Es gibt ihn schon als Hologramm und bald auch als Figur in einer Graphic Novel: Der 90-jährige Holocaust-Überlebende Ernst Grube hat keine Berührungsängste, wenn es darum geht, seine Geschichte für junge Menschen erfahrbar zu machen. Doch während bislang meist seine Erinnerungen an die NS-Zeit im Mittelpunkt standen, fokussiert sich die Berliner Comic-Künstlerin Hannah Brinkmann jetzt auf Grubes politische Verfolgung als Kommunist in den 1950er Jahren der Bundesrepublik Deutschland.

"Ich wollte unbedingt mal etwas über die deutsche Nachkriegsjustiz machen", sagt die 33-Jährige.

Weil Richter und Verwaltungsbeamte der NS-Zeit nach 1945 oft weiter im Amt gewesen seien, habe die frühe Bundesrepublik "die NS-Zeit noch geatmet". Als das Münchner NS-Dokumentationszentrum mit dem Auftrag an sie herangetreten sei, die Lebensgeschichte von Ernst Grube zu zeichnen, sei ihr klar gewesen: "Er ist der Protagonist, der diese Spanne komplett beschreibt."

Grube wird im Verfassungsschutzbericht als Linksextremist aufgeführt

Ernst Grube, geboren 1932 in München als Sohn eines evangelischen Malermeisters und KPD-Mitglieds und einer jüdischen Krankenschwester, überlebte das Ghetto Theresienstadt. In der Nachkriegszeit kam der Maler und Berufsschullehrer wegen seiner Mitgliedschaft in der seit 1956 verbotenen Kommunistischen Partei ins Gefängnis. Noch 2011 wurde er namentlich als Linksextremist im Verfassungsschutzbericht erwähnt. Erst nach Protesten zahlreicher Unterstützer aus Politik und Gesellschaft nahm die Behörde den Eintrag zurück.

Für Hannah Brinkmann ist es nicht das erste politische Buch: In ihrer Masterarbeit "Gegen mein Gewissen" an der Hamburger Hochschule für angewandte Wissenschaften erzählte sie bereits die Geschichte ihres Onkels Herrmann Brinkmann. Die Behörden akzeptierten die Kriegsdienstverweigerung des überzeugten Pazifisten in den 1970er Jahren nicht. Zum Dienst an der Waffe gezwungen, beging der junge Mann während seiner Grundausbildung Suizid.

Wegen Flugblättern zu Gefängnisstrafe verurteilt

Das Münchner NS-Dokumentationszentrum war von der Arbeit beeindruckt und beauftragte Hannah Brinkmann mit der Geschichte von Ernst Grube. "Wir möchten sein politisches Wirken nach 1945, also den Großteil seines Lebens, bekannter machen", erklärt Denis Heuring, der den Publikationsbereich des Zentrums leitet. Gerade am Beispiel von Grubes Biografie lasse sich zeigen, "wie schwer sich die BRD mit dem Umgang mit der NS-Diktatur tat, nicht zuletzt aufgrund der personalen Kontinuitäten im Gerichtswesen oder der Verwaltung".

Um diese Kontinuitäten sichtbar zu machen, verknüpft Hannah Brinkmann drei Handlungsstränge miteinander: Zum einen die Kindheit Grubes und die Judenverfolgung in der NS-Diktatur. Dann die Nachkriegsjustiz der Bundesrepublik, für die ein junger Kommunist wie Grube ein Feindbild war.

Gewissermaßen der Dreh- und Angelpunkt ist die Geschichte eines Richters, der im NS-Staat Karriere gemacht hatte und den 27-jährigen Holocaust-Überlebenden Grube 1959 wegen einer Flugblatt-Aktion für die verbotene Kommunistische Partei Deutschlands als "Staatsgefährder" zu eineinhalb Jahren Haft verurteilte. Neun Monate davon verbrachte Grube, der mit Glück das KZ überlebt hatte, in einem Bonner Gefängnis in Untersuchungshaft, vier davon in vollständiger Isolation.

Holocaust-Überlebender Ernst Grube, zu Hause in Regensburg.
Holocaust-Überlebender Ernst Grube, zu Hause in Regensburg.

NS-Zeitzeuge Ernst Grube über seine politische Verfolgung nach 1945

Seit Jahrzehnten berichtet der Holocaust-Überlebende Ernst Grube an Schulen und in Bildungseinrichtungen über seine Kindheit als Sohn einer Jüdin in der NS-Zeit, über Verfolgung, Schikane, Ausgrenzung, später Deportation und zuletzt Befreiung aus dem KZ Theresienstadt. Worüber der 90-Jährige seltener spricht, ist seine Verfolgung als Kommunist im Nachkriegsdeutschland. "Das kam bislang immer zu kurz", sagt Grube im Gespräch mit dem Evangelischen Pressedienst.

Besonders getroffen hat Grube nach eigenen Worten die Untersuchungshaft vor seinem zweiten Prozess 1959, als er wegen einer Flugblatt-Aktion für die KPD angeklagt war. Neun Monate verbrachte der damals 26-jährige KZ-Überlebende in einem Bonner Gefängnis, vier davon in strenger Isolationshaft, wie er sich erinnert: "Das war ein Gefängnis übelster Art, der Raum war vielleicht einen Meter breit, niemand durfte mit mir reden."

Diese Härte habe ihn, den das Alleinsein und Ausgeschlossen-Werden schon als jüdisches Kind jahrelang begleitet habe, zermürbt. Dass er trotz dieser Erfahrungen in Westdeutschland geblieben sei, begründet er mit seiner Überzeugung als Marxist: "Man muss die Verhältnisse dort ändern, wo man lebt - und das war München, nicht die DDR oder Frankreich."

Seinen Kampf für Solidarität und Gerechtigkeit hat der gebürtige Münchner, der heute in Regensburg lebt, nie aufgegeben: Nicht, als die Behörden ihm in den 1970er Jahren ein Berufsverbot als Berufsschullehrer erteilten, und nicht, als der bayerische Verfassungsschutz ihn als Sprecher der "Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes" bis ins Jahr 2021 unter Beobachtung stellte. Noch 2011 wurde er namentlich als Linksextremist im Verfassungsschutzbericht erwähnt. Erst nach Protesten zahlreicher Unterstützer aus Politik und Gesellschaft nahm die Behörde den Eintrag zurück.

Grube ist Präsident der Dachauer Lagergemeinschaft, Vorsitzender des Kuratoriums der Stiftung Bayerische Gedenkstätten und Münchner Ehrenbürger. Für seine Erinnerungsarbeit wurde er vielfach ausgezeichnet. Im Oktober, erzählt er, werde das Bundesverdienstkreuz folgen. "Ich habe den Weg vom Staatsfeind zum Ehrenbürger Deutschlands gemacht - das ist kaum zu fassen", sagt Grube verschmitzt. Wie viel ihm diese Anerkennung bedeutet, lässt sich beim Blick in sein Gesicht ermessen. Gelöst, fast glücklich sieht er aus, als er sagt: "Ich werde geachtet. Ich erlebe unerwartete Zustimmung. Es gibt so viele Menschen, denen ich begegnen kann - was will man mehr?"

Autorin setzt sich umfangreich mit Ernst Grube auseinander

280 Seiten hat das "Storyboard", das Brinkmann Ende Juli bei Verlag, NS-Dokumentationszentrum und Ernst Grube selbst abgeliefert hat. Seit Februar hat sie - vor allem mit Bleistift, aber auch mit Linoleumschnitt und digitaler Technik - an dem Entwurf gearbeitet. Davor recherchierte sie über ein Jahr lang in zahlreichen Archiven und traf Grube - heute Münchner Ehrenbürger und Präsident der Lagergemeinschaft Dachau - immer wieder zu mehrtägigen Gesprächen.

"Sie hat sich so intensiv mit meiner Vergangenheit beschäftigt, dass ich damals dachte: Das muss ja was werden", sagt Grube selbst. Jetzt liegt das vorläufige Ergebnis vor, und wie Hannah Brinkmann seine Geschichte erzählt, bewegt den 90-Jährigen sichtlich: "Das hat mich wirklich gepackt." Über den ersten Teil der Graphic Novel sei er noch nicht hinausgekommen, sagt Grube und schweigt einen Moment.

Er wirkt, als müsse er Brinkmanns Bilder und Dialoge über die Verfolgung seiner Familie erst seelisch verarbeiten.

"Es hat eine sehr große Bedeutung für mich, dass jemand verstanden hat, wie es meinen Eltern damals ging - und wie meine Situation als Kind dabei war", sagt er. Schließlich sähen seine Zuhörer bei Zeitzeugengesprächen in ihm stets nur den Augenzeugen - aber nicht "den Mensch, das Kind, den Jugendlichen in seiner Entwicklung". Gerade seine Verfolgung als Kommunist nach 1945 komme in diesen meist 90-minütigen Gesprächen immer zu kurz. "Dafür bleiben am Ende meistens nur fünf Minuten", bedauert Grube.

Diese Leerstelle soll Hannah Brinkmanns Buch füllen. Die Künstlerin hofft, dass die Leserinnen und Leser begreifen, wie die NS-Zeit nach 1945 in der jungen Demokratie weiterwirkte - und welche Prozesse dahinterstanden. Und sie wünscht sich, dass Menschen durch die Lektüre erkennen, "wie viel Arbeit es ist, eine Demokratie aufrechtzuerhalten". Denn das sei es, was Ernst Grubes Leben lehre:

"Dass man die Augen aufmachen, gegen Ausgrenzung aufstehen, ein wacher Bürger sein muss."

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