Seit dem "Untergang", seiner filmischen Darstellung von Hitlers letzten Tagen im Bunker der Berliner Reichskanzlei (2004), gilt Regisseur Oliver Hirschbiegel als Fachmann für schwierige NS-Stoffe. Seine "Elser"-Verfilmung ist historisch sehr viel näher an den Fakten als "Einer aus Deutschland" - 1989 das Regiedebüt von Bühnenstar Klaus Maria Brandauer, der auch die Hauptrolle spielte. Die Elser-Forschung ist seither kräftig vorangekommen. Aber auch Hirschbiegel konnte die Komplexität des Falls Elser nicht einmal ansatzweise abbilden.

Sehenswert ist Hirschbiegels filmische Annäherung an den Konjunktiv-Elser (Obertitel: "Er hätte die Welt verändert") dennoch - schon wegen Christian Friedel und Katharina Schüttler (Elsa Härlen) in den Hauptrollen.

Was wäre gewesen, wenn ...?

Der Fall Elser hat unzählige Facetten: Der kryptische Befehl zur Erschießung Elsers durch Hitler höchstpersönlich; wie dieses Schreiben anderen KZ-Sonderhäftlingen wie Sigismund Payne Best und Martin Niemöller bei ihrer Befreiung in Südtirol in die Hände fiel; dass ausgerechnet Payne Best zu den englischen Agenten gehörte, die in Venlo gekidnappt wurden; wie Pfarrer Martin Niemöller nach dem Krieg das Gerücht beförderte, Elser sei ein SS-Mann gewesen, der im Auftrag des Regimes gehandelt habe - all das ist Stoff für viele Elser-Filme. Nur vor dem Hintergrund des "Venlo-Zwischenfalls", der sich fast gleichzeitig mit dem Attentat ereignete und mit dem sich Hitler-Deutschland einen Anlass zum Überfall auf die Niederlande fabrizierte, lässt sich der Elser-Fall jedoch wirklich verstehen.

Niemand glaubte, er war ein Einzeltäter

Der britische Geheimdienst ging damals einem angeblichen deutschen "Widerstand" auf den Leim, hinter dem jedoch der deutsche Geheimdienst steckte. Venlo ist der Grund, warum der britische Geheimdienst (wie viele Deutsche damals) vermutete, das gescheiterte Attentat von München habe das nationalsozialistische Regime ebenfalls fingiert.

Umgekehrt konnten und wollten Hitler und seine Bande bis zum Kriegsende nicht an die Einzeltäterthese glauben. Sie vermuteten ihrerseits den britischen Geheimdienst hinter der Tat. Beide Mutmaßungen waberten nach dem Krieg weiter und behinderten - bis zur Entdeckung der Gestapo-Verhörprotokolle 1964 - die Würdigung Elsers als Widerständler und Einzeltäter.

Diese Hintergründe bestimmten auch die Ermittlungen und Verhöre im Fall Elser - von Anfang an. Der Hirschbiegel-Film blendet dies aus dramaturgischen Erwägungen aus und konzentriert sich stattdessen auf das Liebesleben Elsers, um der historischen Figur und ihren Motiven nahezukommen.

Elser und die Frauen

Elser hatte nicht viele, aber einige Frauengeschichten. Er hatte in Konstanz einen unehelichen Sohn namens Manfred, für den er Alimente zahlte (meist zu wenig), den er aber nie sah. Und er hatte seit 1933 eine intensive Beziehung mit Elsa Härlen, einer unglücklich verheirateten Frau aus der Königsbronner Nachbarschaft. Sie ließ sich 1936 scheiden - auch wegen Elser.

Das Verhältnis zwischen Elsa Härlen und Georg Elser dürfte allerdings prosaischer gewesen sein, als es der Film darstellt. Schon im Sommer 1939 lernte Elsa in Esslingen Karl Votteler kennen. Die Hochzeit war schon für November geplant, als die Münchner Bürgerbräubombe explodierte und Elsa - wie die gesamte Familie Elsers - nach Berlin verfrachtet wurde zum Verhör.

Allzu postmoderne Darstellung von Elser

Ungebändigte, freie Liebe und Freiheitskampf gegen Hitler - Hirschbiegel wählt einen allzu postmodernen Zugriff auf den Elser-Stoff. So lässt sich die Frage jedenfalls nicht beantworten: Was macht einen eigenbrötlerischen Menschen aus einfachen Verhältnissen zum Widerstandskämpfer für die Freiheit?

Hirschbiegel geraten die Bilder und Figuren häufig zu gut gemeinten Klischees. Spannend ist die widersprüchliche Figur des Arthur Nebe (Burghart Klaussner), Chef des Reichskriminalpolizeiamts, angepasst und erfolgsorientiert - aber auch Widerständler des 20. Juli 1944 und deswegen wenige Wochen vor Elser hingerichtet.

Ein "protestantischer" Widerstandskämpfer

Wer die Menschen auf der Alb kennt, weiß um das Eigenbrötlerische, auch das Verdruckste und Verschwiegene im protestantisch-kleinbürgerlichen Milieu.

Dabei kann man kann Georg Elser, der am 15. März 1917 in der Klosterkirche Königsbronn konfirmiert wurde, durchaus als einen "protestantischen" Widerstandskämpfer bezeichnen: Elser war von seiner stark kirchlich-religiösen Mutter geprägt, hatte selbst nur eine lose Bindung an die kirchliche Tradition, dachte aber zutiefst ethisch und versuchte verantwortlich zu handeln. "Wenn ich gefragt werde, ob ich die von mir begangene Tat als Sünde im Sinne der protestantischen Lehre betrachte, so möchte ich sagen, 'im tieferen Sinne, nein!'", gab er im Gestapo-Verhör zu Protokoll. Vor dem Anschlag besuchte er häufig Münchner Kirchen, um zu beten und ruhiger zu werden, wenn ihn sein Gewissen quälte. Für diesen protestantischen Elser ist in Hirschbiegels Film nur sehr holzschnittartig Raum.

Der Elser-Konjunktiv lautet: Was wäre gewesen, wenn? Wie hätte die Geschichte ausgesehen ohne die deutsche Besatzung großer Teile Europas, ohne die Vernichtungslager, zu Ruinen gebombte Städte, Millionen Kriegstote, Vertreibungen, die Teilung eines Kontinents?

Ein deutlich unbequemerer Elser-Konjunktiv rund um die Verstrickung eines ganzen Volks lautet: Wenn der schwäbische Schreiner Georg Elser schon 1938 erkennen konnte, dass es Krieg geben würde - hätte dann nicht auch jeder andere "kleine Mann" in Deutschland zu dieser Einschätzung kommen können? Und handeln müssen?