Auch die Stadthalle in Hassfurt, die in ihren Anfängen auf das 14. Jahrhundert zurück geht, ist ein solcher altehrwürdiger Ort, der Geschichte atmet. Geht man die Stufen in den Saal hinauf, begleiten den Besucher Skulpturen aus der jahrhundertelangen Kulturgeschichte der Würzburger Fürstbischöfe, die in den Nischen vor Witterung und Kälte gerettet wurden. Ein würdiger Rahmen für ein Konzert, das Ray Wilson am 23. November zweieinhalb Stunden dort zelebrierte.
Man könnte Ray Wilson ein bisschen als tragische Figur der Rock-Geschichte ansehen. Mit seiner Band "Stiltskin" feierte er 1994 einen internationalen Riesenhit mit "Inside", das auch in der Levis-Werbung verwendet wurde - und ein One-Hit-Wunder blieb. Drei Jahre später ersetzte er Phil Collins am Mikrofon bei Genesis. Eine schier unlösbare Aufgabe, in die Fußstapfen des Millionesellers zu treten. Das auch heute noch durchaus hörenswerte Album "Calling all Stations" verkaufte sich schlecht, bei einer ausgedehnten Europa-Tour genoss Wilson seine zweiten 15 Minuten Ruhm in den großen Arenen.
Dann war Schluss, Genesis lösten sich vorerst auf und der sympathische Musiker mit der sanften Reibeisenstimme fiel erst mal in ein tiefes Loch...
...aus dem er sich in den vergangenen Jahren wieder heraus manövrierte. Nicht zuletzt mit dem Erbe der guten, alten Zeiten. GENESIS prangt in Riesen-Lettern auf dem Plakat vor der Stadthalle Hassfurt, das Wilson an der Akustik-Gitarre ziert, der Name der verflossenen Kultgruppe taucht noch einmal im Untertitel auf - Wilson setzt voll auf die Genesis-Karte. Bei seinen Konzerten kommen nicht nur die Songs seines einzigen Albums mit der britischen Band aufs Tableau. Wilson spielt auch die Solo-Hits der Genesis-Mitglieder. Peter Gabriels "Solsbury Hill", Phill Collins' "In the air tonight" und Mike Rutherfords "One more cup of coffee".
Anbiederung an die alten Kollegen, die mit Wilson ziemlich unmittelbar nach dem Genesis-Split nichts mehr mit ihm zu tun haben wollten beziehungsweise wie Collins und Gabriel nie etwas zu tun hatten? Letztere beiden zumindest füllen auch heute noch solo die großen Hallen. Wenn Rutherford mit seinen "Mechanics" auftritt oder es Genesis-Keyboarder Tony Banks doch wieder mal solo auf die Bühne zieht, spielen die beiden Gründungsmitglieder ebenfalls in den kleineren Clubs wie der geschasste Kurzzeit-Frontmann. Eine Schicksalsgemeinschaft also, in der Wilson immer noch eine der glücklichsten Figuren macht.
Ray Wilsons eigene Stücke wirken überzeugender
Denn auch an diesem Abend wird deutlich, dass zwar die Hitparade des Progrock, die Wilson mit seiner Band anstimmt, sicher ein Grund ist, wieso der in Polen lebende Schotte heute noch so fleißig spielen darf. Allerdings sind es gerade seine eigenen Stücke, die im Laufe des Abends am nachhaltigsten wirken. Nachdenkliche Songs mit Tiefgang, wie "The Actor", in dem ein Schauspieler sich bewusst wird, dass seine großen Zeiten hinter ihm liegen. Wilsons alter ego? Oder auch "Alone", das von der Jugend in der traditionellen Grafschaft Dumfriesshire handelt, in die er sich ebenso gerne zurück träumt wie Bruder Steven, der mit ihm auf der Bühne steht.
Das Publikum klebt Ray Wilson jedenfalls an den Lippen, genießt die handgemachten, ehrlichen Klänge, die von der Band eindrucksvoll intoniert werden. Ein bisschen wird dann sogar getanzt - das wäre in den Kirchen, wie der Christuskirche in Bochum oder der Johanniskirche Magdeburg, die als nächstes auf dem Tourplan stehen, wohl eher nicht so einfach möglich. Jedoch kann man sich die Musik und den Menschen Ray Wilson auch gerade in solchen Räumen sehr gut vorstellen. Vielleicht auch, weil er auch eine gute Botschaft, oder sogar mehrere davon mitbringt: Ehrlich auftreten, sich der Leidenschaft der Musik dabei voll hingeben, sich nicht zu schade für ein kleineres Publikum und dabei immer authentisch sein und mit Liebe an jeden neuen Tag gehen. Das bleibt auch als Eindruck nach dem Auftritt in Hassfurt zurück.
Tour-Termine
Ray Wilson ist gerade auf Tournee durch Europa. Am 15. Dezember 2018 kommt er nach Aschaffenburg, am 19. Januar 2019 nach Freising. Alle Tour-Termine finden Sie hier.