesdienste halten oder als Seelsorger arbeiten, ihre Bezüge werden gestrichen.
Kapp-Kleineidam, die sich ihr Amt als Gemeindepfarrerin zur Hälfte mit ihrem Mann teilt, empfindet diese Regelung nicht nur als ungerecht. "Sie schränkt auch die Bürgerrechte von Pfarrerinnen und Pfarrern ein", sagt sie. Als Nummer 19 auf der Stadtratsliste der Grünen hat die Pfarrerin zwar wenig Chancen ins Augsburger Rathaus einzuziehen. Ihr geht es jedoch ums Grundsätzliche:
"Ich bin mit Leib und Seele Pfarrerin. Und ich würde mir wünschen, dass man gleichzeitig als evangelische Pfarrerin und Stadträtin tätig sein kann. Aber das geht in Bayern nicht."
Hintergrund ist eine Bestimmung im sogenannten Pfarrdienstausführungsgesetz der bayerischen evangelischen Landeskirche (ELKB). Demnach können Pfarrerinnen und Pfarrer nicht gleichzeitig in einer Kirchengemeinde tätig sein und ein kommunales politisches Mandat ausüben. Grundlage dafür ist eine entsprechende bundesweite Regelung der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD). Diese sieht allerdings nur vor, dass Pfarrer ihre Ämter dann niederlegen müssen, wenn sie für das Europäische Parlament, den Bundestag oder ein Landesparlament kandidieren.
In Bayern wird dagegen - im Gegensatz zu anderen evangelischen Landeskirchen - auch die Mitgliedschaft in den kommunalen Parlamenten untersagt. Auf Anfrage verweist die ELKB dabei auf Beschlüsse der bayerischen evangelischen Landessynode. Das Kirchenparlament der Evangelischen im Freistaat sehe im Nebeneinander von Pfarramt und politischem Amt ein "Spannungsverhältnis, das das Amt der Gemeindepfarrerin oder -pfarrers beeinträchtigen und die Akzeptanz bei den Gemeindegliedern behindern könnte". Mit anderen Worten:
Pfarrerinnen und Pfarrer sollten sich politisch möglichst neutral verhalten.
"Christenleben ist aber Leben in Gemeinschaft und inmitten der Gesellschaft - und insofern immer auch politisch", meint Hans-Willi Büttner. Der evangelische Pfarrer im Ruhestand ist Sprecher des Arbeitskreises Evangelische Erneuerung (AEE) in der ELKB. Der AEE setzt sich unter anderem für demokratischere Strukturen innerhalb der Kirche ein. Mit Blick auf die umstrittene Mandatsregelung sagt Büttner: "Meiner Kirche würde kein Schaden entstehen, wenn sie diese Regelung streichen würde."
Auch Anne-Kathrin Kapp-Kleineidam sieht das so. Nach der Wahl 2014 hatte sie sich deshalb mit einer Eingabe bei der Landessynode für eine Abschaffung der Regelung eingesetzt. Das Kirchenparlament lehnte das jedoch ab. Ob sie künftig noch einmal einen Vorstoß wagen werde, könne sie derzeit nicht sagen, meint die Pfarrerin. Die strikte bayerische Regelung hält sie jedoch weiterhin für falsch. Man dürfe Pfarrerinnen und Pfarrern doch ohne weiteres zutrauen, ein politisches Amt von der Funktion als Seelsorger zu trennen. "Bei Ärzten, Richtern und Rektorinnen geht das ja auch", sagt sie. Diese dürften neben ihrem Beruf kommunale politische Ämter ausüben. "Warum also sollten Pfarrerinnen und Pfarrer das nicht können?"