Seit vergangenem Jahr sind Sie Leiter des evangelischen Landeskirchenamtes in München. Wie ist Ihr erster Eindruck?
Blum: Die Mitarbeitenden sind alle sehr freundlich und offen. Das erste Kennenlernen ging sehr schnell, ich hatte nicht das Gefühl, auf Mauern zu stoßen oder als "Externer" ausgegrenzt zu werden. Allerdings: "nomen est omen": Wir arbeiten alle in einem Amt, das in manchen Bereichen ein wenig verstaubt wirkt. Ein paar innere Veränderungen, etwa zum Rollenverständnis, täten dem Landeskirchenamt gut. Zum Beispiel stolpere ich immer noch darüber, dass sich das Landeskirchenamt als oberste Dienstbehörde der Landeskirche bezeichnet. Das halte ich nicht für sonderlich glücklich.
Warum?
Blum: Ich halte wenig von dem Top-Down-Verständnis, dass wir die Obersten sind und alle anderen anweisen. Das Landeskirchenamt hat zwar eine Führungsaufgabe, aber doch in dem Sinn, dass die Kirche als Gesamtorganisation in die Lage versetzt wird, ihre Aufgaben gut zu erfüllen. Ich sehe das Landeskirchenamt daher eher als "enabler", also in der Rolle des Unterstützers, der etwas möglich macht. Wir müssen die rechtlichen Rahmenbedingungen, Instrumente und Prozesse zur Verfügung stellen, damit auf den verschiedenen kirchlichen Ebenen vernünftig gearbeitet werden kann. Aber solche kulturellen Veränderungen benötigen natürlich Zeit.
Sie waren früher in Wissenschaftseinrichtungen tätig, haben also erst mal von Ihrer beruflichen Biografie her keinen kirchlichen Hintergrund. Inwieweit sehen Sie die evangelische Kirche als Wirtschaftsunternehmen?
Blum: Kirche ist natürlich kein Wirtschaftsunternehmen. Sie hat mehrere Gesichter: Sie ist nicht nur Organisation, sondern sie ist auch Gemeinschaft und Institution. Wenn es um die Kernaufgaben der Kirche geht - Verkündigung des Evangeliums oder die Besetzung von Pfarrstellen - geht es natürlich um viel mehr als nur reine Organisations- und Ablauffragen. Was aber Verwaltungsabläufe oder Effizienz angeht, sehe ich keinen wesentlichen Unterschied zu einem Wirtschaftsunternehmen. Die Regelungen im kirchlichen Bereich sind schon immens komplex, verschlungen und kleinteilig. Bei einer Personaleinstellung zum Beispiel sind derzeit sehr viele Stellen beteiligt - das nimmt sehr viel Zeit in Anspruch. Solche Prozesse müssen wir straffen. Wir wollen ja unsere Ressourcen nicht in Verwaltungs- und Ablauffragen stecken, sondern in die Dienste der Kirche.
Inwieweit spielt da der in diesem Jahr angestoßene Reformprozess "Profil und Konzentration" (PuK) eine Rolle?
Blum: Zunächst mal: Ich finde PuK eine große Chance, ein immenses Abenteuer, fast wie eine Expedition in ein unbekanntes Land. Mit PuK suchen wir nach den Möglichkeiten, eine lebendige Kirche zu schaffen, die das Evangelium mit zeitgemäßen Mitteln zu den Menschen bringt. Die Welt ist in den vergangenen Jahren individualisierter, mobiler und digitaler geworden. Darauf müssen wir als Kirche reagieren. Die Menschen suchen nach Orientierung und geistlicher Heimat, aber nicht mehr unbedingt in ihrer Ortsgemeinde, wo sie aufgewachsen sind. Zum Beispiel sind die Menschen heute stundenlang im Netz unterwegs und haben dort ihre Freunde. Es gibt inzwischen Online-Gebetskreise. Das ist zumindest eine zeitgemäße Form und ein gutes Angebot, aber noch längst nicht die ganze Antwort auf all diese gesellschaftlichen Veränderungen.
Können Sie konkrete Beispiele nennen für Maßnahmen, die jetzt kommen könnten?
Blum: Es werden derzeit Versuchsregionen gebildet, in denen man die PuK-Ansätze für unterschiedlich strukturierte Räume ausprobieren möchte. Zum Beispiel wollen drei fränkische Dekanate enger zusammenarbeiten. Da wollen wir genau hinschauen: Was brauchen diese Dekanate an Unterstützung vom Landeskirchenamt? Passt dazu die Landesstellenplanung? Können die neuen Instrumente der Gemeindereform eingesetzt werden? Auf die Anforderungen aus den Versuchsregionen müssen wir dann flexibel reagieren können.
Mit Veränderungen sind auch immer Ängste verbunden. Wie reagieren die Kirchenmitarbeiter auf PuK?
Blum: Ich habe das Gefühl, dass es eine große Bereitschaft gibt, diesen Weg zu gehen. Und viele sehen auch die Notwendigkeit für Veränderungen. Keiner weiß natürlich, was am Ende dabei herauskommen wird. Und natürlich haben wir nicht alle die gleichen Vorstellungen. So stellt kaum jemand das Thema Digitalisierung infrage. Allerdings gehen die Meinungen darüber auseinander, wie es zu bewältigen ist. Und natürlich gibt es Ängste: Ängste vor Veränderung, Verlustängste, wie entwickelt sich meine Einrichtung oder meine Gemeinde? Zwei Standardreflexe der Abwehr sind etwa: "Ist denn alles schlecht gewesen, was wir bisher gemacht haben?" oder "Das machen wir doch eh schon alles." Mit diesen Fragen umzugehen, sie in positive Energien umzuwandeln, macht den Reiz des PuK-Projekts aus und lässt es zu der besagten Expedition werden.
Ein Vorwurf lautet ja auch: Die PuK-Ergebnisse stünden ohnehin schon fest. Letztlich gehe es nur um Einsparungen...
Blum: Es gibt keinen geheimen Masterplan, in dem schon alles drinsteht. Und nein - PuK ist auch kein Einsparprozess. Wir waren uns am Start von PuK alle einig, dass es nichts bringt, nur nach Einsparmöglichkeiten zu suchen und damit einen Verteilungskampf zu provozieren. Genau das wollen wir mit PuK ja vermeiden. Ich kann den kritischen Stimmen nur sagen: Begleitet uns und gebt Rückmeldung, aber stellt nicht den ganzen Prozess infrage. Wenn wir zu Ergebnissen gekommen sind, dann müssen wir natürlich auch über Finanzen reden. Aber das steht jetzt nicht im Vordergrund.
Vor wenigen Wochen ist öffentlich geworden, dass die Landeskirche mit dem Gedanken spielt, ihr Wildbad Rothenburg zu verkaufen. Einige vermuten eine Verbindung zu PuK.
Blum: PuK ist weder eine Veränderungssperre noch ein Denkverbot. Natürlich geht das laufende Geschäft weiter, und dazu gehören nun mal auch Immobilienangelegenheiten. Ich würde es sehr kritisch sehen, anhand von Wildbad Rothenburg den ganzen PuK-Prozess in Frage zu stellen. Ich habe volles Verständnis für kritische Rückfragen aus der Region. Aber mir macht derzeit Sorge, dass solche Themen den PuK-Prozess überlagern könnten. PuK könnte allerdings einen Beitrag zur Lösung leisten, indem die richtigen Fragen gestellt werden: Was sind die wichtigen kirchlichen Arbeitsschwerpunkte vor Ort in der Region, und wie lassen sie sich - mit oder ohne Immobilie - am besten versorgen?
Eine Veränderung brachte in diesem Jahr auch die Öffnung der AcK-Klausel, wonach in Ausnahmefällen in evangelischen Einrichtungen nicht nur Mitglieder einer christlichen Kirche beschäftigt werden können. Wie ist diese Änderung bisher aufgefasst worden?
Blum: Den Rückmeldungen zu entnehmen, wird die Öffnung für ausgewogen und praktikabel gehalten. Und dennoch: Das Meinungsspektrum geht weit auseinander. Die einen meinen, dass in evangelischen Einrichtungen nur evangelische Kirchenmitglieder arbeiten sollten. Wenn kein Personal mehr gefunden wird, müssten im Zweifel die Dienste eingestellt werden. Und die anderen meinen, dass es nur darauf ankomme, dass sich die Mitarbeiter dem Betriebszweck zugehörig fühlen - egal, ob sie etwa muslimisch sind oder keiner Kirche angehören.
Wie sehen Sie die Öffnung?
Blum: Soll denn im Zweifel eine Kindergruppe zugemacht werden, wenn man keine evangelischen Erzieher findet? Für uns war es wichtig, im Kern die Kirchenmitgliedschaft als Anforderung aufrechtzuerhalten, aber nicht in einer fundamentalistischen, dogmatischen Art. Typisches Beispiel aus dem Bereich Diakonie: In einer Pflegeeinrichtung, wo auch Muslime betreut werden, wird ein Altenpfleger gesucht, und man findet eine höchst geeignete muslimische Person. Warum sollte diese Person nicht eingestellt werden können? Immer vorausgesetzt natürlich, dass die Loyalität zur Einrichtung gegeben ist und dass die christliche Prägung der Einrichtung erhalten bleibt.
Aber dann müssen die kirchlichen und diakonischen Einrichtungen ihre Mitarbeiter - mehr als bisher - mit dem besonderen Auftrag der Kirche vertraut machen...
Blum: Mit der neuen AcK-Klausel ist verbindlich vorgeschrieben, dass Einführungskurse für neue Mitarbeiter veranstaltet werden oder auch Auffrischungskurse, um ihnen den besonderen Charakter und die Ausrichtung ihrer Einrichtung nahezubringen. Das ist für mich der richtige Weg. Wir müssen Abschied nehmen von der Vorstellung, dass die formale Mitgliedschaft in der evangelischen Kirche bereits den Charakter der Einrichtung absichert. Das ist eben nicht der Fall.
Diskussionen bereitet auch immer noch das kirchliche Arbeitsrecht, der sogenannte "Dritte Weg". Ist der überhaupt noch zeitgemäß?
Blum: Zeitgemäß ist er nach meiner Auffassung schon. Ich finde es eine immense Chance, die Arbeitsverhältnisse so zu gestalten, dass man die christliche Überzeugung und die christliche Gemeinschaft spürt. Auch wenn den Gewerkschaften der "Dritte Weg" schon lange ein Dorn im Auge ist - ich glaube, dass sich ein Arbeitsverhältnis in der Kirche noch unterscheiden kann und soll von Arbeitsverhältnissen in nicht-kirchlichen Einrichtungen. Wie lange sich der "Dritte Weg" halten kann, hängt davon ab, wie glaubwürdig wir als Kirche unsere Dienstgemeinschaft leben. Wenn dafür das Verständnis bröckelt und keiner mehr den Unterschied merkt zu nicht-kirchlichen Arbeitsverhältnissen, dann wird es wahrscheinlich langfristig schwierig, diesen "Dritten Weg" aufrechtzuerhalten. Ich jedenfalls setze mich dafür ein, dass er erhalten bleibt.