Der Mauerbau fand 1961 statt. Die restliche deutsche Grenze war ja schon seit 1952 geschlossen. Warum ist dieser Schritt eigentlich erst so spät erfolgt?

Klaus Schroeder: Die Sowjetunion und die DDR hat schon 1952, 53 überlegt, Berlin auch dichtzumachen, konnten das aber nicht, weil die Infrastruktur und die Versorgung noch über das formal geteilte Berlin lief. Sie haben dann relativ viele Straßen gesperrt, aber ganz dicht machen konnten sie nicht. Das ging technisch nicht, also verkehrstechnisch. Und dann ist es sozusagen in der Schwebe geblieben. 1958 gab es ja das zweite Berlin-Ultimatum, das aber verpufft ist. Zwischen 1958 und 61 hat die DDR hinter den Kulissen immer wieder darauf gedrängt, dass Berlin dichtgemacht wird, weil die Flüchtlingszahlen immer weiter anstiegen.

Und das gab dann den Ausschlag?

Klaus Schroeder: Die SED-Führung hat im Frühjahr 1961 zwei Brandbriefe an die sowjetische KP-Führung geschrieben, wo sie gesagt haben: ‚Wir bluten aus. Wir können nicht mehr.‘ Die Sowjetunion, die ja die letzte Entscheidung getroffen hat, wollte aber erst jetzt Grünes Licht von den USA.

Hat sie das bekommen?

Klaus Schroeder: Das ist nicht bekannt, aber es spricht vieles dafür, dass die USA, aber auch Großbritannien der Sowjetunion signalisiert haben: ‚Wir wollen keinen Krieg um Berlin.‘ Präsident Kennedy hat ja dann die drei Essentials formuliert, die sich nur noch auf Westberlin bezogen. Damit war klar: Berlin kann vonseiten des Ostens, DDR und Sowjetunion, dichtgemacht werden.

Was dann am 13. August 1961 mit dem Mauerbau auch geschah.

Klaus Schroeder: Da wurde noch nicht die Mauer gebaut, das wissen die meisten nicht, sondern es wurde erst mal nur dichtgemacht, Stacheldraht gelegt. Der eigentliche Mauerbau, also das Bauen im wirklichen Sinne, begann erst ein paar Tage später.

Also täuschen die Bilder, die man vom 13. August oft sieht, wo sich schon die ersten Backsteine auftürmen?

Klaus Schroeder: Ja, das sind Bilder von später. Das ist ja relativ viel, was da zu bauen war. Das konnte man nicht über Nacht bauen, schon von der Technik her. Die SED hatte auch Angst, die Grenzsicherung so zu gestalten wie jenseits von Berlin, nämlich mit Selbstschussanlagen und Minen. Das wollten sie nicht. Da hatten sie Angst, dass die Weltöffentlichkeit, die ja auf Berlin immer guckt, da entsprechend reagieren wird gegen die DDR. Und deshalb mussten sie besondere Sicherheitsmaßnahmen ergreifen. Also die Mauer musste abschreckend genug sein.

Der Mauerbau war also notwendig, damit die DDR überlebt?

Klaus Schroeder: Ja. Diese Fluchtbewegung, dass so viele Menschen da geflohen sind, das kann kein Staat der Welt aushalten. Das waren Millionen Menschen, potenzielle Arbeitskräfte. Die Rentner haben sie gerne verloren, weil sie die nicht mehr finanzieren mussten. Also ja, das ist sozusagen der Kampf ums Überleben für die DDR. Und der war mit dem Mauerbau erst einmal abgeschlossen.

Ich nehme an, dass Sie persönlich zu jung waren, um das mitzuerleben damals?

Klaus Schroeder: Ich bin ja an der innerdeutschen Grenze aufgewachsen, in Travemünde. Ich habe sozusagen von klein auf die Teilung Deutschlands miterlebt. Da war keine Mauer, sondern Stacheldraht und Hundestaffel. Ab und zu hörte man mal Schüsse. Eins der tragischen oder traumatischen Erlebnisse war, dass wir als Jugendliche oder Kinder am Strand waren und plötzlich wurde eine Leiche angespült. Erst später habe ich von meinen Eltern erfahren, dass das ein Flüchtling war, der es nicht geschafft hat.

Klaus Schroeder

Professor Klaus Schroeder, Soziologe und Politikwissenschaftler, ist Leiter des Forschungsverbundes SED-Staat der Freien Universität Berlin. Von ihm stammt das Standardwerk zur DDR-Geschichte "Der SED-Staat. Geschichte und Strukturen der DDR 1949-1990" (hier bestellen).