Sechs Höhlen auf der Schwäbischen Alb sind von der Unesco zum Welterbe erklärt worden. Damit wächst die deutsche Liste auf 42 Einträge - 39 davon sind Kulturerbestätten und drei Naturerbestätten. Das erste deutsche Kulturgut, das Welterbe wurde, war der Kaiserdom zu Aachen, der 1978 zu den zwölf Welterbestätten gehörte, mit denen die Welterbeliste eröffnet wurde. In Baden-Württemberg gehörten bislang das Kloster Maulbronn, der Limes, die Pfahlbauten am Bodensee, die Klosterinsel Reichenau sowie zwei Corbusier-Häuser in Stuttgart dazu.
Die Entscheidung für die Höhlen fiel Anfang Juli 2017 bei einer Tagung des Unesco-Welterbe-Komitees im polnischen Krakau. Die Organisation weist darauf hin, dass die Höhlen als archäologische Stätten von der frühesten figurativen Kunst weltweit zeugten. Seit den 1860er-Jahren wird dort gegraben. Die Entdeckungen - vor allem geschnitzte Tierfiguren (Höhlenlöwen, Mammuts, Pferde, Rinder), Musikinstrumente und Schmuckstücke - liefern laut Unesco »wichtige Erkenntnisse über die Entwicklung der Kunst«.
Mammut, Löwen und Pferde sind nun Unesco-Weltkulturerbe
Vor knapp zehn Jahren machte das Forscherteam um den Tübinger Urgeschichtler Nicholas Conard den Sensationsfund in einer Höhle bei Schelklingen bei Ulm: Sie entdeckten die Venus vom Hohlefels, eine sechs Zentimeter große menschliche Figur aus Mammut-Elfenbein. Ihr Alter wird auf rund 35.000 Jahre geschätzt. Damit ist sie - gemeinsam mit der niederösterreichischen Venus vom Galgenberg - die weltweit älteste Skulptur, die einen menschlichen Körper darstellt. Heute steht das Original im Urgeschichtlichen Museum in Blaubeuren.
Eines der ältesten Musikinstrumente der Welt, eine Flöte aus einem Gänsegeierknochen, hat Conards Team 2015 in der Vogelherdhöhle im Lonetal im Kreis Heidenheim aufgespürt. Es handelt sich nur um ein Fragment, doch zeigen zwei Ansätze von Grifflöchern sowie die Überarbeitung der Oberfläche den Wissenschaftlern zufolge, dass hier tatsächlich eine Flöte gefunden wurde.
»Bildhauer ersten Ranges« in der kulturellen Wiege der Menschheit
Weitere Funde in weiteren Höhlen machen das Achtal und das Lonetal zu einer Art kulturellen Wiege der Menschheit. In Hohenstein-Stadel lag der Löwenmensch aus Mammut-Elfenbein, in der Bocksteinhöhle ein großes Keilmesser. In Geißenklösterle ruhte ein in Elfenbeinplättchen graviertes Mensch-Tier-Wesen, in der Sirgensteinhöhle fanden sich Geschossspitzen.
Der Kunsthistoriker Neil MacGregor bezeichnete bei seinem jüngsten Besuch in Ulm die Höhlenkünstler als »Bildhauer ersten Ranges«. Am Löwenmenschen müsse rund 400 Stunden gearbeitet worden sein, vermutet er. In den Funden sieht MacGregor auch die Ursprünge einer gemeinsamen Religion. In der Geschichte habe es keine Gesellschaft ohne ein verbindendes Glaubenssystem gegeben, betonte der frühere Leiter des British Museums in London.
Höhlen in der Schwäbischen Alb sind nun Weltkulturerbe
Welterbe sind nun die Höhlen - nicht die Funde. Mit dem begehrten Unesco-Titel verpflichten sich Staaten, die Orte zu schützen und für künftige Generationen zu bewahren.
Forscher Conard verbindet mit der Auszeichnung die Hoffnung, dass die weltweit einmaligen Kunstgegenstände öffentlich stärker wahrgenommen werden. Schon seit Jahren beobachtet er, dass sich nicht einmal die Baden-Württemberger ihres Schatzes bewusst sind - bei öffentlichen Anlässen oder Erinnerungen, etwa bei den Feierlichkeiten zum Tag der Deutschen Einheit 2013 in Stuttgart, spielten die spektakulären Funde bislang fast keine Rolle.