1938 mit 16 Jahren als Sohn eines jüdischen Pelzhändlers aus Wien über die Tschechoslowakei und Frankreich nach Amerika geflohen, von dort als US-Soldat zurückgekehrt, die Befreiung Münchens erlebt, das Grauen in Dachau fotografiert, als Fernsehjournalist zur Legende geworden: So klingt Georg Stefan Trollers Leben im Telegramm-Stil. "Das erzählt sich so leicht", sagt der 98-Jährige und seine Augen blitzen. "In Wirklichkeit war alles hundertmal komplizierter."

Zum Beispiel die Flucht aus dem besetzten Österreich. Die Tschechoslowakei habe sich den Flüchtlingen verschlossen, "das ist ja die Norm, heute wie damals", sagt der alte Herr im samtbraunen Cordsakko trocken. Stundenlang sei er nachts mit seinem Schleuser über die Felder geschlichen. Den Inhalt seines Koffers habe sich der Schlepper unter den Nagel gerissen. "Ich habe mein Zeug nie wieder gesehen", raunzt Troller.

Vom Alter geschrumpft, aber nicht gebeugt, sitzt Georg Stefan Troller am Abend des Holocaustgedenktags auf dem Podium im voll besetzten Dachauer Rathaus. In der ersten Reihe hören Senta Berger und ihr Mann Michael Verhoeven, die mit Troller eng befreundet sind, gebannt zu. Denn der Fernsehjournalist und legendäre Promi-Interviewer der 1970er-Jahre ist der geborene Erzähler. Sein Plauderton schnurrt den Zweiten Weltkrieg fast auf Anekdotenformat - mit herbem Beigeschmack.

NS-Zeit: Georg Stefan Troller erinnert sich an die Reichskristallnacht

Auf welch schmalem Grat seine Flucht vor den Nazis verlief, wie oft ihm einfach nur Glück zu Hilfe kam: Georg Stefan Troller weiß es noch genau. Die Reichskristallnacht zum Beispiel verbrachte der 16-jährige Buchbinderlehrling im Keller seines Chefs. Durch ein Fenster sah er auf den Hinterhof, der zur Polizeiwache gehörte. "Die ganze Nacht über wurden Juden eingefangen und auf den Hof gebracht", erinnert Troller sich. Er habe auf seinem Papierstapel gelegen und beobachtet, wie die vornehmen alten Wiener Herren von SA-Freiwilligen schikaniert wurden.

"Und wie ich so durchs Fenster schaue, sieht mich plötzlich einer von ihnen an", sagt der Zeitzeuge und schweigt einen langen Moment. "Und ich sehe ihn an." Der 98-Jährige lässt die Szene offen. Ein trockenes "Naja" dient ihm noch oft an diesem Abend als Füllwort für die Leerstellen, die das Unsagbare in seinen Erzählstrom reißt. Später sei ein SA-Mann in den Keller gekommen und habe auf den Papierstapel gepinkelt. "Das war für mich das Symbol meiner Lage: Ich bin ein Mensch, auf den man ungestraft pinkeln darf", schließt Troller die Erinnerung an diese Nacht.

Mit einem gefälschten Visum gelangte der junge Mann an die nordfranzösische Küste. Dort verbrachte er neun Monate in verschiedenen Internierungslagern. Dann wieder ein Glücksfall: Obwohl Troller eine aussichtslose Wartenummer hatte, gab ihm der amerikanische Vizekonsul in Marseille ein Visum. "Er sagte, Amerika braucht Soldaten! Ich war 18 Jahre, genau richtig. Da greift er in einen Stapel mit Visa und zieht ein Blatt hervor, auf dem das Bild eines alten Juden mit Vollbart klebt. Er macht das Bild ab und klebt meines darauf - so bekam ich ein Visum. Was aus dem alten Juden geworden ist, weiß Gott allein." Und wieder schweigt Georg Stefan Troller, der Überlebende.

Troller erlebte die Gräuel im KZ Dachau nach der Befreiung Münchens

In Amerika wurde der Geflüchtete 1943 zum Kriegsdienst eingezogen, erlebte 1945 die Befreiung Münchens und dokumentierte die Gräuel im KZ Dachau. Wenige Tage nach der Befreiung fuhr er als Teil des US-Vernehmungsteams in das Lager. "Die Lebenden waren alle schon weg, nur die Toten lagen zu Hunderten auf dem Appellplatz", erinnert sich Troller.

Der Soldat entdeckte die Zugwaggons mit den Leichen der KZ-Häftlinge, die aus Buchenwald nach Dachau geschickt worden waren. "Ich dachte erst: Das sind Wachspuppen, die ein wahnsinniger Anatom ausgestellt hat, damit die amerikanische Wochenschau etwas zu filmen hat", sagt er. "Dann begriff ich: Das waren alles meine Leute. Da hätte auch ich liegen können." In einem Versuch, mit der unerträglichen Situation fertig zu werden, habe er alles fotografiert. Die Bilder schickte er viele Jahre später an die KZ-Gedenkstätte Dachau.

Wenn Georg Stefan Troller an sein Nachkriegsjahr als US-Soldat in München denkt, wird er sehr nachdenklich. "Das Leitwort der Münchner war damals: Wir haben ja schon alles abgebüßt in den Bombennächten", kritisiert er. Alle hätten plötzlich jüdische Großmütter gehabt oder von nichts gewusst. Er habe erwartet, dass "die Deutschen in Sack und Asche auf den Kirchenstufen beteten". Stattdessen habe jeder nur Rechtfertigung gesucht. "Nie übernahm jemand Verantwortung oder bezeichnete sich auch nur im Geringsten als schuldig", sagt Troller.

Und das ist für die Zuhörer mit Blick auf den wachsenden Rechtsextremismus in Deutschland vielleicht Trollers wichtigste Botschaft dieses Abends: Jeder hätte es wissen können. Jeder trägt Verantwortung.