Es gibt Linkshänder, und es gibt Linksdenker. Karl Valentin war ein Linksdenker - treffender als Kurt Tucholsky kann man es nicht sagen: Valentin sei ein seltener, trauriger, maßlos lustiger Komiker, "der links denkt".

Meister des Absurden

Karl Valentin, 1882 in München als Valentin Ludwig Fey geboren, ist vor 75 Jahren, am 9. Februar 1948, in Planegg bei München gestorben. Als Komiker, Schauspieler, Autor, Regisseur seiner eigenen Szenen und Stücke ist er beispiellos. Er war Meister des Absurden, Sprachakrobat und Schöpfer zahlreicher Bonmots wie

"Fremd ist der Fremde nur in der Fremde"

oder

"Mög‘n täten wir schon wollen, aber dürfen haben wir uns nicht getraut".

In der damals noch ländlichen Münchner Vorstadt Au lebten kleine Handwerker, Trödler, Gastwirte und zahlreiche sonderbare Originale. Dort ist er aufgewachsen. Die Auer hatten eine Leidenschaft für Musik und Theater. In den Singspielhallen traten Volkssänger auf, sangen und spielten zum Gaudium des essenden, trinkenden und rauchenden Publikums. Karl Valentin verstand sich sein Leben lang als Volkssänger.

Komiker-Duo mit Elisabeth Wellano alias Liesl Karlstadt

Nach einigen vergeblichen Versuchen vor Publikum hat der gelernte Schreiner mit seinen Couplets und Monologen schließlich Erfolg und erhält ein Engagement in einer Singspielhalle. Dort kommt es 1911 zu einer folgenreichen Begegnung: Valentin trifft die Schauspielerin und Sängerin Elisabeth Wellano und erkennt sofort ihr komisches Talent. Es beginnt eine lange, erfolgreiche Zusammenarbeit als Komiker-Duo. Er ersinnt für sie den Künstlernamen Liesl Karlstadt, sie wird seine kongeniale Bühnen-Partnerin und Ko-Autorin, außerdem Geliebte, Managerin, Psychologin.

Valentin, verheirateter Vater zweier Töchter, galt auch als Egozentriker. Liesl Karlstadt hat seine Launen ertragen, hat sich ihm auf der Bühne und im Leben untergeordnet, sich in seine komplizierten seelischen Nöte eingefühlt. 1935 kommt es zum Bruch. Liesl Karlstadt kann nicht mehr, sie muss in eine Nervenheilanstalt. Später folgen nur noch wenige gemeinsame Auftritte.

Kleinere Bühnen statt großes Theater

Doch zunächst wird das Duo immer erfolgreicher. Szenen und kleine Stücke sind in den volkstümlichen Münchner Kabaretts zu sehen. Die Welt des großen Theaters jedoch ist Valentin fremd. Als die Münchner Kammerspiele dringend eine neue Einnahmequelle brauchen, wird er mit Mühe überredet, dort Nachtvorstellungen zu geben: 1924 kommt es zur Uraufführung seines Zweiakters "Die Raubritter vor München". Der Erfolg ist riesig, die Kritik begeistert.

Gleich zu Beginn: der Dialog über den Ententraum, der in seiner umwerfend tiefsinnigen Komik zum Besten gehört, was Valentin und Karlstadt geschaffen haben. Ein eingeschlafener Wachtposten wird just dann aufgeweckt, als er träumt, er sei eine Ente, die gerade einen Wurm verspeisen will. Nun entspinnt sich ein Gespräch über die Frage, ob das ein schöner Traum war - für eine Ente schon, aber für einen Menschen? Und träumt eine Ente überhaupt?

Auftritte mit Bertold Brecht

Der junge Bertolt Brecht bewunderte Karl Valentin. Dessen Einfluss ist in einigen frühen Stücken Brechts unverkennbar, besonders in "Die Kleinbürgerhochzeit". Sie traten gemeinsam auf dem Oktoberfest auf und auch in den Kammerspielen, als Brechts "Trommeln in der Nacht" uraufgeführt wurde. Und sie drehten gemeinsam den chaotischen Film "Mysterien eines Frisiersalons" (1923), in dem der Friseurgeselle (Karl Valentin) versehentlich beim Rasieren einem Kunden den Kopf abschneidet.

Doch die Avantgarde seiner Zeit, Brechts Stücke oder der Dadaismus - all dies interessierte Valentin nicht. Warum dann konnte er nicht nur in seiner Heimatstadt, sondern auch in Berlin Triumphe feiern und die klügsten Kritiker seiner Zeit begeistern? "Das erklärt sich nur durch Karl Valentin", sagt Sabine Rinberger, Direktorin des Valentin-Karlstadt-Musäums.

"Er ist vorbildlos und zeitlos. Im Endeffekt schöpft er alles aus sich selber",

sagt die Historikerin.

Spiel mit Sprache und Logik

Valentin, der Kleinbürger, spielt sich selbst: Er verheddert sich in der Sprache und der Logik, so wie sich seine langen, knochendürren Beine miteinander verheddern. Ein Musiker im "Tingeltangel" ist nicht da, teilt Valentin dem Kapellmeister mit. "Das seh ich doch selbst, dass er nicht da ist", antwortet der. Valentin fragt zurück:

"Wie kann man denn einen sehen, wenn er nicht da ist?"

Valentin-Karlstadt-Musäum im Isartor München

1934 eröffnet Valentin sein "Panoptikum", einen Kuriositäten- und Schauerkeller, der bald wieder schließen muss, weil er sich nicht rentiert. Heute zeigt das Valentin-Karlstadt-Musäum im Isartor in München zahlreiche Kuriositäten, die sich Valentin ausgedacht hat, etwa den Nagel, an den er seinen Beruf als Schreiner hängte, oder eine geschmolzene Schneeplastik: eine Schüssel mit Wasser.

Am Ende wird es still um Karl Valentin. Ab 1941 tritt er nicht mehr auf. Nach Kriegsende macht er Pläne, will im zerstörten München wieder eine Singspielhalle eröffnen. Doch er ist nicht mehr gefragt. Von Hunger und Enttäuschung ausgezehrt, stirbt er 1948 an den Folgen einer Erkältung.

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