Von einer "Weltpremiere" sprach Bundesgesundheitsminister Jens Spahn (CDU), als er der Öffentlichkeit seine Gesundheits-Apps auf Kassenrezept präsentierte. Ab Januar wird Deutschland damit das erste Land sein, das seinen Bürgern ermöglicht, sich Gesundheits-Apps für Smartphones und Tablets von der gesetzlichen Krankenversicherung erstatten zu lassen. "Digitale Lösungen können den Patientenalltag konkret verbessern. Darum gibt es ab 2020 gesunde Apps auf Rezept", sagte der Minister.

Hilfreiche Anwendungen

Gemeint sind Apps, die Gesundheitsdaten aufzeichnen und verarbeiten. Das können die beim Joggen zurückgelegte Wegstrecke und die dabei verbrauchten Kalorien sein, Blutzuckerwerte bei Diabetikern oder Blutdruckmessungen bei Patienten mit zu hohem Blutdruck. Auch die Häufigkeit, mit der Medikamente eingenommen werden müssen, können solche Apps vorgeben und überwachen.

Positive Entwicklung

"Grundsätzlich ist es gut, dass es nun diese Möglichkeit gibt", sagt Marcel Weigand, Experte für digitale Transformation von der Patientenberatung Deutschland (UPD) in Berlin. Gerade chronisch kranke Menschen wie Diabetiker und Herzpatienten könnten davon profitieren, wenn ihnen die Selbstkontrolle erleichtert werde: "Wenn die Werte aus dem Ruder laufen, dann werden sie und gegebenenfalls auch der behandelnde Arzt alarmiert."

Eine mögliche Folge könne sein, dass Patienten besser mitwirkten und sie motivierter bei der Sache seien, sagt Weigand. "Unnötige Arztbesuche fallen zudem weg, weil dem Arzt die Werte elektronisch übermitteln werden oder eine Videosprechstunde mit dem Arzt reicht." Gerade für Patienten mit eingeschränkter Mobilität oder langen Anfahrtswegen in ländlichen Gegenden sei dies ein deutlicher Vorteil.

Fehlen von Studien

Doch ganz ungetrübt ist die Freude über die Apps auf Rezept nicht. "Wir finden es kritisch, dass es Apps geben wird, deren Wirksamkeit und Schadenspotenzial noch nicht überprüft wurde. So werden die Apps im ersten Jahr auch dann von den Kassen bezahlt, wenn es noch keine Studien zu ihnen gibt." So etwas sei bei Medikamenten völlig undenkbar, kritisiert Weigand, warum aber bei Gesundheits-Apps?

Mögliche Risiken

Der Experte der UPD saß selbst mit in dem Gesundheitsausschuss, der über das "Digitale-Versorgung-Gesetz" (DVG) der Bundesregierung beriet, das nun verabschiedet wurde. "Dahinter steckt, dass mehr innovative Apps auf den Markt kommen sollen, junge Start-ups aber sehr schnell pleitegingen, wenn sie wie bei Medikamenten drei bis fünf Jahre auf die Genehmigung warten müssten." Dass man es ihnen so leicht mache, ist aus Sicht der UPD bedenklich. "Denn was passiert, wenn sich zeigt, dass eine App nicht richtig funktioniert und sie mehr Schaden als Nutzen anrichtet?"

Apps gehören nur dann verschrieben, wenn sie auf Herz und Nieren geprüft wurden.

Äußerst kritisch findet das auch die niedergelassene Fachärztin für Allgemeinmedizin, Christina Neumann aus Denklingen im oberbayerischen Landkreis Landsberg am Lech: "Apps gehören nur dann verschrieben, wenn sie auf Herz und Nieren geprüft wurden." Absolut fatal könne es etwa sein, wenn eine App fehlerhaft sei, die an die Einnahme von Medikamenten erinnere: "Wenn ein Präparat dann etwa dreimal statt nur einmal am Tag eingenommen wird."

Ebenso fatal könne es sein, wenn der Blutzuckerwert eines Diabetikers nicht korrekt angezeigt werde, sagt Neumann: "Dann spritzt er sich zu viel oder zu wenig Insulin, was unter Umständen zum Koma führen kann." Problematisch findet Neumann an den Apps, "dass es sofort eine Handlungsempfehlung gibt, die sehr gefährlich sein kann".

Was wird sich ändern?

Neumann geht zwar davon aus, dass die Gesundheits-Apps ihren Praxisalltag ein wenig verändern werden. Aber sie glaubt auch, dass nur für etwa zehn Prozent ihrer Patienten die Apps in Frage kommen. "Ältere Patienten haben oft überhaupt kein Smartphone oder wären mit einer solchen App technisch überfordert. Und jüngere Patienten haben seltener chronische Krankheiten, die eine regelmäßige Überprüfung ihrer Werte nötig machten."