"Wie haben wir das Fernsehen einst geliebt." - So beginnt der Film, den der Regisseur Dominik Graf zum 50-jährigen Bestehen des Grimme-Preises über die Stadt Marl gedreht hat. Der Film "Es werde Stadt" von 2014 ist ein Filmessay über die gesellschaftlichen und städtebaulichen Utopien der 60er Jahre, einer Zeit, in der das damals noch recht junge Medium Fernsehen als Medium der Aufklärung galt.

Für den am 6. September 1952 in München geborenen Dominik Graf war das Fernsehen als Kind ein verheißungsvolles, aber von den Erwachsenen als gefährlich deklariertes Medium. Seine Eltern, der Schauspieler Robert Graf und die Schauspielerin Selma Urfer hatten sich zwar früh einen Fernseher angeschafft, sagten aber, Fernsehen sei schädlich für die Augen und für die Entwicklung des Kindes. Tagsüber verschwand das Gerät in einer Truhe, der Sechsjährige durfte nur in Anwesenheit seiner Eltern fernsehen.

Geschichten voller Ambivalenz

Dem jungen Regisseur Graf bot das Fernsehen nach seinem Studium an der Münchener Hochschule für Fernsehen und Film in den 70er Jahren die Möglichkeit, Geschichten voller Ambivalenzen zu erzählen. Geschichten, die er so im Kino nicht erzählen konnte. Bereits in der ARD-Serie "Der Fahnder" mit Klaus Wennemann als Fahnder Faber, für die Graf in den 80ern 13 Folgen drehte, ließ der Regisseur gerne durchblicken, dass Fabers Sympathien eher auf Seiten der Ganoven und kleinen Verbrecher waren als bei seinen Vorgesetzten.

Am deutschen Kino störte Graf, dass die Filmemacher "moralisch von Anfang an auf der richtigen Seite" stehen. Seine eigenen Filme habe er häufig "durch dieses System sozusagen durchgeschmuggelt", sagt Graf. "Die Katze" mit Götz George und Gudrun Landgrebe war mit 1,3 Millionen Zuschauern 1988 sein erster großer Kinoerfolg. Damit etablierte sich Graf als Meister des Genrefilms. Selbst der Produzent Günter Rohrbach sei am Ende überrascht gewesen, "was für ein düsterer Film 'Die Katze' geworden ist", sagt der Regisseur.

Der Kinofilm "Die Sieger" floppte sechs Jahre später im Kino - auch Graf selbst distanzierte sich später von dem Film: Er sei durch den Kraftakt des Drehens so abgelenkt gewesen, "dass ein ganzer Haufen von Szenen einfach nicht so geworden ist, wie ich das erhofft hatte".

Viele Kriminalfilme

Es folgten zahlreiche "Tatorte", "Polizeirufe" und andere Kriminalfilme für das Erste und das ZDF. Auffallend ist, wie Graf die Polizeiarbeit inszeniert: Der Polizeiapparat wird bei ihm zu einem hochnervösen, lebendigen System, das, wenn ein Mord passiert, schnell hochgefahren werden muss und in dem jeder auf den anderen angewiesen ist. Und wehe, es spielt einer ein falsches Spiel - wie in "Im Angesicht des Verbrechens", der Serie, in der Graf das kriminelle Milieu im Berlin der Nuller Jahre porträtierte: Mit den beiden Polizisten, die hier heimlich auf die falsche Seite überlaufen und gegen die eigenen Kollegen arbeiten, nimmt es ein böses Ende.

Die 2010 gesendete ARD-Serie "Im Angesicht des Verbrechens" ist gewissermaßen Grafs Opus Magnum. Die zehnteilige Serie nach dem Buch von Rolf Basedow erzählt von russischen Mafia-Clans in Berlin, die sich gegenseitig bekriegen und von den Polizisten, die wiederum das organisierte Verbrechen bekämpfen. Wie Graf diese unterschiedlichen "Familien" in Szene setzt, wie er das Milieu schildert und die Stadt Berlin, in der diese Welten aufeinandertreffen, ist Fernsehen mit allen Sinnen. Die Stadt Berlin pulsiert und vibriert, man meint das Essen im Restaurant Odessa und die Wodkadünste in der Russendisko zu riechen.

Doch die ARD behandelte die Serie eher stiefmütterlich. Nachdem die ersten Folgen nicht die erhofften Zuschauerzahlen erreichten, wurden die restlichen am späten Freitagabend versendet. Den Grimme-Preis nahmen die Programmverantwortlichen dennoch gern entgegen. Graf selbst hat den Fernsehpreis inzwischen zehn Mal bekommen. Kein anderer Fernsehmacher hat die Auszeichnung so oft entgegengenommen wie er.

Der Filmkritiker Georg Seeßlen schrieb über das Werk des Regisseurs:

"Wenn man Grafs Crime-Filme zusammennimmt, kommt gewiss so etwas wie eine deutsche Chronik dabei heraus. Weniger eine des Verbrechens, weniger eine der Polizeiarbeit und ihrer Abgründe als vielmehr eine Chronik der sozialen 'Apparate', des tiefen Staates, der organisierten Gegenwelten."

In seinem jüngsten Kinofilm "Fabian oder der Gang vor die Hunde" hat Graf erneut Berlin in Szene gesetzt, diesmal allerdings das Berlin der frühen 30er Jahre. An dem 1931 erschienenen Roman von Erich Kästner reizte ihn die "seltsame Untergangsatmosphäre", die "Auflösungserscheinungen der Demokratie", die Kästner darin hellsichtig beschrieb. Der Regisseur sah hier "unheimliche Parallelen" zur heutigen Zeit.

Genauer, liebevoller Beobachter

Graf ist nicht nur ein ausgezeichneter Regisseur, er ist auch ein genauer und sehr liebevoller Beobachter der Filme anderer. Immer wieder schreibt er poetische Reflexionen über die Arbeiten anderer Regisseure, die ihn beeinflusst haben. Und auch in seinen eigenen dokumentarischen Essays offenbart sich seine Lust an der Reflexion. Stets spricht er die poetischen Erzähltexte selbst. Mit seiner fast etwas versonnen klingenden Stimme lädt er die Zuschauer ein, ihn bei seinen Erkundungen zu begleiten - angenehm nachdenklich und uneitel.