"Mächtig hallen die Reime durch den großen Saal: "Warum sieht er sich um? Warum bleibt er stumm?" Gemeint ist der Reformator Martin Luther; die Fragen werden von den rund 2100 Mitwirkenden gesungen, die im Chor mit dabei sind. Im Münchner Gasteig fand die Hauptprobe zum Luther-Pop-Oratorium statt, das dort am 18. März 2017 in der Olympiahalle aufgeführt wird.
Es ist neun Uhr morgens, als sich die Tore der Philharmonie öffnen und die wartenden Chorsänger einlassen. Mit dabei ist Ruth Reinhardt aus dem schwäbischen Dettingen bei Heidenheim. Zu Hause singt die Krankenschwester in einem Chor, jetzt sind sie zu sechst mit dem Auto angereist, um mitzusingen. "Das macht Spaß", sagt sie, "wir machen gerne mit". Doch jetzt muss sie los, den Mantel an der Garderobe abgeben. Mit den Noten in der Hand macht sie sich dann auf den Weg nach "Block Q", ihrem "Einsatzort" im Ensemble des großen Chores.
Gut eine Stunde später ist es soweit. Die Sänger haben mittlerweile alle ihre Plätze eingenommen, fast alle der 2 378 Sitze sind belegt. In der Mitte der Bass, erkennbar an einem grünen Schild mit der Aufschrift "Bass". Links sitzen die Tenöre, rechts die Alt-Stimmen. Vorne die große Bühne und darüber die mächtigen Orgelpfeifen. Kurz nach zehn Uhr hebt im Saal die Musik an und reißt die Zuhörer mit.
"Das ist ja eine Stimmung", sagt dann auch Marcel Volkmann von der evangelischen Stiftung "Creative Kirche", die das Pop-Oratorium über Luther angestoßen hat. 2017 jährt sich zum 500. Mal dessen Thesenanschlag. Aus diesem Anlass wird das musikalische Werk über das Leben des Reformators deutschlandweit an verschiedenen Standorten auf die Bühne gebracht.
"Warm-up" mit Luther-Chorälen
Im Mittelpunkt des Werks steht Martin Luther, der 1521 vor dem Reichstag von Worms aufgefordert wird, seine kirchenkritischen Aussagen zu widerrufen. Mit Rückblenden und Ausblicken rund um das dortige Geschehen wird diese Geschichte erzählt – komponiert von dem Düsseldorfer Pianisten Dieter Falk.
Und auch er steht bei der Münchner Probe auf der Bühne und schmeichelt ein wenig dem Gasteig: "Das ist die schönste Probe-Location, die ich je gesehen habe." Schließlich greift er in die Tasten des Keyboards und animiert die Sänger zu einem "Warm-up" mit Luther-Chorälen wie "Ein feste Burg" oder "Christ ist erstanden".
Gegen 10.20 Uhr geht es dann richtig los mit der Chorprobe. Die Bühne betritt nun Dirigent Michael Martin, Gospelreferent des Popularmusikverbands der evangelischen Landeskirche. Er wird sich an diesem Tag mit Hans-Georg Stapf, Pop-Kantor aus Augsburg, abwechseln. Ganz vorne rechts in den Sitzreihen, beim Bass, macht sich auch Markus Bettinger für die Chorprobe bereit. Der Polizist ist aus Nördlingen nach München gekommen, mit zwei Kollegen des Kirchenchors. Und nein, er findet das Oratorium nicht schwierig zu singen.
Um 10.45 Uhr stimmt der Riesenchor an: "Luther, Luther, wer ist Luther? Martin Luther?" und Dirigent Martin sagt: "Wow, klingt toll, vielen Dank." Später bei den Takten 11 bis 16 heißt es aber dann: "Wir sind eine Spur zu langsam. Das Orchester wird nicht auf uns warten." So geht die Chorprobe weiter bis zum Nachmittag. Bis es schließlich zum letzten Mal aus vielen Kehlen zu Luther musikalisch heißt: "Da kommt er, seht ihn an. Ungebeugt, ein starker Mann."