Es hat sie ins Mark getroffen, gibt die evangelische Pfarrerin der Nürnberger Jakobskirche zu. Der Schmutz in ihrem E-Mail-Postfach und in ihrem Briefkasten machte Simone Hahn sprachlos.
"Es ging von 'Die Kirchenglocken sollen Sie erschlagen' bis hin zu sexualisierter Gewalt gegen Frauen. Man ist fassungslos, was sich Menschen trauen zu sagen."
Vorausgegangen waren diesem Shitstorm gegen Simone Hahn mehrere Pegida-Demonstrationen auf dem Platz vor der Jakobskirche. Beleidigungen, Schmähungen und ein aggressives, respektloses Klima, das bei diesen Versammlungen herrschte, haben die Pfarrerin schockiert. Menschen seien "unter der Gürtellinie beleidigt worden, da ging es nur darum, andere für dumm, dämlich und blöd zu erklären".
Und dann führten diese Leute, die hier für Pegida demonstrierten, auch noch ein christliches Kreuzfahrersymbol mit sich. Das war für die Pfarrerin zuviel. "Ich habe gesagt, ich will für andere Wörter beten." Sie glaube an die Macht des Gebets, "dass Beten etwas verändern kann, dass man Gott in den Ohren liegen muss, und wenn das mehr tun, umso besser".
Sie lud zum Friedensgebet in ihre Kirche ein. Beim ersten Mal kamen drei Leute, beim zweiten Mal waren es 50.
Die Glocken läuteten damals im März 2018 zum Gebet, als der Hauptredner sprach. Dieser fühlte sich dadurch gestört. Der Islamkritiker Michael Stürzenberger schrieb darauf im rechtsradikalen Internetblog "Politically Incorrect", die Pfarrerin habe "erhöhten Informationsbedarf zum Thema Islam". "Wer ihr auf die Sprünge helfen möchte", solle ihr unter der hier veröffentlichten E-Mail-Adresse schreiben. Zwei Tage später begannen seine Anhänger, kübelweise Dreck über der Seelsorgerin auszukippen.
"Ich habe gelernt, dass der Mensch ein sehr verletzliches Wesen ist und dass Worte eine echte Macht und Wirkung haben", sagt Hahn im Rückblick. Im ersten Moment habe sie sich "grottenmäßig allein" gefühlt, berichtet sie. Sie hatte Angst, sie ging zur Polizei, eine Woche lang war sie krankgeschrieben. Aber sie hat auch gute Freunde, die sie trösteten und drückten. Stadtdekan und Regionalbischof kümmerten sich auch.
Und am 3. Oktober 2018, als Pegida wieder demonstrierte, war beim Friedensgebet unter dem Motto "Herz statt Hetze" die Jakobskirche bis auf den letzten Sitz gefüllt. Bei der rechtsextremen Kundgebung auf dem Platz davor standen 60 Teilnehmer und eine lautstarke Gegendemonstration. "Der Unterschied zwischen den Tönen da draußen und hier drinnen ist schon die erste Botschaft dieses Nachmittags", sagte der Nürnberger Regionalbischof Stefan Ark Nitsche. Die Angst dürfe nicht die Macht übernehmen, erklärte er.
Die Hassmails und die Kundgebungen vor ihrer Kirchentür haben das Leben von Simone Hahn in vieler Hinsicht verändert.
"Im ersten Augenblick wünscht man, dass das an einem anderen Platz passiert, aber im zweiten Moment sagt man, wir müssen uns damit auseinandersetzen." Es habe nach den Vorkommnissen auch Diskussionen im Kirchenvorstand gegeben, und man habe Veranstaltungen zum Thema Islam durchgeführt, berichtet die Pfarrerin.
Für ihr Engagement und ihre Zivilcourage gegen die Schmäh- und Hassreden der Rechtsextremen vor ihrer Kirchentür erhält Simone Hahn nun von der Bayerischen Pfarrbruderschaft das Karl-Steinbauer-Zeichen.
Es ist ein Glasfenster, das an Pfarrer Karl Steinbauer (1906 bis 1988) erinnert. Die eine Zeichnung, deren Original Steinbauer im nationalsozialistischen Gefängnis angefertigt hat: ein vergittertes Fenster, in dem ein Vogel singt. Darunter der Psalm 40: "Ich will mir meinen Mund nicht stopfen lassen."
Der in Windsbach geborene Theologe legte sich schon als junger Vikar mit Landesbischof Hans Meiser wegen dessen Haltung zum NS-Regime an. Er gehörte zu den Gründungsmitgliedern der Bayerischen Pfarrerbruderschaft, die sich gegen die Gleichschaltung der Evangelischen Kirche durch den Staat stellte. Er verbrachte fast 500 Tage in Haft und erhielt zeitweise Predigtverbot.
Der Preis ist Pfarrerin Hahn ein wenig peinlich, denn sie fühlt sich nicht als Heldin. "Aber er ist ja nicht nur für mich, sondern stellvertretend für alle, die für Frieden beten und sagen, dass wir eine andere Meinung haben. Das finde ich cool, da freue ich mich so sehr."