"Jugendgefährdendes Satanswerk", "Entweihung der Kirche", "Jesus aus Sicht des Teufels": Schwere Geschütze fuhren die Kritiker auf, um das Musical "Jesus Christ Superstar" am 17. März 1974 in der Christuskirche zu verhindern. Der damals 23-jährige Kantor Christian Kabitz, später Leiter des renommierten Bachchors Würzburg, hatte sich das Werk von Andrew Lloyd Webber vorgeknöpft. 1971 in New York uraufgeführt, traf die Rockoper um die letzten sieben Tage im Leben Jesu auch in der 68-er bewegten Bundesrepublik den Nerv der Menschen – positiv wie negativ.
Stephan Gerke und Gisela Mittelsten-Scheid, beides Mitglieder im heutigen Chor der Christuskirche, erinnern sich an ihren ersten Kontakt mit dem Musical: "Wenn von der Passion Jesu die Rede war, musste man betroffen gucken", erinnert sich der heute 62-jährige Gerke an seine Jugend.
Musical als Unterrichtsstoff in Reli
Durch das Musical, das er als 16-Jähriger mit dem Jugenddiakon hörte, sei Jesus für ihn zum Mensch geworden, "einer der säuselt, rumschreit, schmust – kein Superstar, eher Freund oder Freundin", schreibt Gerke auf der Internetseite zur aktuellen Aufführung. Seine Mitsängerin Gisela Mittelsten-Scheid, damals Religionslehrerin in Rosenheim, nutzte das Musical als Unterrichtsmaterial: "Wir hörten die Platte mehr als einmal, übersetzten den Text und diskutierten uns die Köpfe heiß."
Doch der damalige Christuskirchenpfarrer Martin Bogdhan, später Regionalbischof von München und Oberbayern, sah sich Fragen und heftiger Kritik ausgesetzt. Manche Ältere in der Gemeinde seien unsicher gewesen, ob man die Passion Christi "als seichte Rockoper" darbieten dürfe, und ob "ein Machwerk aus der Unterhaltungsmusik" überhaupt in der Kirche gespielt werden dürfte, erinnert sich Bogdhan in einem Artikel zur Geschichte der Christuskirche.
Erstaufführung in Christuskirche unter Polizeischutz
Ein Kampf um die Deutungshoheit entbrannte zwischen konservativen und liberalen Christen, der schließlich sogar in der anonymen Androhung gipfelte, das Konzert mit Gewalt zu verhindern. Der Kirchenvorstand entschied sich dennoch für die Aufführung – unter Polizeischutz, mit rund 1300 "tief beeindruckten" Zuhörern.
45 Jahre später ist von Proteststürmen nichts mehr zu spüren. Das Stück sei längst ein Klassiker und Kirchen längst akzeptierte Aufführungsorte für Musik der verschiedensten Richtungen, sagt Christuskirchen-Kantor Andreas Hantke. Inhaltlich habe Webbers Musical nichts an Aktualität verloren. "Die Frage, warum Judas verdammt ist, wenn er doch Werkzeug in Gottes Plan war, ist immer noch ein ungelöstes Rätsel", findet Hantke. Auch deshalb stellt Pfarrerin Annette von Kietzell den 10-Uhr-Gottesdienst am Aufführungstag ins Zeichen des Musicals.
Musikalisches Mammutprojekt
Abseits aller historischen Anekdoten und theologischen Fragen ist "Jesus Christ Superstar" ein musikalisches Mammutprojekt. "Wir proben zwei Wochen lang acht Stunden am Tag", sagt Andreas Hantke. Der Kirchenmusikdirektor ist dabei für den Chor zuständig. Das Seraphin-Ensemble übernimmt unter Leitung von Winfried Grabe die klassischen Parts, Regisseur Manuel Dengler sorgt für Choreographie und gutes Timing in der halbszenischen Aufführung.
Viele der Solisten sind Absolventen der "Theaterakademie August Everding", die das Musical schon vor fünf Jahren im Gärtnerplatztheater aufgeführt haben. Hantke freut sich, die Rockoper um Jesus ein zweites Mal in die Christuskirche zu bringen: "Es ist nach wie vor das beste Musical von Webber." Diesmal ganz ohne Skandal.
Veranstaltungs-Tipp
Das Musical "Jesus Christ Superstar" ist am Sonntag, 24. Februar, um 20 Uhr in der Christuskirche München-Neuhausen (Dom-Pedro-Platz 5) zu sehen und zu hören. Restkarten zwischen 12 und 40 Euro gibt es mit etwas Glück noch ab 19 Uhr an der Abendkasse.