Eine junge Frau lädt sich bei einem Studenten zum Übernachten ein, ja, sie haben Sex, aber keinen besonders guten. Der Kontakt zwischen den beiden verebbt dann wieder.

Jedoch schickt die Frau dem Studenten eine Sammlung wunderschöner eigener Gedichte, die niemals irgendwo veröffentlicht werden. Warum? Wieso? – Das bleibt offen. Sicher ist nur, die Gedichte gehen dem Erzähler nicht mehr aus dem Kopf.

Merkwürdige Begegnungen im Vordergrund

Mit dieser Erzählung unter dem Titel "Auf einem Kissen aus Stein" beginnt der neue Erzählband Haruki Murakamis. Der japanische Autor, geboren 1949 in Kyōto, gehört zu den bedeutendsten Schriftstellern der Welt und zählt zu den einflussreichsten Autoren seiner Generation.

Berühmt wurde er durch Romane wie "Naokos Lächeln" oder "Gefährliche Geliebte", sein Stil zeichnet sich durch surrealistische Elemente und Anspielungen auf die Popkultur aus. Obgleich seine Erzählungen in Japan spielen, sind sie durch Vorbilder westlicher Literatur geprägt.

Im Vordergrund von "Erste Person Singular" stehen seltsame, teils komische, teils traurige, aber immer merkwürdige und unterhaltsame Begegnungen.

Erzählt werden sie meistens von einem alleinstehenden jungen Mann ohne besondere Eigenschaften oder Ziele, der auch Murakamis andere Werke prägt. In der Erzählung "Crème de la Crème” wird der Ich-Erzähler, noch Schüler, von einem anderen Mädchen zu einem Klavierkonzert eingeladen. Doch vor der Konzerthalle angekommen, bemerkt er, dass er reingelegt wurde.

Das Gebäude ist verschlossen, von einem Klavierkonzert ist weit und breit keine Rede. Enttäuschung, Panik. Also geht der junge Mann in einen nahegelegenen Park, setzt sich auf eine Bank und trifft auf einen alten Mann. Dieser stellt ihm mysteriöse Fragen und lässt ihn mit der Weisheit zurück, die Crème de la Crème des Lebens seien Erfahrungen, die zunächst sinnlos erschienen.

Ein wenig Kafka, ein wenig Borges

Murakami ist der Meister von Erzählungen, die mit einer harmlosen, fast langweiligen Begebenheit beginnen und die eine Wendung ins Mystische, ins Spannende, ins am Ende Bedeutsame bekommen. Mit ein wenig Kafka, ein wenig Borges schafft der japanische Autor aus nostalgischen Jugenderinnerungen, kurzen Liebschaften, lustigen Zufällen und mit einer Prise Magie und Fiktion philosophischen Betrachtungen, etwas Phantastisches mit Bedeutung. 

In der Erzählung "Charlie Parker plays Bossa Nova" erinnert sich der Autor daran, wie er als Student im Jahr 1963 eine freche Musikkritik verfasste. In einem Magazin schrieb er, der 1955 verstorbene Jazzmusiker Charlie Parker wäre angeblich noch am Leben – und hätte gerade mit Großmeister Carlos Jobim eine Bossa-Nova-Platte aufgenommen. Damit zieht er sich viel Kritik zu.

Eine nette Anekdote? - Warten Sie ab. Denn die Erzählung ist noch nicht zu Ende. Jahrzehnte später stößt der Erzähler in einem Geschäft für gebrauchte Platten in New York auf genau dieses Album.

"Zu meiner größten Verblüffung stimmten die Titel ebenso wie die aufgeführten Musiker exakt mit jenen überein, die ich mir als Student ausgedacht hatte."

Doch er kann sie nicht abspielen: "Ich fragte den langhaarigen jungen Mann an der Kasse, ob ich mir die Platte anhören dürfe, aber er schüttelte bedauernd den Kopf. Der Plattenspieler im Laden sei leider kaputt." Ist die Studentenfantasie von 1963 also Wirklichkeit geworden? 

Surrealismus und Phantasie im Leben des Autors

Wohl eher nicht. Aber genau diese Rätsel, diese Magie machen die Erzählungen aus. Sie sind ein typisches Murakami-Motiv. Was vordergründig unspektakulär beginnt, endet spannend und rätselhaft. Und wir erfahren immer mehr aus Murakamis wirklichem Leben, seiner Biografie, so, dass er als Student in einer Pizzeria jobbte, jahrzehntelang zu Baseball-Spielen pilgerte und früh für den Jazz-Saxophonisten Charlie Parker schwärmte.

Und dass ihm viel Überraschendes passierte, wo aus Kleinigkeiten, nachhaltige Momente wurden, die er noch immer erinnert. Dabei nimmt sich Murakami die Freiheit, ins Surrealistische oder Phantastische zu wechseln.

In den Erzählungen kommen wir Murakami sehr nah. Denn wir erhalten einen kleinen Einblick, wie dieser scheue Schriftsteller aus seinen Lebenserfahrungen, Träumen und Wünschen berichtet. Nicht entlang von Fakten, Plänen und Erklärungen, sondern durch Poesie und Magie. 
 

Haruki Murakami

Murakami, Haruki (2021): Erste Person Singular, Dumont Verlag, 224 Seiten, 22,- EUR. 

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