Laura Müller hatte seit der Pubertät kräftige Beine - zumal im Vergleich zum restlichen Körper. "Bei uns in der Familie haben das alle Frauen - meine Mutter, meine Oma, meine Tanten", sagt die 31-Jährige aus dem Allgäu, die eigentlich anders heißt: "Ich dachte immer, wir sind so, wir haben nun mal starke Beine."

Krankheit Lipödem

Erst viel später erfuhr sie, dass das eine Krankheit ist und einen Namen hat: Lipödem. Rund vier Millionen Menschen, davon hauptsächlich Frauen, sind in Deutschland davon betroffen.

Erst seit 2017 ist das Lipödem in Deutschland eine anerkannte Krankheit. Die Frauen leiden unter immer dicker werdenden Beinen, manchmal auch Armen. Sie haben Schmerzen, weil sich Fettgewebe unkontrolliert vermehrt.

Lukas Prantl vom Caritas-Krankenhaus St. Josef in Regensburg forscht seit mehr als 20 Jahren zu Fettumverteilungsstörungen: Es gebe nur wenig wissenschaftlich fundiertes Wissen, auch über die Ursachen. Man gehe davon aus, dass es sich bei den Ursachen um ein "multifaktorielles Geschehen" handelt.

Wenn Diäten und Sport nichts verändern

"Als Jugendliche war es total schlimm für mich", erinnert sich Laura Müller. Sie habe unglaublich viel Sport getrieben, um abzunehmen und endlich auch dünnere Beine zu bekommen: "Trotz Konfektionsgröße 38 am Oberkörper wurde ich wegen meiner Beine als übergewichtig wahrgenommen."

Experte Prantl sagt, es gebe wohl eine gewisse "familiäre Belastung". Mit Diäten und Sport jedenfalls komme man nicht dagegen an. Lipödeme korrekt zu diagnostizieren, sei selbst für Experten schwierig, erläutert der Forscher.

Psychische und körperliche Schmerzen

In Würzburg gibt es eine Selbsthilfegruppe für Lymph- und Lipödem-Betroffene. Deren Leiter Andreas Graf meint: "Die Betroffenen gehen nicht mehr in die Öffentlichkeit und kapseln sich sozial ab, weil sie sich schämen. Man sieht ihnen ihre Krankheit von außen schließlich nicht an."

Zusätzlich zur psychischen Belastung leiden Betroffene unter Druckschmerz. "Viele berichten von Schmerzen bei Berührungen", sagt Prantl. Hinzu komme ein Spannungsgefühl und eingeschränkte körperliche Aktivitätsmöglichkeiten.

Linderung und Heilung?

Lymphdrainage und das tägliche Tragen von Kompressionsstrümpfen sollen Betroffenen helfen. "Die setzen sich aber in die Kniekehle, zwicken und sind sehr warm", berichtet Laura Müller. Es sei schlicht unpraktisch, gerade, wenn man im Job viel sitze. Sie trage ausschließlich Kleider und Röcke im Alltag, weil sich tagsüber Wasser in den Beinen sammelt.

Normale Jeans wären da undenkbar. Betroffene haben gesetzlichen Anspruch auf ein Kompressionsstrumpfpaar und ein zusätzliches zum Wechseln. Viel zu wenig, sagt Müller.

Lipödem wird als unheilbar betrachtet. Prantl sieht das jedoch anders. Das Einzige, was Betroffenen helfen könne, sei die Liposuktion - eine Fettabsaugung.

"Wenn wir durch eine schonende Liposuktion das kranke Gewebe und die Zellen, die wuchern würden, entfernen, dann ist eine Heilung möglich."

Diese Behandlung kostet mehrere Tausend Euro und wird in der Regel nicht von der Krankenkasse übernommen. Häufig wird das Übergewicht der Betroffenen als Grund genannt, weshalb die Kosten nicht übernommen werden.

Hohe Kosten

Andreas Graf kennt keine Betroffene, der die Liposuktion von der Krankenkasse gezahlt wurde: "Leider. Welche Behandlungskosten die gesetzlichen Krankenkassen übernehmen, ist im gesetzlich festgeschrieben. Andreas Schneider von der AOK Bayern sagt: "Ob eine Leistung medizinisch notwendig ist, stellt der behandelnde Arzt fest und nicht die jeweilige Krankenkasse."

Auch gebe es aktuell keinen wissenschaftlich hochwertigen Beleg, dass die Liposuktion besser wirksam sei, als die konservative Standardbehandlung.

Neue klinische Studie

Das könnte sich jedoch ändern. Der Gemeinsame Bundesausschuss (G-BA) der gesetzlichen Krankenkassen hat eine klinische Studie beauftragt, in der die Liposuktion mit der nichtoperativen Standardbehandlung des Lipödems verglichen werden soll. Prantl und das Caritas-Krankenhaus St. Josef in Regensburg beteiligen sich an der Studie:

"Ich bin mir jetzt schon ziemlich sicher, was das Ergebnis der Studie betrifft. Die Liposuktion wird sicherlich einen großen Vorteil gegenüber der rein konservativen Behandlung bringen."

Auch für Laura Müller ist klar: Die Versorgung von Lipödem-Patientinnen muss sich verbessern. "Zwei Kompressionsstrumpfpaare sind zu wenig. Wir benötigen eine angemessene Wechselversorgung."

Zudem wünscht sie sich, dass Hausärzte über Lipödem aufklären und Patientinnen mit typischem Erscheinungsbild aktiv an Spezialisten verweisen. "Wie soll man wissen, welche Krankheit man hat, wenn der eigene Arzt nicht darüber aufklärt?"

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