Ernst Cran ist in Großhabersdorf bei Fürth auf einem Bauernhof aufgewachsen, in einer "stramm protestantischen Familie", wie er sagt, der Vater im Kirchenvorstand und im Posaunenchor, weil das halt dazugehörte auf dem Dorf. CVJM und evangelische Jugendarbeit haben ihn dann zum Theologiestudium geführt, in Erlangen und Neuendettelsau. Musik war immer wichtig, vor allem aber das leidenschaftliche Moment in der pietistischen Frömmigkeit. Auch deren Entschiedenheit gegenüber lauen Halbherzigkeiten hat ein kritisches Potenzial, mit dem sich bestehende Verhältnisse infrage stellen lassen.
"Sie war mir immer entweder zu fromm oder nicht fromm genug", beschreibt der evangelische Theologe seinen Clinch mit der bayerischen Landeskirche, der sich bald einstellte. Irgendwann 1998 zerlegte Ernst Cran in einer Predigt das Apostolische Glaubensbekenntnis und kam auf nicht sehr viele Punkte, die ihm noch überzeugend und glaubwürdig erschienen, angefangen bei der "hanebüchenen Trinitätslehre - dem einzigen Punkt, wo ich mit dem Islam übereinstimme". Der ganze "sühnetheologische Schuldkomplex" sei "theologischer Hokuspokus", höhnt er, er könne sich als "Jesuaner", aber nicht mehr als Christ bezeichnen. "Jesus ja, Christus never", sei seine Devise, oder in Abwandlung des Lutherworts "alles, was Jesum treibet".
Schon ein Jahr zuvor, 1997, hatten die "Groben Popen" mit dem Song "Iss Brot, trink Wein" Furore gemacht. Frontmann der dreiköpfigen Pfarrer-Punk-Rock-Band war Hartmut Thumser an der Gitarre, Theologen-Kollege Ernst Cran spielte Bass. Pfarrer Thumser, barfüßig im Talar, springt in dem Video mit der Gitarre vom Altar einer Nürnberger Kirche und singt "Deine Regel bleibt aus, und du kannst nicht mehr nach Haus - Iss Brot, trink Wein".
Thumser ist noch immer Pfarrer, Cran hat 1998 der evangelischen Landeskirche den Rücken gekehrt und ist seit 2003 als freier Redner für Trauer-, Geburtstags- und Hochzeitsfeiern unterwegs. Kontakt haben beide schon lange nicht mehr. Hartmut Thumser empfindet es als "peinlich, mit dem jetzigen Pegida-Cran quasi in einem Atemzug genannt zu werden". Verbunden habe die beiden damals aber die unausgesprochene Übereinkunft, sagt Thumser, dass Rock'n'Roll-Musik eine Art herrschaftsfreier Bereich sei: "Da kannst du Dinge sagen und tun, die man anderswo nicht sagen und tun kann."
Der Musiksender Viva brachte das "Grobe Popen"-Video, taz und Spiegel berichteten. "Lutheran punks rock the German establishment", schrieb die britische Sunday Times über die lutherischen Punks, die schnell fetten Ärger mit der Kirchenleitung hatten. Cran verteidigte sich damals: "Nicht auf die Form, auf die Botschaft kommt es an."
Ähnlich klingt er auch jetzt, als Pegida-Redner: Damit die Gefahr, die von der "faschistischen Ideologie" des Islams ausgehe in aller Dringlichkeit deutlich wird, brauche es deutliche Worte, sagt Cran.
"Koraner sein und deutscher Staatsbürger schließt sich aus"
Doch natürlich ist auch die Form eine Botschaft. Form und Inhalt sind nie ganz scharf zu trennen. Wie für alle Ideologen scheint für auch Cran der Zweck die Mittel zu heiligen. Die Missionen, auf denen er sich jeweils befindet, sind - nach seiner Auffassung - stets so bedeutsam, dass das Bestehende auch radikal und mit Grenzüberschreitungen, also mit der "groben Form" infrage gestellt werden darf - ja muss. Die vermeintlich scheinfromm-verkehrtfromme Kirche einmal mit pietistischer Grundsätzlichkeit, einmal mit den Mitteln des Punk-Rocks. Und nun die von vermeintlicher Islamisierung und vermeintlicher Selbstaufgabe bedrohte deutsche Gesellschaft in der Flüchtlingskrise mit den Mitteln der Pegida.
Crans "deutliche Worte" klingen zum Beispiel so wie in einer seiner Nürnberger Reden: "Koraner sein und deutscher Staatsbürger sein, schließt sich aus. … Wendemicheln, also Deutschen, die zum Koranertum übertreten, muss folgerichtig die deutsche Staatsbürgerschaft entzogen werden." "Koraner", das ist Crans Wort für Muslime, und die will Cran aus Armee und Polizei sowie anderen "öffentlichen und systemrelevanten Bereichen unserer Gesellschaft fernhalten oder entfernen".
Typisch ist ein Cran-Satz wie dieser: "Aber: Koraner dürfen eingeladen werden, dort zu leben, wo das Leben nach ihren Vorstellungen organisiert und eingeteilt ist." Wo von Einladen die Rede ist, klingt - nur dürftig kaschiert - die Melodie des Loswerdens, Abschiebens und - wer mag - auch des Deportierens. Immer wieder setzt Cran solche Signale, wo das Gesagte bürgerlich-harmlos klingt, aber wer Ohren zum Hören hat, das Gemeinte versteht.
Und noch mehr Originalton Ernst Cran: "Es gibt keine gemäßigten Koraner. Der Bazillus des Terrors um der Unterwerfung der Ungläubigen willen steckt bereits in den Wurzeln der koranischen Ideologie. Und dieser Bazillus wird jedem Koraner von der ersten Sure an eingeflößt und macht jeden Koraner zur tickenden Terror-Zeitbombe. Dieser Bazillus hat auf deutschem und auf europäischem Boden keinen Platz." Das sagte Ernst Cran Ende November als Gastredner der Dresdner Pegida vor der Semperoper - bejubelt von Tausenden Menschen.
Cran will nur die Ideologie des Koran bekämpfen
Würde man "Koraner" durch "Juden" ersetzen und hier und da eine Formulierung anpassen: Klingt das dann nicht auch für ihn selbst nach der Sprache des Nationalsozialismus? Und wie lässt sich so eine Rede für den "Jesuaner" Cran mit Jesu Doppelgebot der Liebe vereinbaren?
Der sonst so hämmernd eloquente Cran schweigt an dieser Stelle einen Moment. Und sagt dann, dass er kein Rassist sei, sondern die Ideologie des Korans bekämpfe. Und dass sich so eine Formulierung natürlich nicht mit dem Doppelgebot der Liebe oder der Person Jesu begründen lasse. Aber zum Doppelgebot der Liebe gehöre der Satz "wie dich selbst", weshalb es selbstverständlich sei, "das Eigene" also das eigene Land, die eigene Kultur zu lieben.
Ist es Angst und Wut, die da aus dem gelernten evangelischen Theologen spricht, und ihn zu so hasserfüllten Formulierungen treibt? Davon will Cran nichts hören, es gehe um Bedrohung und Empörung. Die Formulierung "hasserfüllt" sei nichts anderes als ein "fahrlässig benutztes Lügenpresseklischee".
"Es ist so widerwärtig", findet einer im Internet auf einer Blog-Seite mit Videos von Crans Pegida-Reden: "Dieser Mann hielt die Trauerrede bei einem hochverdienten schwulen Aktivisten, der für die Szene und für Nürnberg viel getan hat. Mir kommt es nun so vor, als würde er im Nachhinein auf den Sarg spucken."
Auch Cran weiß, dass er bei vielen Angehörigen von Sterbefällen, Brautpaaren oder Eltern von "Begrüßungskindern" für "Verwunderung, Irritation, Enttäuschung oder gar Empörung gesorgt" hat, wie er in einem Offenen Brief auf seiner Internetseite schreibt. Zum Beispiel beim Nürnberger Kabarettisten Bernd Regenauer. Regenauer hatte Cran vor wenigen Monaten als Redner bei der Trauerfeier für seinen Bruder engagiert. Nun sei er "fassungslos und entsetzt", sagt Regenauer. Sein Bruder sei ein weltoffener Mensch gewesen, der niemals einen Pegida-Aktivisten auf seiner Trauerfeier als Redner gewollt hätte.
Im August wird Cran 60, er ist verheiratet und hat aus früheren Ehen drei inzwischen erwachsene Kinder. Wie die finden, was er da bei Pegida und deren teils rechtsextremer Klientel macht? Es stehe "1 zu 1 zu 1" sagt Cran und räumt ein, dass er in der Familie nicht nur auf Zustimmung stößt. Auch beruflich, als Trauerredner, bezahlt Cran einen Preis.
Kritiker werfen Cran Geltungsbedürfnis vor
Kabarettist Regenauer hat sich im Januar an den Berufsverband der Trauerredner gewandt, bei dem Cran Vorstand war. Auf die heftige Kritik hin bot Cran dem Verband seinen Rücktritt an. Er wurde vom Amt enthoben.
"Wenn man wollte, könnte man hinter E.C.'s Betreiben ein geradezu pathologisches Geltungsbedürfnis vermuten", schreibt Pfarrer Thumser auf Facebook über die Pegida-Aktivitäten des Ex-"Popen"-Kollegen: "Tragik und Skrupellosigkeit geben sich hier die Hand".
"Wille zur Provokation", "süchtig nach Aufmerksamkeit", derlei Beschreibungen kann man auch hören, wenn man mit anderen Menschen spricht, die Ernst Cran schon lange kennen. Cran sagt, er kenne das Argument, aber es gehe ihm nicht um Aufmerksamkeit, sondern um die Sache.
In seinem Offenen Brief schreibt Cran, er bedauere sehr, "durch meine jüngsten öffentlichen Äußerungen viele in eine schwierige emotionale Situation gebracht zu haben". Er habe in jede Begegnung seine "volle Herzenstiefe, all meine Herzensbildung und meine soziale Kompetenz eingebracht", doch nun gehe es angesichts der Bedrohung durch den Islam ums Ganze, "um Überzeugungs- und Bekenntnisrede".
In typisch protestantischer Bekennermanier hat Ernst Cran seinen ganz persönlichen Bekenntnisnotstand ausgerufen, den "Status Confessionis" des "konfessionsfreien Theologen" Ernst Cran. "Der Preis dafür ist vielleicht deftig", sagt Cran. "Aber ich bin bereit, diesen Preis zu bezahlen."