Die "Halle 116" gehört seit Generationen zum Bild des Augsburger Stadtteils Pfersee. Dass das bis Ende des vergangenen Jahrhunderts von der US Army genutzte Gebäude im Zweiten Weltkrieg zur Luftnachrichten-Kaserne der deutschen Wehrmacht gehörte und ab 1944 etwa 2.000 Zwangsarbeiter dort unter menschenunwürdigen Bedingungen untergebracht waren, wissen nur noch wenige. Mit dem kürzlich eröffneten Lern- und Erinnerungsort soll sich das jetzt ändern.

Hört man Felix Bellaire bei einem Rundgang durch die ungefähr 600 Quadratmeter Ausstellungsfläche in der "Halle 116" zu, kann man die Begeisterung des Leiters der Fachstelle Erinnerungskultur der Stadt Augsburg spüren: über die gelungene Darstellung der Stadtgeschichte in der NS-Zeit, über die didaktische Aufarbeitung in leichter Sprache, über die "Interventionen", die zum Nachdenken über den Bezug zur Gegenwart anregen. Oder darüber, dass die Schau unter Beteiligung der Bevölkerung entstanden ist.

In privaten und öffentlichen Archiven gestöbert

Tatsächlich haben die städtischen Mitarbeiter sowie die ausführenden Handwerksbetriebe und Medienstellen mehr als drei Jahre lang eng mit Vertretern aus Bürgervereinigungen, der Israelitischen Kultusgemeinde und dem Jüdischen Museum Augsburg, mit Vereinsvertretern und Historikern in einer Arbeitsgruppe an diesem Mammutprojekt gearbeitet. Es wurde in öffentlichen und privaten Archiven gestöbert und gekramt, dabei viele Erinnerungsstücke und Bilder zutage gebracht, später abgewogen und ausgesucht.

Das Ergebnis ist in sich stimmig: Gegliedert in die Bereiche "Macht", "Gewalt" und "Umbrüche" wird anhand von Text- und Bildtafeln, Video-Elementen und Exponaten gezeigt, wie die Nazis in und um Augsburg Fuß fassten, was sie anrichteten, wer mitgemacht hat und auf welche Weise das menschenverachtende System am Laufen gehalten wurde. "Das alles an einem authentischen Ort, der kaum verändert wurde", bekräftigt Felix Bellaire. In Frakturschrift prangt über einer Tür noch der Ausruf "Verhüte Unfälle!".

Halle 116 wurde von der Wehrmacht errichtet

Die "Halle 116" hatte die Wehrmacht von 1935 und 1937 zusammen mit der Kaserne errichtet. Die Menschen, die in dem Außenlager des KZ Dachau lebten, mussten Zwangsarbeit für die Messerschmitt-Werke leisten: rund 4.000 Personen aus 20 Nationen bis zum Ende des Krieges. "Solche Außenlager gab es quasi in jeder größeren Stadt", sagt der Historiker. In der Ausstellung findet man auch ein Foto eines Gefangenenmarsches durch die Augsburger Innenstadt. Die Passanten wenden sich von dem Tross ab.

In der Schau gibt man den Vergessenen ihre Namen zurück. In einer Installation im Dokumentationsraum aufgelistet, wer an dieser Stelle ausgebeutet wurde. Einige exemplarische Biografien werden herausgegriffen, an Hörstationen kann man sich die Lebensgeschichten erzählen lassen. Etwa jene von Jakob Bamberger, 1939 Vizeweltmeister im Box-"Fliegengewicht". Der Sinto hatte im KZ Dachau zuerst Trinkversuche mit Meerwasser über sich ergehen lassen müssen, bevor er nach Pfersee kam.

Die Ausstellung beschäftigt sich außerdem mit lokalen Politgrößen wie Kreisleiter Gallus Schneider oder dem ehemaligen Oberbürgermeister Josef Mayr und deren Verstrickungen in die NS-Herrschaft. Sie widmet sich aber auch dem durch Injektion im Außenlager Irsee wegen "psychologischer Auffälligkeit" getöteten Ernst Lossa oder Diözesansekretär Hans Adlhoch, der wegen mangelnder Linientreue zum Ziel von Repressionen wurde, an deren Folgen er noch im Mai 1945 in einem Münchner Lazarett verstarb.

Nach dem Abzug der Amerikaner 1998 kaufte die Stadt Augsburg im Jahr 2020 das Gebäude, um in einer Dauerausstellung Augsburgs Zeitgeschichte im 20. Jahrhundert zu zeigen. Daher endet die Schau nicht mit dem Kriegsende, sondern beschäftigt sich auch mit der Befreiung, der Besatzungszeit der Amerikaner sowie der Demokratisierung der heutigen Friedensstadt. "Der Rundgang endet in der Gegenwart und lädt ein, sich mit der Relevanz der Themen im Hier und Jetzt auseinanderzusetzen", sagt Bellaire.

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