Faschingszeit ist Krapfenzeit: Noch bis Aschermittwoch stapelt sich das süße Gebäck gepudert, glasiert und mit rosa Herzchen in den Schaufenstern der Bäcker. Die Bonbonindustrie rüstet sich fürs Kamellen-Werfen. Und Energydrinks versprechen mehr Durchhaltevermögen beim Feiern. Mediziner hätten mit solchen saisonalen Exzessen weniger Bauchschmerzen, wenn sich der Zuckerkonsum danach wieder auf ein verträgliches Maß einpegeln würde.

Tut er aber nicht. Deutschland ist in Europa Zuckerkonsument Nummer 1. Und Zucker ist überall: im Fruchtjoghurt, in Fertiggerichten, in Soßen, in Kinderlebensmitteln und natürlich in Softdrinks. Wer nur ein Glas, also 250 Milliliter, Cola trinkt, hat die gerade noch verträgliche Tageshöchstration Zucker schon intus. Die Folgen sind längst unübersehbar. 15 Prozent der deutschen Kinder sind zu dick, zwei Drittel der Männer und über die Hälfte der Frauen. Das ist kein Schönheitsproblem: Wer zu viel Zucker futtert, erkrankt eher an Diabetes Typ 2; die Gefahr von Schlaganfällen, Herzinfarkten oder Amputationen steigt.

Alles nicht so schlimm, sagt die Lebensmittelindustrie. Zucker sei nur ein Faktor von vielen beim Thema Übergewicht. Die Menschen müssten halt maßvoll konsumieren. Doch genau daran haben die Konzerne logischerweise kein Interesse: Mehr verkaufen bringt mehr Umsatz, und Süßes verkauft sich gut. Deshalb steckt beispielsweise Coca-Cola immense Summen in die Werbung mit Fußballstars, die vor allem Kinder und Jugendliche anspricht.

Manche Länder ziehen die Reißleine. Mexiko, der Staat mit den meisten Dicken weltweit, hat schon 2014 eine Steuer auf Fastfood und Softdrinks eingeführt. Zehn Prozent mehr kosten die Dickmacher dort – der Konsum ist um 12 Prozent zurückgegangen. Großbritannien will 2018 eine Zuckersteuer auf Limonaden einführen – die Einnahmen sollen in den Grundschulsport fließen.

Und Deutschland? Ziert sich. Der Ausschuss für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz im Bundestag lehnte 2008 eine Lebensmittelampel auf Verpackungen ab. Man setze auf Aufklärung und die Einsicht der Industrie. Dabei wünschen sich zwei Drittel der Verbraucher laut einer Universtitätsstudie ein Ampelsystem für Lebensmittel als Entscheidungshilfe beim Einkauf – klar, schnell und einfach.

Vielleicht lautet die entscheidende Frage, um wessen Unversehrtheit es beim Thema Ernährung geht: die der Bürger oder die der Konzerne? Im Straßenverkehr sind Ampeln unumstritten. Aber auch Zucker ist lebensgefährlich. Dass Deutschland auf die Freiwilligkeit einer umsatzorientierten Industrie setzt: Das ist der eigentliche Witz.

 

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