Seit den 1970er-Jahren ist Springsteen erfolgreich und kommt regelmäßig auf seinen Tourneen auch in Deutschland vorbei. Wer schon einmal bei einem seiner kaum unter vier Stunden lang dauernden Konzerte dabei war, weiß, dass hier keine Nummern-Revue mit Hits und Soli abgespult wird – Springsteen-Auftritte sind wie ausgelassene Freiluft-Gottesdienste, bei denen Massen zusammen kommen und sich vom Esprit des 73-Jährigen anstecken lassen.
Neben den Rock-Riffs und satten Satzgesängen finden viele Elemente aus Soul und Gospel Einzug in die Darbietung. Und da kann es auch schon mal dazu kommen, dass der "Boss", wie Springsteen von Fans genannt wird, zum kollektiven Gebet aufruft. So wie 2012 beim Konzert in Köln, als 45.000 Fans mit dem Zeremoienmeister zu Pfingsten für den kurz davor verstorbenen Saxophonisten Clarence Clemons beteten.
Hymnen mit Tiefgang
Viele sehen in Springsteen den Vorzeige-Amerikaner, der sich mit Hymnen wie "Born to run" oder vor allem "Born in the USA" in die Herzen vor allem seines Landes gesungen hat, die amerikanische Volks-Seele wie kaum ein Zweiter verkörpert. Dabei sind Springsteens Texte keinesfalls oberflächlich. Auch wenn selbst gestandene Staatsmänner wie Ronald Reagan, der letztgenanntes Stück Mitte der 1980er-Jahre tatsächlich gerne für seinen Wahlkampf nutzen wollte, doch auf die Vordergründigkeit einer einzelnen Zeile herein fallen:
"Born in the USA" ist nämlich kein gröhlendes Bekenntnis zum Nationalen, sondern ein lupenreiner Antikriegs-Song, der von der schlechten Behandlung zurück gekehrter Soldaten aus dem Vietnamkrieg handelt.
In seiner 2016 erschienenen Autobiographie "Born to run" räumt Springsteen dann auch mit dem romantisierenden Bild seines Landes auf und spricht anhand seiner Lebensgeschichte von echten Werten, die ihn als Mensch wie Musiker ausmachen. Dazu gehören Ehrlichkeit gegenüber dem Nächsten ebenso wie persönliches Einstehen.
"Ich nehme nicht sehr oft an meiner Religion teil, aber ich weiß, irgendwo tief in meinem Inneren gehöre ich weiter dazu. In dieser Welt finde ich den Anfang meiner Songs. Im Katholizismus ist diese Poesie, die Gefahr und die Dunkelheit, die mein Innerstes widerspiegelt", schreibt Springsteen.
Leben gegenüber der Kirche
Gespeist wird Springsteens Weltbild nicht nur vom Religionsunterricht, den er als sehr prägend empfunden habe. Eine Zeitlang hatte die Familie direkt gegenüber einer Kirche gelebt. Wie Springsteen 2012 in einem Interview mit der Berliner Zeitung verriet, habe ihn diese Zeit "anschaulich den Sinn des spirituellen Lebens" gezeigt. Bei seinen Broadway-Shows ab 2017, die der Musiker über 200 Mal ganz reduziert nur mit Gesang und Gitarre bestritt, sprach Springsteen zwischen den Songs viel über sein Leben, auch über seinen Glauben. Beendet wurden die zweieinhalbstündigen Auftritte mit dem Vaterunser.
Biblische Motive hielten schon früh Einzug in die Texte Springsteens. 1978 erschien mit "Adam raised a cain" auf dem Album "Darkness on the edge of town" ein autobiographisches Stück, in dem er die eigene Vater-Sohn-Beziehung mit Adam und Kain verglich. Der harte Rocksong ist mittlerweile ein oft live gespielter Klassiker, bei dem Springsteens E-Street-Band brilliert. Deutlich ruhiger zu geht es bei der 2005 auf "Devils an Dust" erschienenen Piano-Ballade "Jesus was an only son", in dem der Sänger Jesu Lebensgeschichte kurz nacherzählt und von einem Verlust spricht, der nie wieder gutzumachen ist. Doch Springsteen schöpft in dem Lied am Ende Hoffnung auf Auferstehung.
Wie oft der Oscar-Preisträger und mehrfachen Grammy-Gewinner selbst noch auf der Bühne stehen wird und mit Lebensfreude und Energie seine Rock-Messen feiern wird, steht freilich in den Sternen. Hinterlassen hat Bruce Springsteen jedenfalls jetzt schon einen riesigen Schatz an Liedern und Texten, die weitaus mehr sind als US-amerikanische Pop-Kultur.
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