Herr Niedecken, einerseits die große Bühne mit vielen Musikern bei BAP, andererseits die intime Atmosphäre des Clubs bei Ihren Lesungen – ist das genau die Mischung, die Sie glücklich macht?

Wolfgang Niedecken: Ich mag es sowieso am liebsten, wenn ich das Weiße im Auge des Publikums sehen kann, das geht mit BAP freilich nicht. Nichtsdestotrotz war diese Dylan-Literatur-Reise ja nicht von langer Hand geplant, sondern immer nur eine Idee. Ich sollte beim Verlag Kiepenheuer und Witsch ein Buch über Dylan und seine Texte machen, zu dem es aber aus terminlichen Gründen nicht kam. Dann kam Corona, und plötzlich hatte ich Zeit. Und ich erinnerte mich daran, dass ich 2017 einen Film für arte gedreht habe, auf den Spuren von Bob Dylan. So kam es mir in den Sinn, doch einfach diese Reise zu erzählen. Dann war das Buch fertig und es rief mich der Veranstalter eines Literaturfestivals an, der zu Dylans 80. Geburtstag ein Programm in der Elbphilharmonie machen wollte. Das tat ich dann auch, verbunden mit Dylan-Stücken auf Englisch oder auf Kölsch. Wobei sich die beiden Weltsprachen ja nichts nehmen.

Wie wurde dann aus einem Abend eine ganze Reihe?

Wolfgang Niedecken: Ich hatte meinen Freund, den Jazzpianisten Mike Herting gefragt, mich musikalisch dabei zu begleiten. Das hat dann so viel Spaß gemacht, dass ich noch ein paar Gigs mehr machen wollte. Corona dauerte ja noch an. Durch unsere kleine Besetzung konnten wir aber praktisch überall spielen, weil wir die Abstandsregeln und die Besucherobergrenzen einhalten konnten, auch wenn jeder zweite Platz frei bleiben und die Leute mit Masken dasitzen mussten. Mittlerweile haben wir über 80 solcher Shows gespielt. Wir fahren tatsächlich zu viert mit zwei Pkw und minimaler Anlage durch die Gegend.

Bob Dylan scheint für Sie ein künstlerisches Lebensthema zu sein. Wieso wird Dylan niemals auserzählt sein?

Wolfgang Niedecken: Er hat einfach ein unglaublich facettenreiches Werk geschaffen, das mich immer noch Staunen macht und immer wieder reinzieht. Für mich hat Dylan im Alter von 15 Jahren die Tür zur Kultur aufgestoßen. Damals hab ich in einer Schülerband Bass gespielt, Texte waren mir bislang egal. Doch als ich "Like a rolling stone" zum ersten Mal bewusst gehört und auch übersetzt habe, war es um mich geschehen. Ich wollte die Alben haben und die Texte verstehen lernen. Das war gar nicht so einfach, weil kaum noch Texte abgedruckt waren. Wir sind dann nach Amsterdam gefahren und haben uns auf dem Flohmarkt zusammenkopierte Textbücher besorgt, auch von den Beatles und den Stones.

Immer wieder wagen sich deutsche Künstler an Übersetzungen von Dylan-Texten, gerne auch in Dialekt. In Franken haben das beispielsweise Ernst Schultz von "Ihre Kinder" oder Helmut Haberkamm getan. Warum eignet sich gerade Dylan für Dialekt?

Wolfgang Niedecken: Weil er Assoziationen zulässt und man ihn nicht immer so einfach wörtlich übersetzen kann. Das bringt einen dann inhaltlich auch auf einen anderen Weg. Ich versuche aber mittlerweile bei Übersetzungen, so werkgetreu wie möglich zu bleiben.

Dylan hatte vor gut 40 Jahren eine christliche Phase. Wie beurteilen Sie diese Ausflüge in seiner Biografie?

Wolfgang Niedecken: Bob Dylan ist zeitlebends ein Suchender geblieben und ist Ende der 1970er-Jahre eben in diese Richtung gestoßen, die ihn zu Christus gebracht hat. Er hat damals wunderschöne Stücke geschrieben, beispielsweise "Every grain of sand", eines meiner liebsten überhaupt. "Saved" war dann ein wunderbares Gospel-Album, wenngleich mit einem fürchterlichen Cover, das auch von einem Stand mit christlichen Traktaten stammen könnte. Ich weiß noch, wie ich die Platte zum ersten Mal aufgelegt habe, da war ich dann wieder etwas versöhnter. Dylan hat damals Konzerte gegeben, bei denen er mehr gepredigt als gesungen hat. Aber Amerika ist ein freies Land, und wenn ein Künstler so etwas machen will, dann muss man ihm das auch zugestehen. Auch wenn ich es an sich nicht so gern habe, wenn jemand versucht mich zu missionieren.

Sie haben selbst öfters Ihre schlechten Erfahrungen mit Kirche thematisiert. Lösen solche Lobpreis-Texte bei Ihnen eine Abwehrhaltung aus?

Wolfgang Niedecken: Nein, ich habe dafür Verständnis, weil ich diese künstlerische Phase bei Dylan als solche respektiere. Ich bin nach dem Tod meines Vaters aber aus der katholischen Kirche ausgetreten. Zu Lebzeiten hätte ich ihm das nicht antun wollen, danach musste es aber sein. Mich hat vor allem das Verhältnis zu den Menschen und den Sakramenten geärgert. Meinem Vater ist die erste Frau weggelaufen, danach durfte er nicht mehr zur Beichte oder zum Abendmahl und hat darunter gelitten wie ein Schwein. Ich frage mich heute noch wie eine Religion, die Nächstenliebe so hoch auf das Schild hebt, zu seinen Anhängern so unbarmherzig sein kann. Allerdings bin ich nach wie vor kein Atheist, sondern sehe mich als Agnostiker.

Als Sie vor rund zehn Jahren den Schlaganfall hatten, was hat Ihnen Kraft zum wieder aufstehen gegeben?

Wolfgang Niedecken: Meine großartige Familie. Die hätte es auch nicht zugelassen, dass ich verzweifle. Obwohl ich zu keinem Moment am Hadern war. Die Ärzte standen damals mit großen Bedenkenträgermienen vor meinem Bett. Ich hab aber den Daumen nach oben gehalten und sie gar noch getröstet. Das ist an sich etwas ungewöhnlich für mich, weil ich nicht der große Optimist bin.

Sie mussten sich damals wieder Gitarre spielen und das Singen beibringen. Fühlt sich das alles heute anders an als vor diesem Ereignis?

Wolfgang Niedecken: Eigentlich nicht. Ich sehe mich jetzt auch nicht als den Übergitarristen an, sondern bin halt in der Lage, mich zu begleiten. Wenn mich jemand engagieren würde, dann vielleicht wegen meiner charakteristischen Stimme, aber sicherlich nie wegen meiner Gitarrenkünste. Dafür bin ich auf der Bühne glücklicherweise von tollen Leuten umgeben, die einfach alles können. Musik spielen sehe ich dagegen als großes Privileg an. Wenn ich mich mal hinsetze und wieder zu Üben beginne, dann meist in der Vorbereitung auf eine Tour oder Konzerte. Und dann will ich nach einer halben Stunde gar nicht mehr aufhören, so viel Freude hab ich daran.

Steht eigentlich noch ein besonderes Projekt auf Ihrer Wunschliste oder kann es einfach so weitergehen?

Wolfgang Niedecken: Manchmal habe ich während einer Tournee schon eine Idee, wie die nächste werden könnte. Aber nicht die übernächste. Ich plane nicht so lange vor, sondern liebe es, wenn sich eines aus dem anderen ergibt. Es muss organisch bleiben. Ich habe überhaupt keine Lust auf Vier-Jahres-Pläne. Die haben schon im Sozialismus nicht funktioniert, warum also bei einer Rock´n´Roll-Band.

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