Vor allem jene sind betroffen, die sonst schon kaum über die Runden kommen: Alleinerziehende, alte Menschen mit kleiner Rente, Arbeitslose, Beschäftigte im Niedriglohnsektor. Einrichtungen der Diakonie und evangelische Gemeinden halten mit dem Projekt #Wärmewinter dagegen.
Große finanzielle Sorgen bei Familien
Im "Treffam", dem internationalen Familientreff der Diakonie München, haben sie alle Hände voll zu tun. Eigentlich hilft die Einrichtung mit Integrationskursen, Gruppenangeboten und viel Beratung vor allem Familien mit Migrationshintergrund, in München Fuß zu fassen. Doch das Dickicht der Bürokratie erfordert immer mehr Zeitaufwand:
"Hilfen vom Jobcenter, Essensgeld, Kitagebühren, Teilhabepaket oder Strom – es gibt zu viele Antragsstellen, das überfordert unsere Familien",
sagt Marita Torkar, die im Treffam für die KASA, die kirchliche allgemeine Sozialarbeit, zuständig ist. Die Folge: Mögliche Leistungen werden nicht abgerufen, die Not der Familien verschärft sich.
Das tut sie in diesem Winter ohnehin: Die Lebensmittelpreise sind gestiegen, ab Januar droht eine Verdreifachung der Energiekosten, die ersten Nachzahlungsbescheide kommen jetzt bei den Menschen an. "Bislang war das Energiethema abstrakt, aber jetzt steigt die Verzweiflung und das Gefühl der Ausweglosigkeit", sagt Ursula Maier, die das Treffam leitet. Die finanziellen Sorgen überlagern alle anderen Themen. Die Einzimmerwohnung ist zu klein für fünf Personen, an den Wänden wuchert Schimmel? Solche Fragen rücken in den Hintergrund, wenn es um die Frage geht, was morgen noch im Kühlschrank ist.
"Um die Kinder hab ich echt Angst"
Zum zweiten Mal nach der Pandemie mit ihren geschlossenen Schulen und Freizeitangeboten blickt Ursula Maier mit Sorge auf die Situation der Kinder. "Um die hab ich echt Angst", sagt die Sozialpädagogin, "denn wenn es den Eltern nicht gut geht, geht’s auch den Kindern nicht gut." Ein Kind, das schlecht isst, oft friert, unter Dauerstress steht und keinen Platz im Bildungssystem hat, kann seine Gaben nicht entwickeln.
"Frühkindliche Bildung ist der Schlüssel",
sagt Maier. Wer ohne Deutschkenntnisse in die Schule komme, sei von Anfang an extrem benachteiligt. Doch zu Wohnungsnot und Armut gesellt sich der Mangel an Kitaplätzen.
Den Teufelskreis definiert das System dabei selbst: Ohne Arbeitsplatz kein Anspruch auf Kinderbetreuung. "Aber ohne Kitaplatz können unsere Frauen nicht Deutsch lernen und so auch keine Arbeit bekommen", sagt Ursula Maier. Ihre Kollegin macht das zornig: "An den Familien liegt’s nicht, die wollen. Aber die Rahmenbedingungen sind einfach zu schlecht", sagt Marita Torkar. Sie ärgert sich über die Haltung der wohlhabenderen Mehrheitsgesellschaft:
"Von außen heißt es immer: Selber schuld, die sollen halt weniger heizen."
Wie mühsam es aber ist, aus der Armutsfalle zu entkommen, sehen die meisten nicht.
Für die Spielstunden, die das Treffam an zwei Vormittagen anbietet, gibt es lange Wartelisten. Und auch sonst ist der Familientreff ein Zufluchtsort, an dem die Alltagssorgen für ein paar Stunden draußen bleiben. "Die Menschen sind so unter Druck. Es ist wichtig für sie, einen Raum zu haben, wo etwas Schönes passiert", sagt Torkar.
Ehrenamtliche Helfer*innen sind Rückgrat der Tafeln
Auch bei den Tafeln spürt man längst die Folgen von Inflation und Energiekosten. Bei der Tafel Erlangen beispielsweise, die seit 25 Jahren von der Diakonie Erlangen betrieben wird, haben sich die Zahlen der Kundinnen und Kunden seit dem Einmarsch russischer Truppen in die Ukraine von etwa 1600 auf mittlerweile 4100 Personen mehr als verdoppelt.
Weil das Gelände der Tafel für so viele Menschen zu klein ist, können sich die Menschen seit Juli ihre Lebensmittel nur noch im zweiwöchigen Wechsel abholen. Um die gespendeten Lebensmittel möglichst gerecht zu verteilen und den Andrang zu kanalisieren, arbeitet das Team mit einem Farbsystem, das Senioren, Familien oder Alleinstehende in Gruppen erfasst und feste Tage und Zeiten vorgibt.
Den reibungslosen Ablauf zu organisieren, ist eine Mammutaufgabe. Dienstpläne schreiben gehört deshalb zum täglich Brot für Teamleiter Johannes Sikorski. Er kann auf rund 200 ehrenamtliche Helferinnen und Helfer zurückgreifen, die an drei Tagen pro Woche in den Ausgabestellen in Erlangen, Herzogenaurach und Büchenbach arbeiten oder die Lebensmittelmärkte und Handelsbetriebe in der Region abfahren, um Waren abzuholen. "Ich habe Leute, die seit Jahren schon 20 bis 25 Stunden pro Woche ihren ehrenamtlichen Dienst leisten", ist Sikorski stolz auf sein Team, in dem vom Rentner bis zur Studentin alle Alters- und Bevölkerungsschichten vertreten sind.
Ebenso sieht es unter den Kundinnen und Kunden aus, die gut zur Hälfte aus dem Stadtgebiet Erlangens sind; der Rest stammt aus dem Umland. Immer wieder kommen auch junge Menschen zu den Stellen. Oftmals mit gesenktem Blick. "Ich werde ständig darum gebeten, keinem zu sagen, dass ich ihn bei der Tafel gesehen habe", berichtet Dekan Peter Huschke. Die Scham, sich nicht mehr anders zu helfen zu wissen und die Dienste der Tafel in Anspruch zu nehmen, sitze oft tief – gerade bei Älteren, die sich am Ende eines arbeitsreichen Lebens einen anderen Ruhestand vorgestellt hätten.
Tafeln sind kein Ersatz für Sozialpolitik
Bei anderen erzeugt das Angebot der Tafeln jedoch auch Anspruchsdenken. Sikorski erlebt manchmal, dass Geflüchtete aus der Ukraine annehmen, die Erlanger Tafel sei staatlich organisiert und werde von bezahlten Angestellten geleitet. Das habe zuletzt hin und wieder für "unschöne Situationen" gesorgt, wenn die Rationen den Bedarf der Menschen nicht decken konnten.
Elke Bollmann ist die Leiterin der Erlanger Tafel und gleichzeitig stellvertretende Landesvorsitzende der Tafeln in Bayern.
"Wir machen immer wieder deutlich, dass wir nicht das Sozialunternehmen des Staates sein wollen",
erklärt sie. Aufgabe der Tafeln sei es neben der tatsächlichen Hilfe den Finger in die Wunde zu legen und der Politik zu zeigen, "wo etwas nicht passt". Von den Spenden, die die Tafel bekommt, kaufe man manchmal auch Waren zu, um die Kunden besser zu versorgen. "Jedoch sind wir im ersten Sinne Lebensmittelretter und keine -verteiler", sagt Bollmann. In diesem Zwiespalt sehen sich alle Tafeln: "Wir sind die Mahner aber wir lassen die Leute nicht alleine."
Gemeinschaft steht beim Projekt im Fokus
Eine warme Mahlzeit , ein heißes Getränk und ein gemütlicher Platz zum Reden: Seit Ende Oktober gibt es mit dem Gemeindesaal der evangelischen Erlöserkirche in Amberg einen Ort für Menschen, in deren Leben sich nicht nur Armut, sondern auch soziale Kälte breitgemacht hat.
Das Projekt wird von der evangelischen Erlöserkirche und dem Verein "Zamhaltn" getragen. Zweimal pro Wochen bieten sie den offenen Treff "WARMumsHERZ" an. Obwohl die Temperaturen draußen noch nicht weit unter dem Gefrierpunkt lägen, zeigten die Erfahrungen der ersten Wochen, dass das Angebot angenommen werde, sagt Pfarrer David Scherf. Ein kleiner Kreis von Menschen suche das Angebot regelmäßig auf.
"Manche freuen sich über etwas Leckeres zu essen. Bei denen, die öfter kommen, geht es aber oft eher um die Gemeinschaft."
In der Regel kämen Menschen, deren Einkommen knapp oberhalb der Hartz-IV-Grenze lägen und die angesichts der galoppierenden Energie- und Lebensmittelpreise Unterstützung brauchen, erläutert Michael Sandner vom Verein "Zamhaltn". Da seien Rentner dabei, aber auch Menschen, die noch einem Beruf nachgingen, sich aber trotzdem finanziell kaum über Wasser halten könnten. Auch Alleinerziehende mit Kindern hätten die Hilfe gerne angenommen.
Wir können durchaus noch mehr Besucher vertragen", wirbt der Vereinsvorsitzende, den ein Team von etwa 15 Helferinnen unterstützt. Ein solches Projekt brauche in einer kleinen Stadt wie Amberg eine gewisse Anlaufzeit, "weil man die Leute erst überzeugen muss, damit sie Vertrauen aufbauen". Was ihn zuversichtlich mache: "Wer einmal bei uns war, kommt gerne wieder.