Ja, was macht der Mann da bloß? Hat er seinen Ehering verloren und sucht ihn im Gras? Abenteuerlich weit hat er sich heran gerobbt an den Abgrund bei den "Kreidefelsen auf Rügen". Die Frau neben ihm greift nach einem Ast und deutet in die Tiefe. Rechts blickt ein weiterer Mann in die Ferne: eine der typischen kontemplativen Rückenfiguren von Caspar David Friedrich (1774-1840). Hat der Romantiker sich auf Rügen gar selbst als Suchenden porträtiert, förmlich "an der Bruchstelle zur Moderne"? Dort verorten Kunstwissenschaftler sein Werk.

Die weißen Felsen von 1818 sind das Herzstück der Auftaktausstellung zum Jubiläumsjahr 2024 zu Friedrichs 250. Geburtstag. Das Museum Georg Schäfer in Schweinfurt und das Kunst Museum Winterthur zeigen im Rahmen einer binationalen Kooperation nacheinander "Caspar David Friedrich und die Vorboten der Romantik" und erschließen überzeugend seine Verbindung zur Schweiz: Der Greifswalder, der nach dem Studium in Kopenhagen für 42 Jahre Dresden zur Wahlheimat erkor, konnte an der Elbe nicht nur bei Wanderungen in der nahe gelegenen Sächsischen Schweiz der echten Schweiz wenigstens gefühlt nahekommen.

Ausstellungen über Caspar David Friedrich

Mit Adrian Zingg aus St. Gallen prägte ein gebürtiger Schweizer wesentlich die neue Dresdner Landschaftsmalerei in der Residenzstadt. Dagegen hat Friedrich die echte Schweiz nie besucht. Ihm fehlte das Geld im Gegensatz zu Goethe, den 1775 erstmals der Rheinfall berauscht.

Friedrich lernt Gebirgslandschaften und Wasserfälle durch Gemälde von Kollegen kennen. Er selbst will der Natur vor allem geistig auf den Grund gehen. Dazu fertigt er zahllose Naturstudien. Nur auf den ersten Blick ein Widerspruch ist, was sein Freund Carl Gustav Carus berichtet: Friedrich habe nie Skizzen für seine Bilder gemacht, damit die Fantasie nicht "erkalte".

Tatsächlich wollte er Kunst produzieren, die etwas auslöst, ohne dass ganz klar wird, was. "Wenn ein Bild auf den Beschauer seelenvoll wirkt", so Friedrich, "hat es die erste Forderung eines Kunstwerks erfüllt". Einige Privatsammler verstanden ihn früh, nicht jedoch die Herren über öffentliche Ankaufsmittel.

Schon in seinen letzten Lebensjahren kaum mehr beachtet, starb der in sich gekehrte Sohn eines Seifensieders verarmt und geriet für gut ein halbes Jahrhundert in Vergessenheit. Heute ist er ein Superstar der Kunstgeschichte.

250. Geburtstag von Caspar David Friedrich

Der Ausstellungsreigen, der nun startete und das Caspar David Friedrich-Fieber steigert, stellt Fragen nach seiner aktuellen Bedeutung. Ein Coup ist es, am Anfang des Parcours Schweizer Vorläufer zu platzieren. Auf ihren Bildern steht die Kirche noch im Dorf. Bei Friedrich gerät sie in Brand, erscheint als Ruine oder als Naturvision statt als solides Bauwerk.

Seine eigenwillige Kunst verleitet dazu, verschiedene Interpretationsansätze durchzuspielen. Hat ein Bild vielleicht einen religiösen oder politischen Hintergrund? Das liegt oft genug im Auge des Betrachters. Friedrich wurde intellektualisiert und ideologisiert. Die Nationalsozialisten diagnostizierten "germanisch-nordisches Naturgefühl". "Wir bleiben deutungsoffen", sagt der Winterthurer Kurator David Schmidhauser. Aus einem Friedrich soll jeder das herauslesen, was er mag.

Irgendwo ist der Romantiker schließlich immer anzudocken, denn: Er sampelt. Obwohl er nicht vorzeichnet, organisiert er ein Bild. Nimmt hinein, was er gerade brauchen kann. Eine Staffagefigur gefällig? Ein symbolträchtiges Segelschiff in der Ferne, das auf die verschwimmende Lebenszeit verweisen kann? Delikat hin getupfte Eichenblättlein? Her damit!

Naturalistisch in der Betrachtung, streng und penibel in der formalen Ausführung und geleitet von unerschütterlichem Glauben perfektioniert der Künstler seinen Friedrich-Stil: "Mit weit aufgerissenen Augen" stehen die Menschen, wie 1898 der Direktor der Hamburger Kunsthalle bemerkt, vor den neuartigen Gemälden. Das ist bis heute so.

Komposit-Landschaften erkannte der Kunsthistoriker Werner Hofmann: Friedrich studiert zwar die Natur bis ins kleinste Detail, gibt sie aber nicht einfach realistisch wieder, sondern jongliert damit. Dabei komponiert er ein Bild auf Sinnhaftigkeit hin und zeigt Figuren von hinten, sodass sich der Betrachter mit diesen Stellvertreterfiguren identifizieren kann und quasi selbst in den Mond schaut. Darüber hinaus scheinen Bäume zu sprechen. Auch die Größenverhältnisse sind beredt. Viele der weitgehend vereinzelt oder als Paar dargestellten Personen sind winzig klein. Umso erhabener wirkt die Landschaft um sie herum.

Friedrich regt ein neues Naturerleben an, gibt der Achtsamkeit gegenüber der Schöpfung einen Schub. Der Meister der Stimmungslandschaft drückt aus, was er in sich sieht - aus der Nahsicht und mit Weitblick.

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