"Ich bin schon seit Ostern hier." Das Sprechen strengt die ältere Dame hörbar an. Ganz leise flüstert sie. Ihr Besucher, Landesbischof Christian Kopp, muss sich dicht zu ihr neigen. Flach liegt Maria Anna Dohle (89) in ihrem Bett und blickt zur Decke. Sie spricht angestrengt, aber ihre Augen leuchten. Sie will sich unterhalten. Sie erzählt von ihrem früheren Viertel in Nürnberg, von den drei Kindern, die sie regelmäßig besuchen und ihren Computer zum Arbeiten mitbringen, um länger bei ihr zu sein.
"Eigentlich geht es mir gut", meint sie und blickt sich um. Wenn nur die Stimme nicht so schlimm wäre. Der Landesbischof hört zu, fragt nach, erzählt ein wenig von sich selbst. Über das Auf und Ab des Lebens reden sie und davon, wie sich die Zeit verändert hat. Schließlich spricht Christian Kopp noch ein Gebet. Die Frau wird ganz still.
Begegnungen mit Menschen, die am Ende des Lebens stehen oder die einen Menschen verloren haben, sind Christian Kopp sehr wichtig. Begegnungen wie hier im Mathildenhaus, einem Hospiz der Diakonie in Mögeldorf. Was in den Hospizen und in der Palliativmedizin geleistet wird, hält Kopp gesellschaftlich für zu wenig beachtet und auch zu wenig gefördert. "Dort wird eine Arbeit gemacht, die sehr viel Leid und Schmerzen verhindert und einen würdevollen, selbstbestimmten Abschied in guter Umgebung ermöglicht", sagt er.
ABSCHIEDE LEBEN: Schwerpunktthema des Campus Kommunikation
Sterben und Tod und Trauer sind Teile des Lebens, nicht die besten, aber sie gehören dazu. Und wo diese Themen nicht verdrängt werden, ist intensiveres Leben möglich. "Abschiede Leben" – der erste Themenschwerpunkt im Campus Kommunikation der bayerischen Landeskirche fragt deshalb danach, was Sterbende den Lebenden mitgeben können an Erfahrungen, Lebensweisheit und Hoffnung. In unterschiedlichen Medien und Publikationen werden die Themen Sterben und Tod von unterschiedlichen Seiten beleuchtet. Die Frage, wie das Leben im Angesicht des Todes gelingt, kommt in Gesprächen mit Pflegekräften, Hospizhelferinnen und Sterbeforschern zur Sprache.
"Wie geht das überhaupt: sterben?"
Im Gespräch mit dem Arzt und den Pflegekräften des Mathildenhauses erfährt Kopp, dass die Fragen am Ende des Lebens tiefer und bohrender werden. Früher seien Religion und Glaube zentrale Themen gewesen, berichtet eine Pflegerin. In den Gesprächen während der Pflege oder bei einer Tasse Kaffee hätte sie sich mit den Patientinnen und Patienten – im Hospiz Gäste genannt – früher oft darüber unterhalten. "Das hat sich deutlich verändert." Doch auch wenn der Glaube nicht mehr das gleiche Gewicht hat wie früher – die Fragen haben sich im Kern nicht verändert: "Wie gehe ich mit dem Sterben um?", "Was kommt?", "Wo gehe ich hin?", "Wie geht das überhaupt: sterben?" Es sei "zutiefst menschlich", sich damit zu beschäftigen.
Nicht nur die Gäste brauchen Zuwendung. Alle vier Monate veranstaltet das Hospiz eine Gedenkfeier für die Verstorbenen, bei der die Angehörigen eingeladen sind. "Der Beistand, das Zusammensein in diesem Moment – für die, die kommen, ist das wichtig, enorm wichtig", berichtet Pflegedienstleiterin Christine Lettau. "Die Angehörigen haben im Anschluss oft noch ganz viel Gesprächsbedarf." Oft säßen sie nach der Feier noch lange da und hörten einfach zu.
Die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter im Mathildenhaus haben sich bewusst für die Arbeit im Hospiz entschieden, um sich mit Menschen, die am Ende des Lebens stehen, zu beschäftigen. Trotzdem sei es für das Team manchmal sehr herausfordernd, betont Christine Lettau: Da sind die Gäste mit ihren Fragen, die Angehörigen und auch die ehrenamtlichen Hospizhelferinnen und -helfer. Deren Einsatz sei großartig, aber auch sie bräuchten Ansprache und Begleitung. Für die Pflegekräfte, die keine seelsorgerliche Ausbildung hätten, ist dies zusätzlich zu ihrer eigentlichen Aufgabe kaum zu leisten – da sind sich die Pflegerinnen und der Arzt Christian Guthmann einig. Es bräuchte einen hauptamtlichen Seelsorger, der kontinuierlich ansprechbar sei.
"Wir bekommen viel zurück, wir gehen oft gestärkt aus dem Besuch bei unseren Gästen heraus und sehen wieder, was im Leben wirklich wichtig ist",
sagt Guthmann. Trotzdem müssten die Rahmenbedingungen stimmen. Von medizinischer und pflegerischer Seite würden die Gäste sehr gut betreut, präzisiert der Mediziner. Aber ihnen allen sei eine ganzheitliche Begleitung sehr wichtig. Ein großes Anliegen sei dabei die Spiritualität. "Und da sind die Pflege und auch wir Ärzte überfordert." Pflegedienstleiterin Lettau pflichtet ihm bei: "Natürlich habe ich mich im Hospiz mit dem Thema Seelsorge bei Sterbenden auseinandergesetzt, aber das ist nicht meine Kernkompetenz", sagt sie. Manche Fragen würde sie einfach gerne an eine andere Stelle abgeben.
Solche Wünsche sind dem Landesbischof gut bekannt, und er würde sie nur zu gerne erfüllen. Gerade in einer Einrichtung, in der er so ein menschenfreundliches, respektvolles Klima erlebt wie im Mathildenhaus. Gleichzeitig weiß er, wie knapp Geld und Stellen in der bayerischen Landeskirche sind. "Ich bin um jeden froh, der bei uns Mitglied ist, denn die Mitglieder tragen unsere Arbeit", sagt er. Aber dieses Fundament werde immer poröser.
Gemeinsam mit Pflegeprofis hat die Nürnberger Dekanin Christine Schürmann in einer Ritualgruppe eine Aussegnung entwickelt, die diese dann auch selbst ohne Pfarrerin übernehmen können. "Ich staune da immer wieder, wie die Pflegerinnen und Pfleger sich hier einbringen", betont Schürmann. Für manche Angehörige sei diese Aussegnung "unglaublich wichtig", erzählen die Mitarbeitenden im Mathildenhaus.
"Die Begleitung von Menschen am Lebensende gehört zu unserem Grundauftrag"
Im Hospiz gehe es um das Leben, betont Christine Lettau. Darum, das Lebensende zu gestalten. "Und das hat so viele Facetten." Es sei so individuell, was der Einzelne brauche. Aber oft werde das gar nicht ausgesprochen. Es brauche das "Hinspüren zum Gast", damit im richtigen Moment die wichtigen Leute aktiviert werden könnten. "Das ist unglaublich wichtig."
So wie der Wunsch eines sechzigjährigen krebskranken Gastes, noch einen Abend gemeinsam mit seinem Lebensgefährten und einem Campari auf dem Balkon zu verbringen. Für den Mann, der unter starker Atemnot litt, sei das ein Kraftakt gewesen, berichtet sein Pfleger. Aber die beiden Männer verbrachten einen wunderbar sonnigen Nachmittag, "wie in Italien!". Am nächsten Vormittag starb der Gast. Seinem Partner, der sich unter Tränen am Totenbett verabschiedete, habe diese letzte positive Erinnerung sehr viel bedeutet, erzählt der Pfleger.
All diese Geschichten nimmt Landesbischof Christian Kopp nach einem langen Gespräch mit nach München.
"Die Begleitung von Menschen am Lebensende gehört zu den Werken der Barmherzigkeit. Das gehört zu unserem Grundauftrag, und ohne den gibt es christliche Kirche nicht",
sagt Kopp. Von seinen Begegnungen im Hospiz ist Kopp erfüllt: "Die Gäste, mit denen ich sprechen konnte, waren voller Dankbarkeit für die liebevolle Unterstützung, die sie dort im Haus bekommen. Ich bin selbst beschenkt und dankbar."
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Der Kirche ist es nicht…
Der Kirche ist es nicht moeglich einen hauptamtlichen Seelsorger zu bezahlen?
Seelsorge ist doch das einzige wo die Kirche Menschen erreichen kann.
Wenn alle Mitarbeiter der Kirche Z.B. auf ihr Weihnachtsgehalt verzichten wuerden,wäre Geld da?