Wenn es nach Philipp Gut ginge, wäre Ben Ferencz bereits seit langem Friedensnobelpreisträger. Frieden und Gerechtigkeit auf der Welt habe Ferencz sich zum Lebensziel gesetzt, sagt der Journalist und Historiker Gut über den Mann, dessen Biografie er verfasst hat. "Der Jahrhundertzeuge" ist der Titel des Buches, in dem er den Juristen vorstellt, der in den USA vielen Menschen als "Mister Nuernberg" ein Begriff ist. In Deutschland kennen dagegen nur wenige den kleinen, immer untadelig und kultiviert auftretenden Amerikaner.

Am 11. März wird der ehemalige Chefankläger bei den Nürnberger Prozessen 100 Jahre alt. Im Internet kann man ziemlich aktuelle Videos aufrufen, die zeigen, wie geistreich, humorvoll und fit der alte Mann noch ist. Vor knapp vier Wochen hat Ferencz die Fragen von Jurastudenten in Miami beantwortet. Er kämpft mit den Tränen, als er den jungen Leuten die Horror-Bilder aus den befreiten Konzentrationslagern beschreibt, wie die Regionalzeitung "Hurricane" berichtet.

Dort in Dachau, Mauthausen oder Buchenwald hat er Berge von Leichen gesehen und Menschen, die fast verhungert und entkräftet auf den sogenannten Todesmärschen unterwegs waren. Andere, nur noch Haut und Knochen, die den Tod erwarteten. Seine Aufgabe war es, im Dienste des Militärs nach Kriegsende 1945 Beweise für die Gräueltaten der Nationalsozialisten zu sichern. Ferencz war dafür nach dem Kriegseinsatz zum zweiten Mal in Deutschland.

Erst 25 Jahre ist Ben Ferencz damals alt. Dem Sohn getrennt lebender ungarischer Eltern hätte die Mutter niemals die Elite-Ausbildung finanzieren können, die er da schon genossen hat. Für ihn ist der sprichwörtliche American Dream in Erfüllung gegangen. Lehrerinnen und Professoren hatten das Potenzial des intelligenten jungen Mannes erkannt und ihm den Besuch einer Begabten-Highschool und dann ein Stipendium im angesehenen College ermöglicht.

Der sogenannte Einsatzgruppen-Prozess war sein erster Gerichtsfall. Der Prozess ist einer von zwölf sogenannten Nürnberger Nachfolge-Prozessen. Sie erreichten in Deutschland und weltweit nicht mehr die Aufmerksamkeit, die der Hauptkriegsverbrecherprozess im Nürnberger Saal 600 erreicht hatte. Im gleichen Saal saßen 1947 insgesamt 22 hochrangige SS-Männer auf der Anklagebank, denen der inzwischen 27-jährige Staatsanwalt Ferencz mehr als eine Million Morde vorwarf.

Die Anklage lautete auf Verbrechen gegen die Menschlichkeit, Kriegsverbrechen und Mitgliedschaft in einer verbrecherischen Organisation. Sie seien "die grausamsten Exekutoren eines Terrors gewesen, der die dunkelsten Seiten der menschlichen Geschichte schrieb", sagte der Chefankläger. Das Gericht unter dem Vorsitz von Michael Musmanno verhängte 14 Mal die Todesstrafe. Alle Angeklagten wurden verurteilt. Erschüttert stellt er fest, dass die Angeklagten die Verantwortung für ihre Taten auf höhere Befehlsgewalt abwälzen und mit den ungezählten Opfern kein Mitleid zeigen.

Ben Ferencz und seine Ermittler hatten die Beweise für ihre Taten geliefert. In den "Meldungen aus den besetzten Ostgebieten", die den Ermittlern zufällig in die Hände gefallen waren, hatten die Täter selbst akribisch für die Behörden vermerkt, wie sie Kommunisten, Juden, die polnische Intelligenz, psychisch Kranke und andere systematisch töteten. Der Völkermord sei für die Täter zur Routine geworden, stellte der Ankläger fest, der in der Geschichte der internationalen Gerichtsbarkeit wohl der erste war, der für solche Taten den Begriff "Genozid" verwendet, wie Philipp Gut in seinem Buch schreibt.

Zum ersten Mal mussten sich in Nürnberg auf völkerrechtlicher Grundlage die Angeklagten für unvorstellbare Verbrechen zur Verantwortung ziehen lassen. Das internationale Strafrecht weiter zu entwickeln und auf der Basis des Völkerrechts Frieden zu schaffen, lässt Ferencz seither nicht mehr los. "Make Law not War" ist sein Lebensmotto. "Solange wir Konflikte durch Kriege lösen und die soziale Kontrolle entziehen, werden wir töten", sagt er.

Nach den Nürnberger Prozessen bleibt Ferencz zunächst in Deutschland. Der Sohn jüdischer Eltern hat ein Jobangebot erhalten: Für jüdische Holocaust-Opfer soll er Wiedergutmachung und die Rückerstattung von Vermögen erreichen. Zehn Jahre bringt er mit der Aufgabe zu und wirkt an der Entwicklung der Entschädigungsgesetze der Bundesrepublik mit.

Mit seiner Frau Gertrude und den vier Kindern in die USA zurückgekehrt, widmet er sich ab den 70er Jahren dem Aufbau einer internationalen Strafgerichtsbarkeit. Auch vor dem Hintergrund des Vietnamkriegs erklärt er, er wolle für den Weltfrieden arbeiten. 1975 veröffentlicht er sein Grundlagenwerk über Internationale Aggression und die Suche nach dem Weltfrieden. Denn ein Internationaler Gerichtshof war bis dahin in endlosen Diskussionen und Sitzungen zwischen den Ländern immer wieder daran gescheitert, dass man keine Definition von Aggression hatte, beschreibt Ferencz seinem Biografen das Problem.

2003 geht an seinem 83. Geburtstag für Ben Ferencz sein Lebenstraum in Erfüllung. Die Richter des Internationalen Strafgerichtshofs in Den Haag werden am 11. März vereidigt. Im Rückblick stellt er fest: Dank der Weiterentwicklung der internationalen Strafgerichtsbarkeit können "die Mächtigen die Menschen nicht an der Nase herumführen, weder in den Vereinigten Staaten, noch in Deutschland, noch sonst irgendwo auf der Welt".