Weihnachtszeit ist Lesezeit! Deshalb haben die Redakteurinnen und Redakteure von Sonntagsblatt ihre Lieblingsbücher herausgesucht. Hier kommen die Buchtipps.
Nora Imlau: Und was fühlst du, Känguru? | Tipp von Larissa Launhardt
Mein Jahr 2023 war aufgrund meines kleinen Sohnes dominiert von Kinderbüchern, weshalb ich ein besonders großartiges an dieser Stelle empfehlen möchte. Die bekannte Familienratgeberin Nora Imlau hat sich bei "Und was fühlst du, Känguru?" mit der Illustratorin Lisa Rammensee zusammengetan und ein Bilderbuch für alle Kinder geschaffen, die immer wieder von ihren Gefühlen überwältigt werden. Und sind wir ehrlich, welches Kleinkind lag nicht schon mal wütend schreiend auf dem Boden, weil seine Eltern die Banane falsch geöffnet haben.
Das kleine Känguru Quirin ist mal vom Lärm der Straße überfordert, mal vom Kratzen seiner Klamotten genervt, mal vom Gestank der Mülltonnen irritiert - und bricht in Tränen aus, weil ihm alles zu viel ist. Doch zum Glück hat seine Mama seinen großen Beutel, in dem der kleine Quirin Schutz suchen kann, bis er wieder für die große, manchmal bedrohlich wirkende Welt bereit ist und ihr wieder mit Freude begegnen kann.
Das Buch endet mit einer extra Seite Text, in dem sich Autorin Imlau an die Eltern richtet und einfühlsam erklärt, was "gefühlsstarke" Kinder brauchen, weshalb ihnen schnell alles zu viel wird und wieso sie großartig sind. Das Kinderbuch ist detailreich und wunderschön gezeichnet und gefällt sowohl meinem zweijährigen Sohn, der immer wieder Spielsachen oder Situationen entdeckt, die er von zu Hause kennt, als auch uns als Eltern, denen es auch nach dem zwanzigsten Mal Durchblättern noch nicht langweilig wurde. Der Text ist übrigens gereimt - und zwar auf einem sprachlichen Niveau, das Imlaus Kompetenzen als Bestsellerautorin absolut würdig ist.
Nora Imlau, Lisa Rammensee (2022): Und was fühlst du, Känguru, Carlsen, 22 Seiten, 10 Euro. ISBN: 978-3-551-17180-1
Tara Stringfellow: Memphis | Tipp von Oliver Marquart
Im Sommer 1995 flieht die zehnjährige Joan mit ihrer Mutter und ihrer jüngeren Schwester vor der Gewalt ihres Vaters an den einzigen Ort, den sie noch haben: das Haus ihrer Mutter in Memphis.
Vor einem halben Jahrhundert baute Joans Großvater dieses majestätische Haus für ihre Großmutter - nur um wenige Tage, nachdem er der erste Schwarze Polizist in Memphis geworden war, von seiner rein weißen Polizeieinheit gelyncht zu werden. Es war nicht das erste Mal, dass Gewalt das Leben von Joans Familie veränderte, und angesichts der Menschen, die jetzt in diesem Haus leben, weiß sie, dass es nicht das letzte Mal sein wird.
Als ihre Tante die Tür öffnet, sieht Joan den Cousin, der sie einst brutal vergewaltigt hat. In den folgenden Jahren ist sie entschlossen, nicht nur zu überleben, sondern auch etwas zu finden, wovon sie träumen kann. Starker Debütroman, der eindrucksvoll die Geschichte dreier Generationen Schwarzer Frauen in den Südstaaten der USA erzählt.
Tara Stringfellow (2023): Memphis, Ecco, 336 Seiten, 22 Euro. ISBN: 978-3753000800
David Togni und Andrea Specht: Love Your Neighbour: Es geht nicht um mich, aber es ist meine Geschichte | Tipp von Anna Maria Theopold
Das Buch von David Togni und Andrea Specht ist eine Autobiografie, in der David selbst auf seine Lebensgeschichte und seine Beziehung zu Gott eingeht. Es ist gegliedert in 13 Kapitel und startet mit Davids Vision, dass er eine eigene Modemarke gründen möchte.
Damit möchte er bedürftigen Menschen helfen und seine Liebe, die er von Gott selbst spürt, auch an seine Mitmenschen verteilen. Deswegen lässt er T-Shirts drucken mit der Aufschrift 'Love Your Neighbour'. Dann blickt David aber auch auf seine Kindheit, in der er sehr behütet aufgewachsen ist und eine enge Beziehung zu seinen zwei Geschwistern hatte. Leider starb seine Schwester Anja bei einem Zugunglück. David ist davon sehr getroffen, hinterfragt seinen eigenen Glauben und gibt Gott die Schuld an Anjas Tod.
Wie es weitergeht, müsst ihr selbst lesen. Nur so viel sei gesagt: David ist heute für viele Menschen eine Stütze im Leben und bringt ihnen den Glauben und die Nächstenliebe näher.
David Togni und Andrea Specht: Love your Neighbour, 208 Seiten, 12 Euro, ISBN: 9783765543777
Ferris: Ich habe alles außer Kontrolle | Tipp von Micha Götz
Ich liebe es zu lesen und am liebsten Biographien. Auf dem Musikmarkt sind im vergangenen Jahr wirklich viele gute Biographien herausgekommen, eigentlich bin ich ja in der gitarrenlastigen Musik angesiedelt, aber ein Buch hat mich dieses Jahr wirklich gefesselt, auch mit der unkonventionellen Art, wie es geschrieben wurde.
Ferris MC, ist sicherlich eine der markantesten und unkonventionellsten Figuren der deutschen HipHop-Szene. Er hat mit "Ich habe alle außer Kontrolle" seine Lebensgeschichte niedergeschrieben, und das Ergebnis ist für mich meine Buchhighlight 2023.
Sascha Reimann alias Ferris und seine Ehefrau Helena Anna Reimann erzählen von Höhenflügen, und Bruchlandungen, die sein Leben geprägt haben. Letztendlich ein Einblick in eine Welt voller Chaos, Selbstzerstörung und letztendlich Erlösung.
1999. Bei einer Verkehrskontrolle wird Ferris verhaftet und für fast zwei Wochen in Untersuchungshaft gesteckt. Völlig mittellos, ohne Kontakt zur Außenwelt, komplette Ausweglosigkeit. Sein Hilferuf versickert auf dem Anrufbeantworter seiner schon in die Weihnachtsferien abgeschwirrten Plattenfirma. Das ist Einstiegsszene, als Leser ist man sofort mittendrin im Leben des Ferris. Wie konnte es überhaupt soweit kommen?
Bereits seine Kindheit war eher auf der Schattenseite des Lebens angesiedelt, inmitten zerrütteten Familienverhältnissen, erlebt er Vernachlässigung und emotionaler Kälte. Reimann zeichnet ein herzzerreißendes Bild von einem Kind, das von seiner Mutter und Stiefvätern im Stich gelassen wurde. Liebe und Fürsorge sind Fremdwörter für ihn. Erst in einer Nachmittagsbetreuung für schwererziehbare Kinder lernt so etwas wie Struktur, und entdeckt gleichzeitig seine Liebe zur Kunst. "Bis zu meinem 14. Lebensjahr war ich in dem Kindertagesheim glücklich und habe viel gelernt", schreibt er. "Warum der Staat dann plötzlich entscheidet, einem Jungen ausgerechnet in diesem so kritischen Alter die Teilnahme an einem so vernünftigen Programm zu verweigern, ist mir unbegreiflich."
Reimann beschönigt nicht die dunklen Seiten seines Lebens, sondern beschreibt sie in schonungsloser Offenheit. Er erzählt von den destruktiven Auswirkungen des Dauerrauschs und den Abgründen, in denen er und seine Freunde lebten.
Vom Dauerkiffer entwickelt sich Ferris zu einem Kleindealer, doch seine Erinnerungen an diese Zeit sind eher humorvoll und absurd als glorifizierend. Er beschreibt sich selbst als einen chronischen Außenseiter auf der Suche nach seiner Nische im Leben.
Obwohl Ferris' musikalische Karriere eine wichtige Rolle in seinem Leben spielt, liegt der Fokus des Buches eher auf seinen persönlichen Erfahrungen und seinem Kampf gegen die Dämonen seiner Kindheit.
Das Buch verzichtet auf übermäßig geschliffene Formulierungen und erzählt die Geschichte schlicht und direkt. Die Kapitel sind nach Themen geordnet, was gelegentlich dazu führt, dass der Leser zwischen verschiedenen Zeitebenen hin- und hergerissen wird. Dennoch gelingt es Ferris, am Ende des Buches ein fast schon kitschiges Happy-End zu präsentieren, das seinen steinigen Weg zu einem versöhnlichen Abschluss bringt.
"Ich habe alles außer Kontrolle" ist ein Buch, das die dunklen Seiten des Lebens schonungslos offenlegt, aber gleichzeitig die Hoffnung auf Erlösung und ein glückliches Ende nicht aufgibt. Ferris mag einst alles außer Kontrolle gehabt haben, doch dieses Buch zeigt, dass es nie zu spät ist, die Kontrolle über sein Leben zurückzugewinnen. Seine private Glückseligkeit in der Spießeridylle hat er redlich verdient, und man wünscht ihm von Herzen, dass sie lange anhält.
Ferris (2022): Ich habe alles außer Kontrolle. Kein Roman, Edel, 320 Seiten, 19,95 Euro. ISBN: 978-3841908094
Lea Ypi: Frei - Erwachsenwerden am Ende der Geschichte | Tipp von Rieke Harmsen
Es gehört zu den Klassikern, sich mit der Literatur eines Landes zu beschäftigen, bevor man es bereist. In diesem Jahr war ich kurz in Albanien und las Lea Ypi. Die Schriftstellerin erzählt die Geschichte ihrer Kindheit und Jugend in Albanien im Jahr 1989. Ihre Eltern sind antikommunistische Dissidenten, die aber gelernt haben, sich in der Gesellschaft zu bewegen. Zur Familie gehören Traditionen - und vor allem das Schweigen. Als in Berlin die Mauer fällt und in Tirana Enver Hoxhas Statue vom Sockel gestürzt wird, hoffen alle auf Besserung. Doch dann versinkt das Land im Chaos, und in Ypis Familie kommen immer mehr Geheimnisse ans Licht, die Lea zur Frage führen, was denn eigentlich Freiheit bedeutet. Ypi beschreibt sehr präzise, wie das Begreifen einer Welt der Erwachsenen immer weiter in ihre Gedanken dringt. Ein feinfühliger und humorvoller Blick auf ein Albanien inmitten des politisch-gesellschaftlichen Umbruchs.
Lea Ypi: Frei - im sozialen Buchhandel Buch7 bestellen über diesen Link.
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