Der Ökumenische Rat der Kirchen (ÖKR, auch Weltkirchenrat genannt) wirft Israel vor, gegenüber dem palästinensischen Volk ein System der Apartheid zu praktizieren.

Die Situation in Palästina und Israel habe inzwischen ein Ausmaß angenommen, das nach Ansicht des ÖRK-Zentralausschusses "einen eklatanten Verstoß gegen das humanitäre Völkerrecht, die Menschenrechte und die grundlegendsten Prinzipien der Moral" darstellt, wie das zweithöchste Leitungsgremium am Dienstag zum Abschluss seiner Tagung im südafrikanischen Johannesburg erklärte. Der ÖKR ruft die internationale Gemeinschaft zu entschiedenem Handeln auf.

"Wir nehmen das von Israel dem palästinensischen Volk auferlegte System als Apartheid wahr, das gegen das Völkerrecht und das moralische Gewissen verstößt, und prangern es an", heißt es in der Erklärung. In dem Text wird gefordert, die "Realität der Apartheid beim Namen zu nennen".

Apartheids-Begriff umstritten

Der Begriff Apartheid mit Bezug auf Israel ist in der Ökumene umstritten. Die elfte Vollversammlung des ÖRK in Karlsruhe im September 2022 endete mit einem Kompromiss: Der Weltkirchenrat hatte Israel damals nicht zum Apartheidstaat erklärt. 

Im Juli 2024 hat der Internationale Gerichtshof (IGH) festgestellt, dass Israels Politik im Westjordanland und in Ost-Jerusalem eine vollständige Trennung zwischen israelischen Siedlern und Palästinensern bewirkt. Diese Praxis verstoße gegen Artikel 3 des Übereinkommens zur Beseitigung rassischer Diskriminierung (CERD), insbesondere im Hinblick auf rassifizierte Segregation und Apartheid.

In der jetzt in Südafrika veröffentlichten Erklärung des ÖRK-Leitungsgremiums heißt es:

"Wir erkennen einen klaren Unterschied zwischen dem jüdischen Volk, unseren Glaubensgeschwistern, und den Handlungen der israelischen Regierung an und bekräftigen, dass der ÖRK entschieden gegen jede Form von Rassismus, einschließlich Antisemitismus, antiarabischem Rassismus und Islamfeindlichkeit, eintritt."

Die Unterdrückung im Westjordanland und in Jerusalem zwinge die Kirchen, sich klar für die Grundsätze der Gerechtigkeit nach internationalem Recht einzusetzen.

Die Erklärung fordert "Staaten, Kirchen und internationale Institutionen auf, Konsequenzen für Verstöße gegen das Völkerrecht zu verhängen, darunter gezielte Sanktionen, Desinvestitionen und Waffenembargos". Der Internationale Strafgerichtshof und die Mechanismen der Vereinten Nationen, die mögliche Kriegsverbrechen und Verbrechen gegen die Menschlichkeit untersuchten, "müssen uneingeschränkt unterstützt werden."

Bedford-Strohm verteidigt Beschluss

Der Vorsitzende des Weltkirchenrats, der frühere bayerische Landesbischof Heinrich Bedford-Strohm, hat den Beschluss der Ökumene-Organisation verteidigt. Es gebe Stimmen, die dem Gebrauch des Begriffes "Apartheid" für die Situation in Israel skeptisch gegenüberstehen, räumte der frühere Ratsvorsitzende der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD) am Mittwoch in einem Statement ein.

Dass diese Stimmen die Gesamterklärung am Ende mitgetragen haben, "liegt in dem Erschrecken über das unermessliche Leid begründet, das die Bombardements der israelischen Armee im Gazastreifen angerichtet haben und das durch keine noch so legitime Selbstverteidigung mehr zu rechtfertigen ist", erklärte der Theologe.

"Mit Antisemitismus hat der Beschluss nichts zu tun", unterstrich Bedford-Strohm:

"Das Eintreten für die Menschen in Gaza und in den besetzten Gebieten kommt aus den gleichen universalistischen Werten wie die unbedingte Solidarität mit Jüdinnen und Juden in aller Welt, die jetzt wegen des Handelns der israelischen Regierung antisemitischen Angriffen ausgesetzt sind."

"Man kann in der Diskussion um diesen Begriff nach wie vor unterschiedlicher Meinung sein", fügte der frühere bayerische Landesbischof Bedford-Strohm hinzu. Es gebe Analogien zum Apartheid-Regime, aber auch Unterschiede. "Ein von einem nach wie vor unfassbaren Völkermord traumatisiertes Volk, das nach aller Verfolgung endlich einen Ort findet, wo es sicher leben kann, lässt sich nicht einfach gleichsetzen mit den weißen Kolonialisten, die das System der Apartheid in Südafrika errichtet haben", so der Sozialethiker.

Die Diskussion darum trete aber in den Hintergrund, "wenn Kinder im Gazastreifen hungern, weil die israelische Regierung die Lastwagen mit Hilfslieferungen, die sich an der Grenze stauen, nicht ins Land lässt". Das Leid dieser Kinder schreie ebenso zum Himmel wie das Leid der nach wie vor von der Hamas brutal festgehaltenen israelischen Geiseln. Für sie alle gelte der eindringliche Satz der kürzlich im Alter von 103 Jahren verstorbenen Holocaustüberlebenden Margot Friedländer: "Es gibt kein jüdisches, arabisches oder christliches Blut. Es gibt nur menschliches Blut."

Entsetzen über Anschlag in Syrien

Zuvor hatte der ÖRK-Zentralausschuss sein Entsetzen über den Bombenanschlag auf die griechisch-orthodoxe Mar-Elias-Kirche im syrischen Damaskus ausgedrückt:

"Es ist der erste Selbstmordanschlag in Damaskus seit dem Sturz des Assad-Regimes im Dezember 2024 und stellt eine erneute Bedrohung für die Sicherheit der christlichen Kirchen und Gemeinschaften in Syrien in der Zeit nach Assad dar."

Der ÖRK sprach allen Hinterbliebenen und Verletzten sein tiefes Beileid aus und betete für ihre Genesung und Sicherheit.

Der Zentralausschuss des ÖRK hatte unter seinem Vorsitzenden Heinrich Bedford-Strohm vom 18. bis 24. Juni in Johannesburg getagt. Angesichts der ausufernden globalen Gewalt hatte der frühere Ratsvorsitzende der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD) gesagt: "Die Weltordnung als Ganzes ist erschüttert." Das nur alle zwei Jahre tagende Gremium hatte auch eine "Ökumenische Dekade für Klimagerechtigkeit" ausgerufen. Damit habe man sich auf dringende Klimaschutzmaßnahmen verpflichtet.

Dem Gremium gehören 158 Mitglieder, die regionalen Präsidentinnen und Präsidenten des ÖRK sowie 100 Beraterinnen und Berater aus der breiteren ökumenischen Bewegung an. Der ÖRK nahm auf seiner Tagung auch vier neue Mitgliedskirchen auf: neben Kirchen in Nigeria, Malawi und Liberia den Bund Evangelisch-Freikirchlicher Gemeinden in Deutschland. Der ÖRK umfasst damit derzeit 365 Mitgliedskirchen mit weltweit mehr als 580 Millionen Christinnen und Christen. Die katholische Kirche ist nicht Mitglied, arbeitet mit dem Weltkirchenrat aber zusammen.

(om/epd)

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