Was kommt heraus, wenn sich ChristInnen aus ganz Europa zum Thema KI und digitale Welten austauschen? Sie bekommen eine ganze Reihe neuer Erkenntnisse geliefert - und stellen viele Fragen, so meine Bilanz nach drei Tagen "ECIC" im Schweizer Bossey.

Drei Tage fand die European Christian Internet Conference (ECIC) 2024 vom 9. bis 11. September im ökumenischen Zentrum in Bossey bei Genf statt. Thema der Konferenz war "What is truth? - Ethical and practical issues in the use of AI" - also ethische und praktische Fragen rund um den Einsatz von Künstlicher Intelligenz in Kirchen und christlichen Organisationen.

Wie die ÖRK-Direktorin für Kommunikation, Marianne Ejdersten, bei der Eröffnung erklärte, vertrete die ECIC ein breites Spektrum von Kirchen und christlichen Organisationen. "Die digitalen Technologien verändern unsere Welt und die vielfältigen Räume, in denen wir leben und uns bewegen. Diese Technologien bieten uns neue Möglichkeiten, zu kommunizieren, uns zu informieren und für Menschenwürde und Menschenrechte einzutreten."

Die zentralen Ergebnisse der Tagung lassen sich wie folgt zusammenfassen:

Kirche hinkt bei KI-Technologie hinterher

Es ist ein Vorurteil, zu glauben, dass kirchliche Mitarbeitende und Interessierte an Kirche und Religion nicht digital unterwegs sind. Das ist die Erkenntnis einer Studie der Macromedia-School, die Medienexperte Holger Sievert (Köln) vorstellte. Menschen, die in der Kirche arbeiten oder mit Kirche zu tun haben, nutzen demnach sehr häufig das Web oder sind in den sozialen Medien unterwegs, so die Studie, bei der über 5.000 Menschen befragt wurden.

Kirchliche Organisationen hingegen seien dafür noch gar nicht aufgestellt - sondern hinken der Bewegung total hinterher.

Das Thema Künstliche Intelligenz ist in den kirchlichen Institutionen "überhaupt noch nicht angekommen", so Sievert. Zwischen zwei und drei Prozent der kirchlichen Einrichtungen hätten überhaupt erst damit begonnen, KI einzusetzen. Immerhin erkennen über 80 Prozent der Befragten an, dass es einen Bedarf gibt. Der Digitalisierungsgrad der Einrichtungen muss also dringend verbessert werden. Eine Erkenntnis, die nicht neu ist - ähnliches habe ich vor Jahren in einem Artikel thematisiert.

JournalistInnen suchen nach Wahrheit

Kirchliche Organisationen tun gut daran, den unabhängigen Journalismus zu unterstützen, machte die Medienwissenschaftlerin Christine Ulrich (München) in ihrem Beitrag über Wahrheit und Journalismus deutlich. JournalistInnen seien darum bemüht, der Wahrheitsfindung zu dienen. Über eine gute Recherche, den Vergleich von Fakten, die sorgsame Wahl von Quellen sowie weitere Methoden gehe es darum, den LeserInnen eine plurale Welt zu zeigen und ihnen Orientierung zu geben. Presse- und Öffentlichkeitsarbeit hingegen sei immer mit einer Intention verbunden - und somit nie eindeutig um Wahrheit bemüht.

Die ECIC-Netzwerk-Präsidentin Agnieszka Godfrejów-Tarnogórska erklärte, Wahrheit sei kein "abstraktes Konzept, sondern lebendige Realität, die in der Person Christi begründet ist". "Wenn wir als christliche Kommunikatoren mit digitalen Technologien arbeiten, sind wir aufgerufen, Zeugen der Wahrheit in einer Welt zu sein, die zunehmend durch Algorithmen und Daten vermittelt wird."

KI-Innovation beim Flüchtlingshilfswerk der Vereinten Nationen

Einen Einblick in die KI-Werkstatt der UNCHR gab Innovationschef Hovig Etyemezian (Genf). Er stellte verschiedene Projekte vor, mit denen MigrantInnen unterstützt werden sollen. Mit KI-Anwendungen sollen besser auf künftige Krisen reagiert werden; zudem sollen die Bedürfnisse der MigrantInnen besser gehört und Dienstleistungen verbessert werden.

So hat das Flüchtlingshilfswerk der Vereinten Nationen etwa eine Datenbank aufgesetzt für die Verwaltung und Suche von Gesetzen zum Thema Migration, auf die sämtliche Akteure zugreifen können. Eine andere KI-Anwendung sammelt Daten und erstellt damit eine Vorhersage über Flüchtlingsströme. Damit kann die UNHCR besser auf Krisen reagieren. Eine weitere Anwendung soll Hate Speech in den sozialen Medien entdecken helfen. Vor allem in Flüchtlingscamps soll damit die Kommunikation verbessert werden - denn dort verbreiten sich Fakenews und Gerüchte oft rasend schnell.

Die konkreten Anwendungen haben allerdings auch ihre Grenzen. So müssen die meisten Modelle permanent nachjustiert werden, weil sie fehlerhafte Daten liefern oder halluzinieren. Zudem gibt es auch Modelle, die derzeit noch zu kostenintensiv sind oder kompliziert, etwa, weil der Sprachraum noch nicht erschlossen wurde. Es "wird noch Jahre dauern, bis die Anwendungen richtig greifen", erklärte Etyemezian.

Theologische Positionen zu KI formulieren

In den Gruppendiskussionen kam vor allem eine interessante Idee zum Vorschein: So könnten bei der Diskussion um ethischen Positionen zur Künstlichen Intelligenz insbesondere Theologen eine wichtige Rolle spielen. Sie sollten sich zusammenschließen und über Möglichkeiten und Grenzen der neuen Technologien diskutieren - und daraus eine Handreichung bzw. Positionen erarbeiten, die wiederum von Politik und Wirtschaft genutzt werden könnten.

Was macht uns menschlich? Warum sprechen wir Robotern menschliche Eigenschaften zu? Wie gehen wir mit Transhumanismus um? Welche Grenzen sehen wir bei der Nutzung von KI-Technologien? Wie können wir Menschenrechte oder das Recht auf Vergessenwerden unterstützen? - Es wäre gewinnbringend, solche Fragen in der digitalen "Theologenblase" zu diskutieren und sich an Antworten zu versuchen.
 

 

ECIC Konferenz 2024 in Bossey
ECIC Konferenz 2024 in Bossey: Die Teilnehmer positionieren sich zum Thema Künstliche Intelligenz.

ECIC Konferenzen

Die erste ECIC fand vom 22. bis 23. November 1996 in Frankfurt am Main, Deutschland, unter der Schirmherrschaft des Weltverbandes für christliche Kommunikation statt.

2024 war nun erneut der Ökumenische Rat der Kirchen (ÖRK) Gastgeber des ECIC. Die ECIC 2014 fand vom 2. bis 5. Juni 2014 im Ökumenischen Institut in Bossey statt und stand unter dem Motto "Open Internet, Open Church, Open Source".

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