Einzelne Wortfetzen ziehen blitzschnell neben dem Streamer auf dem Bildschirm vorbei. Vor sich bewegt er mit der Computer-Maus in seiner rechten Hand gekonnt eine Spielfigur durch die digitale Fantasy-Welt.

Eine Szene wie diese schauen sich womöglich gerade tausend Menschen live auf ihren Bildschirmen zu Hause an. Anstatt zu fernsehen, verbringen viele junge Menschen inzwischen einen großen Teil ihrer Freizeit auf der Plattform Twitch. An einem Donnerstagabend unter der Woche sind es zum Beispiel weit über drei Millionen, die sich dort zusammenfinden.

Für eine Milliarde aufgekauft

Die Geschichte von Twitch beginnt im Jahr 2010, als US-Unternehmer Justin Kan ein Online-Portal zur Live-Übertragung von Videospielen erstellt. Ein Jahr später wird Twitch gegründet. Danach folgt der raketenhafte Aufstieg der Internetseite, die im Jahr 2014 für knapp eine Milliarde US-Dollar von Amazon übernommen wird.

Twitch bietet Zuschauer*innen im Vergleich zum Fernsehen eine direkte Möglichkeit, mit den jeweiligen Protagonist*innen durch einen Chat zu interagieren. In Echtzeit können diese Fragen beantworten, mit ihrem Publikum diskutieren, aber auch die Zuschauerschaft kann sich untereinander austauschen.

Das System, das der Plattform zugrunde liegt, ist dabei recht simpel. Grundsätzlich ist die Plattform kostenlos. Vor und zwischen dem Schauen der eigenen Lieblings-Streams wird Werbung geschaltet. Viele Branchen, wie Autohersteller oder Computerspiele-Entwickler haben hier potenzielle Kund*innen erkannt.

Das Ganze passiert allerdings nur, wenn der jeweilige Stream ins Partnerprogramm von Twitch aufgenommen wurde. Aufgenommen werden diejenigen, von denen sich Twitch viele Zuschauer*innen und demnach Reichweite verspricht.

Daneben gibt es für Streamer eine weitere Möglichkeit, Geld zu verdienen: die sogenannten Abonnements. 

So funktioniert das Geschäftsmodell

Abonnements bieten Zuschauer*innen verschiedene Vorteile und es gibt sie in einigen Ausführungen. Das günstigste gibt es zum Preis von 4,99 Dollar und ermöglicht, die Streams, also die Live-Übertragungen, ohne Werbung zu schauen. Diese "Abos" laufen normalerweise zum Monatsende aus, das Geld teilen die Streamer*innen mit dem Betreiber.

Zusätzlich gibt es die Möglichkeit, Geld an die Unterhalter*innen zu spenden. Die Angebote auf Twitch haben sich dabei mit der Zeit stark verändert und sind heute sehr unterschiedlich. Gaming bildet weiterhin das Fundament der Plattform, daneben gibt es die große Kategorie des "Just Chattings".

Dabei es handelt es sich um Diskussionen, Live-Events oder Übertragungen von beispielsweise Reisen. Auch die öffentlich-rechtlichen Rundfunkangebote haben die Plattform für sich entdeckt. Die ARD wirbt zum Beispiel mit dem interaktiven Dialogformat "MixTalk".

Wie wird Religion auf Twitch thematisiert

Weitestgehend vergeblich sucht man dahingehend religiöse Inhalte auf Twitch. Der Wuppertaler Pfarrer Niklas Schier ist seit einiger Zeit auf der Plattform aktiv und beschreibt sich auf Twitch wie folgt:

"Ich bin Pfarrer. Ja. Wirklich. Ich streame Videospiele. Für Jesus."

Auf Twitch folgen ihm mehr als 400 Menschen. Er gehe offen damit um, dass er als Pfarrer tätig sei, erklärt er im Gespräch mit dem Sonntagsblatt. Sein Wunsch dabei sei es, eine Gemeinschaft aufzubauen. "Ich möchte praktisch eine Gemeinde gründen", erklärt er. Diese Gemeinschaft solle nach digitalen Maßstäben funktionieren, aber unter christlichen Vorzeichen. Die Idee zum Projekt sei ihm bereits 2019 gekommen.

"Es hat mich immer gestört, wenn irgendwo das Label 'digitale Kirche' draufstand. Damit ist nie wirklich die digitale Gemeinschaft gemeint, beziehungsweise war das Digitale dabei nicht bis zum Ende hin durchdacht",

erläutert er den Ursprung seiner Live-Formate. Corona habe der Digitalität in der Kirche einen Schub gegeben.

Zu dieser Einsicht kommt auch eine repräsentative Stichproben-Erhebung für die Evangelische Kirche in Deutschland aus dem Jahr 2020. Digitale Verkündigungsformate wurden demnach in 81 Prozent der befragten Dekanate und Kirchenkreise verwendet.

Ein Mann Anfang Vierzig blickt frontal in die Kamera und lächelt. Er trägt eine Brille, ein Sakko und eine Krawatte sowie ein hellblaues Hemd.
Der Wuppertaler Pfarrer Niklas Schier ist seit 2019 auf der Live Übertragungs-Plattform Twitch aktiv.

Das Besondere an der Arbeit mit Twitch sieht Pfarrer Schier allerdings in dem Zielpublikum.

"Die große Chance meines Projekts besteht ja darin, dass ich sehr leicht Kontakt mit Menschen aufbauen kann, die eher kirchenfern sind", erklärt er.

Mittels eines Videospiels, für das sich verschiedenste Menschen interessieren, könne er so eine gemeinsame Basis schaffen, durch die weitere Gespräche zustande kommen würden.

Twitch als riesiger weißer Fleck

Sein Problem sei allerdings, innerhalb der Kirche weitere Mitstreiter*innen für seine Projekte zu finden. Vor allem diakonische Arbeit sei etwas, das "sehr stark vom direkten Kontakt mit Menschen abhängig ist".

Gerade was Kinder- und Jugendarbeit angehe, mache Kirche aber schon einen "ziemlich guten Job". Klassische Gottesdienste sind für ihn dabei essenziell. Nichtsdestotrotz wünscht er sich einen Ausbau seines digitalen Programmes.

"Ich würde mir auch durchaus wünschen, mehr geistliche Impulse in meine Streams einzubauen. Und wonach es definitiv eine Sehnsucht gibt, ist nach Gemeinschaft und Austausch. Die Leute bezeichnen sich ja als Teil von Communitys und es sind einfach andere Formen von Gemeinschaft als die, die wir in Kirchen abbilden."

Gerade für den Austausch über Spiritualität und Religion seien Digital-Plattformen wie Twitch eine Chance für die Kirche und gleichzeitig ein "riesiger weißer Fleck auf der Landkarte."

Alljährlich findet im Twitch-Universum übrigens eine Messe statt, die sogenannte "Twitchcon". Praktisch der Kirchentag für alle Streaming-Enthusiasten. 2023 ist der Austragungsort Paris.

Ein Jahr zuvor besuchten die Messe knapp 15.000 Menschen. Eine Zahl, die nicht ganz an die Besucher*innen des Kirchentags anknüpfen kann.

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