Menschen mit Behinderung sind dem Krieg in der Ukraine in besonderem Maß schutzlos ausgeliefert. Örtliche Lebenshilfe-Vereine leisten deshalb aktive Unterstützung, so auch die Lebenshilfe Ostallgäu-Kaufbeuren. Sie brachte Kinder mit geistiger Behinderung zusammen mit ihren Müttern und Geschwistern aus ihrer Partnerorganisation in der westukrainischen Region Tscherniwzi nach Kaufbeuren. Klaus Prestele ist Geschäftsführer der Lebenshilfe Ostallgäu-Kaufbeuren.

Herr Prestele, welche Menschen haben Sie in Ihrer Einrichtung aufgenommen und wie geht es für sie nun weiter?

Klaus Prestele: Wir haben 38 Mütter und deren Kinder vorübergehend in unseren Einrichtungen untergebracht, und zwar in einem Wohnheim, einer Praktikantenwohnung, bei einer Patenfamilie, in einem örtlichen Kloster und in unserer inklusiven Wohngemeinschaft. Wir versuchen, die Kinder mit Behinderung nach ihrem individuellen Bedarf zu fördern und bemühen uns, für psychisch belastete Kinder und Jugendliche Unterstützung zu finden. Wichtig wäre, dass alle schnell in die Schulen integriert werden. Und wir suchen natürlich auch nach Möglichkeiten, allen angekommenen Personen einen Sprachkurs anzubieten, vor allem aber zunächst den Kindern. Aktuell sind wir bemüht, die Kinder und Jugendlichen vor allem durch Sportangebote oder Mitwirken in Vereinstrainings und Ähnlichem einzubinden und sie somit ein wenig abzulenken. Parallel dazu suchen wir zusammen mit dem Landkreis Ostallgäu und der Stadt Kaufbeuren Wohnungen für einen längeren Aufenthalt.

"Die Situation in der Ukraine für Menschen mit einer Behinderung ist vergleichbar mit der Situation in Deutschland in den 1960er Jahren."

Gibt es große Unterschiede zwischen Einrichtungen für Menschen mit Behinderung in Deutschland und Einrichtungen in der Ukraine?

Prestele: Die Unterschiede sind recht groß, was vor allem an der Finanzierung liegt. In Deutschland sind viele Behandlungen und Therapien von Menschen mit einer Behinderung durch die Krankenkassen gedeckt. In der Ukraine sieht das ganz anders aus: Die Situation für Menschen mit einer Behinderung und deren Familien ist vergleichbar mit der Situation in Deutschland in den 1960er Jahren. Die Zentren und Einrichtungen sind vor allem auf Spenden angewiesen. Es gibt viel zu wenig Therapie- und Fördermöglichkeiten. Menschen mit Behinderung gehörten schon vor dem Krieg zu den Schwächsten der ukrainischen Gesellschaft. Das Kriegsgeschehen verstärkt das noch einmal.

Wie haben Sie den Kontakt in die Ukraine hergestellt?

Prestele: Der Bezirk Schwaben hat bereits seit über 20 Jahren eine intensive Regionalpartnerschaft mit der ukrainisch-rumänischen Grenzregion Bukowina. 2018 entstand dadurch der erste Kontakt zwischen uns und dem Rehabilitationszentrum "Dzvinochok" (Glöckchen) für Kinder und Jugendliche mit einer geistigen Behinderung. Seitdem sind wir durch regelmäßige Fachbesuche, internationale Jugendprogramme und Freiwilligendienste von ukrainischen Jugendlichen hier in Kaufbeuren im engen Austausch mit "Dzvinochok". Über die Jahre ist so eine wirklich enge Bindung entstanden.